"Wie soll man anfangen, irgendwelche Rechnungen zu bezahlen, wenn man nur einmal pro Woche arbeitet?" fragt Argyros. Der 35-Jährige nimmt ab und zu Gelegenheitsjobs an, seine Frau ist ebenfalls arbeitslos.

Die 850 Euro, die Familie Argyros dem griechischen Energieversorger Public Power Corporation (PPC) schuldet, sind nur ein kleiner Teil der riesigen Schuldenmenge: PCC sitzt auf unbezahlten Rechnungen in Höhe von 2,6 Milliarden Euro. Über 40 Prozent der Griechen können ihre Stromrechnung nicht bezahlen, so hoch ist der Anteil nirgendwo sonst in Europa. In armen Gegenden gehen immer mehr Menschen dazu über, illegal Strom abzuzapfen. Damit ist der Haufen an unbezahlten Rechnungen nur die Spitze des Eisbergs für PCC. Der Konzern büßt durch Stromdiebstahl jährlich 500 bis 600 Millionen Euro Umsatz ein, wie ein Brancheninsider berichtet, der anonym bleiben will.

Laut dem Hellenic Electricity Distribution Network Operator (HEDNO), das im Auftrag von PCC die Stromzähler kontrolliert, stieg die Zahl der Fälle, in denen Stromdiebstahl nachgewiesen werden konnte, im Jahr 2016 auf 10.600. 2013 lag sie noch bei 8880 Fällen, 2012 waren es nur 4470. Die Behörden gehen allerdings von deutlich mehr Fällen aus. Privathaushalte sind in Griechenland mit analogen Stromzählern ausgestattet, die leicht manipuliert werden können. Einer der beliebtesten Kniffe sind Magneten, die die Drehzahl verlangsamen und so einen niedrigeren Verbrauch anzeigen. Tipps und Tricks zum Stromabzapfen findet man außerdem auf diversen Internetseiten. Und es gibt sogar eine Aktivistengruppe, die sich "I Won't Pay" nennt und eigenen Angaben zufolge allein in diesem Jahr hunderte Haushalte, denen wegen unbezahlter Rechnungen der Strom abgestellt wurde, wieder ans Netz angeschlossen hat.

STROMVERSORGER STÖHNT UNTER SCHULDENLAST



Die Stromgesellschaft PCC, die zu 51 Prozent in Staatshand liegt, kontrolliert 90 Prozent des privaten Strommarkts und 60 Prozent des Großhandels. Bis 2020 soll PCC seinen Marktanteil auf weniger als 50 Prozent reduzieren. Dies sieht das 86 Milliarden Euro umfassende dritte Hilfspaket für Griechenland vor. Die internationalen Geldgeber fordern außerdem, dass PCC einen Teil seiner Anteile verkauft. Das Unternehmen ist angesichts der vielen unbezahlten Rechnungen ohnehin in Bedrängnis. Geschäftsführer Manolis Panagiotakis sagte im März griechischen Parlamentariern gegenüber: "Es wird häufig gesagt, dass PCC die kritischste Phase seiner Geschichte durchläuft. Ich werde das nicht bestreiten."

Um die Verluste möglichst wieder gutzumachen hat PCC zahlungsunfähigen Kunden eine Abzahlung der Schulden in Raten angeboten. 625.000 Kunden, die dem Konzern zusammengenommen 1,3 Milliarden Euro schuldig sind, nehmen seit Januar an dem Programm teil. Auch Familie Argyros versucht so, ihre Schulden zu begleichen, untersützt von einer lokalen Wohltätigkeitsorganisation, die einen Teil der monatlichen Kosten übernimmt.

Für PCC ist die Last der Rücklagen für die unbezahlten Rechnungen nach Einschätzung des Energie-Experten Constantinos Filis mittlerweile "so hoch, dass manche sich Sorgen machen, dass PCC dem nicht mehr lange standhält". Die Umsatzzahlen des Energieversorgers sind in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres auf 453 Millionen Euro gegenüber 690 Millionen im Vorjahr gesunken. Analysten rechnen für 2016 allerdings wieder mit einem Gewinn zwischen 63 und 109 Millionen für PCC. "Es ist vertretbar, davon auszugehen, dass PCC zu groß ist, um Bankrott zu gehen", sagt Filis. "Andererseits hat vor einigen Jahren auch so mancher argumentiert, dass Staaten nicht Bankrott gehen könnten."