Auf Regalbrettern hinter einer gepanzerten Tür reiht sich eine Medikamentenschachtel an die nächste. Bei Temperaturen von 30 bis 40 Grad sowie unterschiedlichen Luftfeuchtigkeiten müssen die Mittel ihre Haltbarkeit unter Beweis stellen. So ist es Vorschrift, auch hier bei dem Pharmahersteller Universal am Rand von Nairobi. Palu Dhanani, Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens, blickt zufrieden auf die Tabletten, Säfte und Cremes. Von Antibiotika über Schmerztabletten bis hin zur Malaria-Therapie vertreibt er rund 100 verschiedene Produkte in einem Dutzend afrikanischer Länder.

In zwei Jahren könnte ein weiteres Medikament dazukommen, der Auftrag dafür stammt aus Deutschland. Für Merck soll Universal Tabletten gegen die Wurmerkrankung Bilharziose herstellen und verpacken, wenn das speziell für Kinder entwickelte Mittel zugelassen wird. Dhananis Mitarbeiter bereiten sich jetzt schon darauf vor, der Technologietransfer läuft.

Überraschender Einfluss. Er selbst spricht von "business as usual", Universals Produktionskapazität liegt bei drei Milliarden Tabletten pro Jahr, die Firma produziert für UNICEF und andere internationale Organisationen. Ungewöhnlich ist die Zusammenarbeit trotzdem: Ein Hersteller in Kenia steht sonst eher selten auf der Lohnliste westlicher Pharmakonzerne. Auch dass Merck überhaupt ein kindgerechtes Medikament entwickelt und langwierige Studien finanziert hat für eine Krankheit, die in aller Regel Menschen in armen Ländern betrifft, ist nicht alltäglich. Die größte Überraschung ist jedoch, dass bei all dem der Einfluss nachhaltig orientierter Investoren eine wichtige Rolle gespielt hat.

Seit Jahren nimmt das Interesse und das Produktangebot an nachhaltigen Investments zu. Aber bei vielen, die anlegen, bleiben Zweifel: Kann man mit der Wahl seiner Geldanlage wirklich einen positiven Einfluss auf Mensch und Umwelt erzielen? Oder ist das nur ein Marketingversprechen?

Chance fürs Geschäft. Tatsächlich wird im Gesundheitssektor die Macht der Investoren zusehends sichtbar. Einige Indizien zeugen vom Beginn eines Wandels, der auf den stetig wachsenden Druck von Aktionären zurückzuführen ist. Pharmaunternehmen verwandeln sich deshalb nicht in Wohltätigkeitsorganisationen. Im Gegenteil: Es entstehen für große wie kleine Firmen sogar neue ökonomische Nischen.

Bei Merck war das schlechte Abschneiden beim Access to Medicine Index vor elf Jahren der Auslöser für Veränderungen. Der viel beachtete Report einer niederländischen Stiftung beurteilt nach verschiedenen Aspekten, inwieweit Pharmafirmen gerechten Zugang zu ihren Medikamenten ermöglichen. Im Merck-Vorstand reagierte man verärgert auf die Platzierung auf dem drittletzten Rang unter 20 globalen Konzernen. "Der Zugang ist dann zu einem wichtigen Thema geworden, für alle unsere Medikamente", sagt Jutta Reinhard-Rupp, Leiterin des Merck Global Health Institute. Heute ist es Teil der Firmenstrategie, Produkte auf möglichst vielen Märkten zu fairen Bedingungen zugänglich zu machen. "Es ist natürlich ganz klar eine Reputationssache, es hat einen gesellschaftlichen Impact, der von Investoren immer mehr nachgefragt wird. Aber Merck sieht die Aktivitäten in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen auch als Eintrittspforte für andere Geschäftsaktivitäten", erklärt Reinhard-Rupp. Zudem sind Werteorientierung und Nachhaltigkeit heute unverzichtbare Argumente, wenn es darum geht, qualifizierte Mitarbeiter zu finden und zu halten. Catherine McCabe, Analystin im Nachhaltigkeitsteam der Fondsgesellschaft BMO Global AM, bestätigt, dass der Sinneswandel einen wachsenden Teil der Branche erfasst: "Bis vor nicht allzu langer Zeit wurde der Zugang zu Medikamenten in erster Linie als philanthropische Aktivität betrachtet. Es ist eine fundamentale Wende, dass dieser Aspekt heute als Teil der Business- Strategie gilt."

Für Merck lag das Engagement gegen Bilharziose nahe. Das bis heute einzige Medikament gegen die über Hautkontakt in Seen und Flüssen übertragene Wurmerkrankung wurde in den 70er-Jahren in einer Merck-Kooperation mit Bayer entdeckt: Praziquantel. Nach der peinlichen Ranking-Platzierung verzehnfachte der Darmstädter Konzern die Anzahl der Praziquantel-Tabletten, die pro Jahr an die WHO gespendet wurden, von 25 auf 250 Millionen pro Jahr. Das entspricht der geschätzten Zahl der Menschen, die sich jährlich in 78 Ländern infizieren. Viele betroffene Staaten haben Präventionsprogramme eingerichtet, in denen das Medikament einmal pro Jahr in Schulen ausgegeben wird.

Babys und Kleinkinder werden von diesen Aktionen jedoch nicht erfasst. Die sehr große, extrem bitter schmeckende Tablette ist für sie auch nicht geeignet. Folglich kann sich eine Infektion bei Jüngeren jahrelang ungestört im Körper ausbreiten. Chronische Bilharziose verursacht langfristig Organschäden, Leber- und Blasenkrebs, Unfruchtbarkeit und eine erhöhte Anfälligkeit für die Ansteckung mit HIV. Kinder können Entwicklungsverzögerungen und Lernbehinderungen erleiden. Obwohl die Sterblichkeit bei Bilharziose viel geringer ist, folgt sie in tropischen Ländern bei den Krankheiten, die den größten wirtschaftlichen Schaden anrichten, gleich auf Malaria.

Wini und Elisabeta bleiben solche schwerwiegenden Gesundheitsprobleme wohl erspart. Die zweijährigen Zwillinge sind oft am Ufer des Victoriasees, dem zweitgrößten Süßwassersee der Welt. Wenn Mutter Damaris Atieno Kleidung oder Geschirr wäscht, werden die Mädchen auch gleich selbst eingeseift, denn das Wasser kübelweise nach Hause zu tragen und abzukochen, nur damit die Kinder baden können, dafür hat hier auf der kleinen Insel Rusinga niemand die Muße. So werden sich die Mädchen angesteckt haben, erklären Mitarbei- ter des staatlichen kenianischen Forschungsinstituts Kemri der Mutter. Sie möchten die Zwillinge im Rahmen der entscheidenden klinischen Studie mit den neuen Praziquantel-Tabletten behandeln, die klein und wasserlöslich sind und fruchtig schmecken. "In Ufernähe sind bis zu 90 Prozent der Kinder mit den Parasiten infiziert. Süßwasserschnecken dienen den Saugwürmern als Zwischenwirte", sagt Maurice Odière, Leiter der Einheit für vernachlässigte Tropenkrankheiten am Kemri.

Innovationen bei der Diagnose. Die Eier der Erreger lassen sich unter dem Mikroskop im Stuhl oder Urin der Kinder nachweisen, eine mühselige und unappetitliche Arbeit. Auch hier gibt es Ideen für Innovationen: Odière will demnächst ein System ausprobieren, das mit künstlicher Intelligenz die Mikroskopbilder auswertet, der Pharmariese Johnson & Johnson hat es entwickelt. Merck forscht zudem an einem Schnelltest, der die Krankheit anhand von Blut- oder Speicheltropfen diagnostizieren kann. Im Access to Medicine Index rangiert das Unternehmen mittlerweile seit Längerem in den Top Ten. Das "Wall Street Journal" kürte Merck im vergangenen Jahr unter über 5000 Unternehmen als Nummer 1 in Bezug auf soziale Ausrichtung und als Nummer 5 insgesamt in Sachen Nachhaltigkeit.

Dass hier für eine vernachlässigte Tropenkrankheit ohne Aussicht auf Millionen-Einnahmen Neues entwickelt wird, erfreut aber nicht nur Nachhaltigkeitsanalysten und die Macher der Rankings. Zuletzt hat die Corona-Pandemie überdeutlich gezeigt, dass sich derartiges Engagement in Form von Erkenntnisgewinn, Kontakten und Technologiefortschritt für Unternehmen wie Investoren auszahlen kann. So hätten die Covid-Impfstoffkandidaten von Biontech, Curevac, Astrazeneca und Johnson & Johnson mit ziemlicher Sicherheit niemals so schnell zur Verfügung gestanden, wenn diese Unternehmen nicht über Jahre hinweg an "nicht lukrativen" Krankheiten geforscht hätten. Biontech und Curevac betreiben Entwicklungsprogramme gegen Infektionskrankheiten mit der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung, Astrazenecas Partner an der Universität Oxford hatten zuvor am mit Sars-CoV-2 verwandten Mers-Virus geforscht. Johnson & Johnsons Corona-Impfstoff basiert auf der Technologie der Ebola-Vakzine des Konzerns.


"Mein Traum ist, dass ein in Afrika hergestelltes Medikament in Europa auf den Markt kommt."
Palu Dhanani, Geschäftsführer Universal Corporation

Die erwarteten Umsätze - beim Team Pfizer/Biontech könnten laut Pfizers Prognose im laufenden Jahr 26 Milliarden Dollar zusammenkommen - sorgen für eine Neubewertung von Technologien zu Impfstoffen und Infektionskrankheiten bei Investoren. So wurde Vaccitech, das aus der Universität Oxford hervorgegangene Unternehmen hinter dem Astrazeneca-Impfstoff, beim Börsengang an der Nasdaq mit über 600 Millionen Dollar bewertet. Der Aktienkurs von Valneva, einem französischen Impfstoffhersteller mit einem Fokus auf Tropenkrankheiten und einem potenziellen Covid-Impfstoff, hat sich im vergangenen Jahr fast vervierfacht.

Der Druck von nachhaltig orientierten Investoren wird indes nicht nur an Projekten wie dem von Merck sichtbar. Der Schweizer Pharmakonzern Novartis hat sich 2020 mit einem sogenannten Social Bond Geld am Kapitalmarkt besorgt. Dabei muss der Konzern Anlegern höhere Zinsen zahlen, wenn er es nicht schafft, seine Medikamente erheblich mehr Patienten in armen Ländern zugänglich zu machen. Das US-Unternehmen Pfizer kündigte im Februar an, 70 Entwicklungsländer mit Krebsmedikamenten zu beliefern.

"Erfreulich ist vor allem die Weiterentwicklung von einzelnen Charity-Projekten zu langfristig angelegten Konzepten, bei denen es wirklich darum geht, die Bedürfnisse von bestimmten Ländern und Märkten in einer Art und Weise zu berücksichtigen, die auch aus Geschäftsperspektive Sinn macht", sagt Kristina Rüter, Global Head of ESG Methodology bei der Nachhaltigkeits-Ratingagentur ISS ESG.

Studien als Herausforderung. Damit diese Entwicklung weitergeht, sind allerdings durchaus noch Hürden zu bewältigen. Klinische Studien in Ländern mit niedrigem Einkommen, speziell auf dem afrikanischen Kontinent, sind ein Flaschenhals. Denn natürlich ist es unverzichtbar, Medikamente überall dort zu testen, wo sie auch eingesetzt werden sollen. Aber kaum jemand hat den Überblick über geeignete Kliniken oder Organisationen, wo solche Tests durchgeführt werden können. "Nur zwei Prozent aller klinische Studien finden in Afrika statt, obwohl der Kontinent 25 Prozent der globalen Krankheitslast trägt und seine Einwohner die größte genetische Diversität besitzen", sagt Fridah Mwendia, Projektmanagerin bei der African Academy of Sciences in Nairobi. Zusammen mit verschiedenen internationalen Pharmakonzernen arbeitet die Akademie an einem Internetportal, dass interessierten Firmen mit wenigen Klicks Übersicht und Kontakt zu afrikanischen Institutionen verschaffen soll, die über die nötige Infrastruktur und Zertifikate verfügen, um Studien durchzuführen. Gleichzeitig liefert das "LinkedIn für klinische Studien" regionale Daten zur Häufigkeit von Krankheiten und Anforderungen der Regulierungsbehörden. Über 1300 Standorte sind bereits enthalten. Für die Pharmabranche wird ein solches Portal Nutzen weit über Projekte zu vernachlässigten Krankheiten hinaus bringen: Beispielsweise Krebsmedikamente teilweise auch in Afrika zu testen, wäre sowohl wissenschaftlich als auch wirtschaftlich attraktiv.

Dass Patienten und die lokale Wirtschaft ebenfalls profitieren würden, steht außer Frage. Unternehmer Palu Dhanani sieht die Entwicklung als einen weiteren kleinen Schritt auf dem Weg zur Erfüllung seines Lebenstraums: dass irgendwann ein in Afrika hergestelltes Medikament in europäischen Apotheken steht. "Klingt undenkbar, oder?", fragt er bei der Verabschiedung. "Aber bis jetzt ging jeder meiner Träume in Erfüllung."


Die Recherche wurde unterstützt durch ein Global-Health-Grant-Stipendium des European Journalism Centre.

 


NACHHALTIG INVESTIEREN Wenn Fonds Druck machen

Auf Investorenseite nimmt das Thema Impact gerade erst richtig Fahrt auf. Gemeint ist die positive Wirkung, die Unternehmen erzielen, indem sie etwa dazu beitragen, die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Aktuell ruft die britische Fondsgesellschaft Schroders das Zeitalter der "Vermögensverwaltung 3.0" aus, ein Dreiklang aus Risiko, Rendite und Impact. Die Überzeugung der Geldprofis: Der Impact eines Unternehmens beeinflusst seine künftige Profitabilität. Wer hier als Anleger dabei sein will, greift am besten zu einem global investierenden, breit diversifizierten Impact-Fonds. Unternehmen durch kritische Fragen zu Veränderungen zu bewegen, ist hier Teil der Strategie. Meist enthalten diese Portfolios einen recht hohen Anteil an Aktien aus dem Gesundheitssektor, da es sich um einen attraktiver Wachstumsmarkt handelt, bei dem sich vergleichsweise gut quantifizieren lässt, was die Unternehmen leisten, um nachhaltiger zu wirtschaften. Mit dem BB Adamant Sustainable Healthcare (ISIN: LU1819586261) existiert seit einigen Jahren auch ein nachhaltig gemanagter Healthcare-Fonds. Die Schweizer Fondsboutique BB Adamant investiert dabei gestützt auf Ergebnisse der Nachhaltigkeits-Ratingagentur Sustainalytics in Arzneimittelhersteller, Medizintechnik-Unternehmen und Gesundheitsdienstleister. Mehrere Fondshäuser planen, in den kommenden Monaten ähnliche Branchenportfolios aufzulegen.