Bis heute ist die börsennotierte Groupe Bruxelles Lambert (GBL) ein diskret agierendes Familienunternehmen, obwohl die Firma schon seit 60 Jahren an der Börse notiert. Geformt haben den Beteiligungskonzern die erfolgreichen Unternehmerdynastien Albert Frère aus Belgien und Paul Desmarais aus Kanada.

Wie diese Bande über Jahrzehnte intakt blieben, wurde Paul Desmarais Jr. vor zwei Jahren gefragt: "Wichtig ist, dass sich jede Familie gut entwickelt", antwortete der Kanadier. Der im Jahr 2018 verstorbene und wegen seiner Verdienste als Unternehmer zum Baron geadelte Albert Frère wurde oft als Belgiens Warren Buffett bezeichnet und galt als einflussreichster Unternehmer des Landes. Die beiden Familiendynastien wahren die Kontinuität bei der Groupe Bruxelles Lambert. Mit Jens Riedl, neuer Chef der Region Deutschland, Schweiz, Österreich, sowie drei weiteren Managern wurde das Team aus Investmentpartnern jüngst verstärkt.

€uro am Sonntag sprach mit Riedl über die Perspektiven der GBL, das Bewertungsniveau bei Firmenbeteiligungen in Europa und die Chancen, die ungelöste Nachfolgeregelungen im deutschen Mittelstand für die Private-Equity-Branche bieten.

€uro am Sonntag: Herr Riedl, Sie wechselten vor Kurzem von Permira zur Groupe Bruxelles Lambert (GBL) als Chef für Deutschland, Schweiz und Österreich. Wie will sich GBL in dieser Region entwickeln?

Jens Riedl: Wir bauen unsere Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen und an Firmen abseits des Parketts, den Private-Equity-Investments, in vier Segmenten auf: Dienstleistungen für Unternehmen und im Gesundheitssektor, also Business Services und Healthcare, Konsumgüter und Technologie, hier im Wesentlichen Software. Ich selbst hatte mich vor meiner Zeit bei GBL auf Firmendienstleister spezialisiert - Transport, Logistik sowie technische Prüfdienstleister, Unternehmen wie den TÜV in Deutschland und den Schweizer Konzern SGS. Der Dienstleister SGS in Genf, dessen größter Anteilseigner GBL ist, ist das weltweit größte und profitabelste Unternehmen in diesem Segment.

Bei Private-Equity-Investoren sind Technologiefirmen aus dem Banken- und Versicherungsbereich wie die Solarisbank oder N26 begehrt. Passen Fintechs auch ins GBL-Portfolio?

Fintechs sind eine Mischung aus Business Services und Software, also auch Technologie. Wir sind, wie übrigens auch Permira, beim Fintech Klarna mit einem kleinen Anteil an Bord. Das läuft über unsere Tochter Sienna, die für die kleineren Investments zuständig ist.

Diese Tochter Sienna Investment Managers legt viel Geld von Kunden an.

Ja, Sienna Investment Managers ist ein Vermögensverwalter wie KKR, EQT oder Blackstone. Aktuell werden rund 30 Milliarden Euro in den Fonds verwaltet. Als GBL sind wir in der Regel bei den Fonds als Ankerinvestor dabei.

Im Gegensatz zu Sienna IM investiert die Holding Groupe Bruxelles Lambert ausschließlich Geld aus der eigenen Bilanz. Was macht GBL aus?

Die auf Unternehmensbeteiligungen spezialisierte und seit 60 Jahren börsennotierte belgische Holding wurde von den Unternehmerdynastien Frère aus Belgien und Desmarais aus Kanada gegründet. Mit ihrer Philosophie formten Frère und Desmarais die Holding. Beide Familien waren damals als Unternehmer und Beteiligungsspezialisten außerordentlich erfolgreich, in einer Zeit, als Private Equity und börsennotierte Beteiligungsfirmen in Europa wenig bekannte Exoten waren. Heute gehören den Familien, die weiterhin die Kultur bei GBL prägen, rund 29 Prozent der Anteile und 44 Prozent der Stimmrechte. Sie haben auch die Vetorechte, um den Bestand der Holding langfristig zu sichern.

Wie tritt die Gruppe an der Börse auf?

Auf dem Parkett ist GBL aktuell rund 15 Milliarden Euro wert. Der Nettovermögenswert, also der Wert der Beteiligungen abzüglich der Kredite, lag Ende 2011 bei etwa 22,5 Milliarden Euro. Ein Abschlag auf das Beteiligungsvermögen ist nicht ungewöhnlich.

Was unterscheidet die GBL von Schwergewichten wie Blackstone, KKR oder EQT, den Vermögensverwalter der Dynastie der Wallenbergs in Schweden?

Wir sind primär eine Investmentholding, die überwiegend das Geld ihrer Aktionäre in Beteiligungen investiert. Daher haben wir einen längerfristigen Investitionshorizont. Bei Unternehmen wie KKR oder Blackstone sind und waren die Beteiligungsfonds für Kunden die Basis ihres Geschäftsmodells. GBL ging früh aufs Parkett, um zu wachsen, während Finanzinvestoren wie KKR und Blackstone und demnächst CVC Capital als Konzerne an die Börse starten.

Wie hat sich der Markt für Private-Equity-Investments nach zwei Jahren mit Höchstständen bei den Aktienindizes verändert? Sind Beteiligungen im deutschsprachigen Europa, in der Region DACH, nun zu hoch bewertet?

Das kann man pauschal nicht so sagen. Wir sehen nach wie vor attraktive Investitionsmöglichkeiten und haben eine aktive Deal-Pipeline, auch in DACH.

In welcher Größenordnung?

Wir investieren typischerweise zwischen 250 Millionen und zwei Milliarden Euro Eigenkapital.

Verfolgen Sie Familienunternehmen oder Abspaltungen von Konzernen?

Beides. Idealerweise arbeiten wir aber mit Unternehmerfamilien und Gründern zusammen.

Wie stark belasteten die Turbulenzen an den Börsen die Bewertungen von Firmen abseits des Parketts?

Die kurzfristigen Schwankungen bei den Bewertungen von Firmen abseits der Börse sind in der Regel geringer. Vorübergehend etwas günstiger zu haben sind aktuell meist Software- und Technologiefirmen.

In den Fonds werden Milliardenbeträge geparkt. Bringt das die Preise für Beteiligungen schnell nach oben?

Natürlich treiben die erheblichen Mittel und die günstige Finanzierung grundsätzlich die Preise. Es ist aber unser Job, eine gute Balance zwischen Bewertung und Unternehmensqualität beziehungsweise -potenzial zu finden.

Wie gehen Sie vor?

Wir investieren erstens in Märkte mit einem unterstützenden Trend für Wachstum, zum Beispiel Digitalisierung. Wichtig sind zweitens starke und gute Unternehmen. Es muss nicht der Marktführer sein, aber Unternehmen, die in der Lage sind, Marktanteile zu gewinnen. Drittens schätzen wir das Potenzial zur Weiterentwicklung des jeweiligen Geschäfts, wie zum Beispiel durch Internationalisierung, Zukäufe, neue Produkte oder neue Dienstleistungen. Wenn wir an diese drei Kriterien einen Haken machen können, nehmen wir in einzelnen Fällen eine höhere Bewertung in Kauf. Wir akzeptieren sie als Beleg für die Qualität der Beteiligung.

Wie ist das in verschiedenen Branchen?

Wenn ein Geschäft nicht zyklisch ist, zum Beispiel Software, oder die Firma über einen hohen Anteil wiederkehrender Erlöse verfügt, ist auch ihre Bewertung höher. Bei Software kann unsere Grenze bei der Bewertung deshalb höher sein als etwa bei einem Hersteller von Konsumgütern.

Räumt GBL den Beteiligungsunternehmen mehr Zeit für die Wertentwicklung als Investment ein, bleiben sie also länger als fünf Jahre im Portfolio?

Im klassischen Private-Equity-Geschäft bleiben Unternehmen im Durchschnitt circa fünf Jahre in den Portfolios. Nach dieser Zeit muss ein Private-Equity-Fonds in der Regel die Beteiligung verkaufen, um den Investoren des Fonds ihr Geld plus Rendite zurückzuzahlen. Weil wir bei vielen Investments ausschließlich eigenes Geld investiert haben, können und wollen wir meistens aber viel länger Anteilseigner bleiben, zehn bis 15 Jahre etwa. Mehr Zeit für die Entwicklung einer Firma zu haben, sehen wir als Vorteil für uns.

Ist die auf Private Equity fokussierte GBL-Tochter Sienna der Kern für die zweistelligen jährlichen Steigerungen des Nettovermögenswerts?

Nein, es sind zwei Säulen. Sienna ist eine davon. Mit mehr als 30 Milliarden Euro in Vermögenswerten ist Sienna allerdings schon ziemlich groß. Die zweite Säule ist ein deutlich höherer Anteil privater Deals, den wir anstreben. So haben wir im vergangenen Jahr in Deutschland beispielsweise in den Koblenzer Fahrradhersteller Canyon investiert. Bei Private Equity können aufgrund der anteiligen Kreditfinanzierung die Renditen auf das eigene Kapital höher als bei einem Investment in börsennotierte Firmen sein.

Warum investiert GBL in börsennotierte Unternehmen - um, wie aktivistische Aktionäre, mit Druck auf den Vorstand Veränderungen durchzusetzen?

Wir sind als Großaktionär aktiv, aber nicht aktivistisch. Wir sind auch hier, genauso wie bei unseren Beteiligungen abseits der Börse, nicht auf Kurzfristigkeit ausgerichtet. Das soll die Erfolge aktivistischer Anteilseigner nicht schmälern. Sie liegen mit ihren Anliegen zur Änderung der Firmenstrategie häufig richtig. Wir setzen in jedem Fall auf konstruktive Kooperation mit dem Vorstand, unterstützt durch unseren eigenen unternehmerischen Ansatz, und natürlich haben wir Forderungen, die wir im Unternehmen umsetzen wollen.

Wie geht GBL also vor?

Wir wollen immer unter den größten Aktionären sein. Wir sind immer im Aufsichtsrat und beeinflussen dort die wichtigsten Themen. Wir drängen auf Mitsprache bei Strategie, Kapitaleinsatz, Personal und Vorstandsbesetzungen, Übernahmen und ESG-Kriterien.

Also hat GBL Vorschläge und Kandidaten für Vorstand, Aufsichtsrat und für Führungskräfte auf hohen Ebenen?

Ja, ich bin ziemlich sicher, dass wir in allen unseren Portfoliounternehmen bei der Besetzung von mindestens einem und häufig auch mehreren Vorständen aktiv involviert waren, genauso wie bei der Auswahl der Aufsichtsratschefs und den Mitgliedern des Kontrollgremiums.

Wie wird GBL einer der großen Aktionäre in einem Unternehmen?

Wir erwerben große Aktienpakete, etwa von institutionellen Investoren. Bei SGS übernahmen wir den 15-Prozent-Anteil der Familie von Finck. Inzwischen sind wir mit knapp einem Fünftel beteiligt. Einstiege in dieser Größenordnung werden auch mit den anderen Großaktionären und mit dem Management besprochen.

Welcher Korridor gilt für Größe der Investments?

Wir investieren zwischen 250 Millionen und zwei Milliarden Euro Eigenkapital. Wenn wir uns für ein Unternehmen entschlossen haben, nehmen wir Kontakt zu den größeren Anteilseignern auf.

Sind Nachfolgeregelungen familiengeführter Unternehmen in Deutschland immer noch ein großes Thema?

Ja, hier sehen wir uns mit unserer unternehmerischen Erfahrung und unserem langfristig angelegten Ansatz für eine Übernahme oder Beteiligung im Vorteil. Bei dem Fahrradhersteller Canyon waren wir damit zum Beispiel erfolgreich. Firmengründer Roman Arnold, heute Aufsichtsratschef seiner Firma, verkaufte uns im vergangenen Jahr circa 60 Prozent der Anteile. Wir haben uns gegen unsere Mietbieter durchgesetzt, obwohl wir nicht das höchste Gebot abgegeben haben. Für Canyon-Gründer Arnold waren ein langfristiges Engagement und die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmern gute Argumente.

Sind auch europäische Biotechfirmen für GBL interessant?

Nein, die Pharmabranche ist für uns kein Schwerpunkt. Bei Healthcare fokussieren wir uns auf Medizintechnik und Dienstleister wie zum Beispiel Krankenhaus- und Ärztehausketten.

Kommt das Potenzial des deutschsprachigen Europa auch aus dem vergleichsweise starken Mittelstand?

Deutschland ist diesbezüglich sehr attraktiv, dennoch finden die meisten Transaktionen in Großbritannien statt.

Wie stark ist die DACH-Region im GBL-Portfolio?

Von insgesamt 22,5 Milliarden Euro in Beteiligungen sind über neun Milliarden in Firmen im deutschsprachigen Europa investiert. Damit ist es unsere größte Region. Bisher ist GBL vor allem als Investor in börsennotierte Firmen bekannt. Das ändert sich jetzt mit unserem Fokus auf Beteiligungen an privaten Unternehmen. Wir sind darüber hinaus langfristig orientiert und nicht aktivistisch. Diese Kriterien waren für mich ein wichtiger Grund, zu GBL zu wechseln.

Investoren spekulieren über einen Börsengang der GBL-Beteiligung Webhelp.

Das kann immer eine Option sein. Börsengänge sind für uns eine Möglichkeit für einen Teilausstieg. Häufig bleiben wir nach dem IPO noch lange, zum Beispiel fünf bis zehn Jahre, bei den Firmen an Bord. Auch das unterscheidet uns von klassischen Finanzinvestoren.

Vita:

Spezialist für Industrie & Tech

Vom Finanzinvestor Permira wechselte Jens Riedl (48) im Januar 2022 als Chef für das deutschsprachige Europa zur Groupe Bruxelles Lambert (GBL). Bei Permira leitete der promovierte Betriebswirt weltweit die Sektoren Industrials und Business Services. Als Senior Partner der Region DACH war Riedl im Bereich Private Equity des Beraterkonzerns BCG für die Segmente Transport und Logistik verantwortlich. Seine Laufbahn begann er 1997 bei Daimler als Doktorand im Bereich Corporate Controlling.

Portfolio:

Fokus Europa

GBLs Investments waren Ende letzten Jahres 22,5 Milliarden Euro wert. Die Anteile an den börsennotierten Firmen Adidas, GEA Group, Holcim, Imerys, Mowi, Pernod Ricard, SGS und Umicore machten drei Viertel aus. Unter den nicht börsennotierten Positionen sind etwa Fahrradhersteller Canyon, Spieleentwickler Voodoo oder Freizeitparkbetreiber Parques Reunidos.