Kreativität gilt als ein Markenzeichen Indiens. Auch Polizisten sind erfinderisch. Um auf die Pandemie-Gefahr aufmerksam zu machen, setzten sie Helme auf, die das Virus nachbilden. Wer sich dennoch nicht an die Ausgangssperre hielt, wurde von den Ordnungshütern nicht selten mit Härte dazu gezwungen.

Covid-19 verbreitete sich dennoch rasant. Indien ist das Land der Gegensätze. Einerseits entwickelt es sich zur wirtschaftlichen Großmacht. Nach China und Japan rangiert der Subkontinent in Asien mittlerweile auf Platz 3. Auch gibt es eine konsumfreudige Mittelschicht. Andererseits leben Millionen Menschen noch in Slums, wo Abstands- und Hygiene-Regeln nicht eingehalten werden können. Zudem fehlt den Bewohnern dort das Geld für medizinische Versorgung.

Vor ein paar Wochen haben die Behörden damit begonnen, den Lockdown schrittweise aufzuheben. Nun steigen die Fallzahlen noch schneller, zuletzt haben sich an einem Tag mehr als 60.000 Menschen neu angesteckt. Die Gesamtzahl der Infizierten liegt aktuell bei über zwei Millionen.

Der wirtschaftliche Schaden wiegt schwer. Nach vier Jahrzehnten hoher Wachstumsraten wird das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr erstmals schrumpfen. Der Internationale Währungsfonds rechnet mit einem Minus von 4,9 Prozent. Die indische Ratingagentur ICRA Limited hält gar einen Einbruch um 9,5 Prozent für möglich. Bestätigen sich die düsteren Prognosen, wird die Arbeitslosenrate wieder anziehen. Im Lockdown-Monat April verloren dem Centre for Monitoring India zufolge 122 Millionen Inder ihren Job.

Gegensätze weisen auch Wirtschaft und Aktienmarkt auf. Nach Ansicht von Raiffeisen Capital Management wird die Rezession bei den meisten börsennotierten Unternehmen zu Gewinnrückgängen im zweistelligen Bereich führen. Trotzdem steigen an der Börse in Mumbai die Kurse. Seit dem Tief am 23. März legte der iShares MSCI India um rund 44 Prozent zu. Auf Jahressicht weist der Exchange Traded Fund (ETF) damit nur noch ein Minus von circa drei Prozent auf. Die Rally speist sich aus mehreren Quellen. Investoren setzen darauf, dass die Regierung von Premierminister Narendra Modi und die Notenbank bei einer weiteren Verschlechterung der ökonomischen Lage ihre Stimulierungsbemühungen noch einmal intensivieren. Bislang hat Neu-Delhi umgerechnet 225 Milliarden Euro mobilisiert. Arme, die Mittelschicht und Indiens Industrie sollen von den Finanzhilfen profitieren, sagt Modi.

Zusätzliche fiskalische Spielräume gibt es allerdings nicht mehr. Das Haushaltsdefizit droht schon jetzt auf acht Prozent zu klettern. Vor Corona hatte die Regierung eine Neuverschuldung von lediglich 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angepeilt. Greift allerdings das aktuelle Konjunkturpaket, bleibt zudem ein erneuter landesweiter Shutdown aus, kann die Wirtschaft sich schon im kommenden Jahr wiederbeleben. Die aktuelle Aktienkurserholung wäre dann fundamental begründet.

Wie stark der Aufschwung sein wird, lässt sich aber nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Reserve Bank of India kann die Konjunktur jedenfalls kaum weiter ankurbeln. Ihre geldpolitischen Möglichkeiten scheinen erschöpft. Seit März senkte Notenbankchef Shaktikanta Das den Leitzins um 115 Basispunkte auf vier Prozent. Anfang August wurde dieser Satz mit Verweis auf Inflationsrisiken entgegen der Erwartungen beibehalten.

Doch nicht nur Spekulationen auf staatliche Hilfe treiben die Kurse. Eine ganze Reihe von Unternehmen schlägt sich trotz Krise gut. So meldete beispielsweise Indiens größter Motorradhersteller Hero MotoCorp im Juli im Vergleich zum Vorjahresmonat einen Anstieg der Verkäufe um 14 Prozent. Das Unternehmen sei gut aufgestellt, um die aktuellen Herausforderungen zu meistern und die langfristigen Chancen des indischen Marktes zu nutzen, motiviert CEO Pawan Munjal Investoren zum Kauf. Seit Ende März verbesserte sich der Kurs von Hero an der Börse in Mumbai um circa 75 Prozent. Auch der Lebensmittelkonzern Britannia Industries steigerte - unter anderem wegen größerer Online-Nachfrage nach Keksen und Kuchen während des Lockdowns - zuletzt Umsatz und Gewinn. Der Titel legte seit Jahresanfang rund 30 Prozent zu.

Digitale Offensive

Ebenfalls prächtig entwickelte sich Reliance Industries. Die Aktie des Mischkonzerns kletterte in Mumbai seit Jahresanfang um etwa 40 Prozent. Dank der Rally belegt Mehrheitseigentümer Mukesh Ambani in der Rangliste der Reichen der Welt mittlerweile Platz 4. Der 63 Jahre alte Vorstandschef reduziert das Energiegeschäft und treibt die digitale Transformation in seinem Land voran. Sein Unternehmen Jio Platforms bietet neben dem Verkauf von Handys unter anderem Streamingdienste an und ermöglicht virtuelle Konferenzen. Künftig will Ambani zusammen mit Google günstige Jio-Smartphones für den indischen Markt entwickeln und die chinesische Konkurrenz verdrängen.

Die Konzentration auf den Binnenmarkt ist für Indiens Unternehmen sinnvoll. Pro Jahr steigt die Bevölkerungszahl um 15 Millionen Menschen. Bis 2050 wird das Land 1,7 Milliarden Einwohner beziehungsweise Konsumenten zählen. Trotz der aktuellen Risiken: Neben Kreativität und weitsichtigen Unternehmern ist die Demografie ein weiterer Grund für Anleger, sich langfristig zu engagieren.
 


INVESTOR-INFO

DWS India

Vertrauen in Reliance

Manager Linus Kwan hat über 30 Prozent der Mittel in Finanzwerte wie die ICICI Bank investiert. 14 Prozent stecken in Technologietiteln wie Infosys und Tata Consultancy Services. Mit über neun Prozent ist der Mischkonzern Reliance Industries am höchsten gewichtet. In den vergangenen drei Monaten legte der Fonds elf Prozent zu. Seit Jahresanfang weist er ein Minus von rund zwölf Prozent auf. Für risikobereite Investoren, die mit zum Teil größeren Schwankungen leben können.

HVB Solactive BRIC E-Commerce

Onlinehändler im Paket

Das Zertifikat bündelt die Aktien von 20 Unternehmen aus den BRIC-Ländern Brasilien, Russland, Indien und China, die im E-Commerce aktiv sind. Im abgebildeten Solactive-Index haben neben dem indischen IT-Dienstleister HCL Technologies die Internetkonzerne Alibaba und Tencent aus China das größte Gewicht. Binnen drei Jahren brachte das Papier ein Plus von rund 50 Prozent. Gute Möglichkeit, um auf die wichtigsten Internetfirmen der größten Schwellenländer zu setzen.