Weinberg kam 1891 in Brooklyn als eines von elf Kindern eines jüdischen Getränkehändlers und Alkoholschmugglers zur Welt. Bereits mit zehn verkaufte er Zeitungen am Terminal der Manhattan-Brooklyn-Fähre, mit 13 verließ er die Schule und schlug sich als Austernverkäufer und Laufbursche durch, bis er mit 16 Jahren die Wall Street entdeckte.

Er suchte sich damals im New Yorker Finanzzentrum ein hohes, gut aussehendes Gebäude aus (43 Exchange Place), fuhr mit dem Lift in den obersten Stock, klopfte an jede Bürotür und bot sich als Hilfskraft an. "Want a boy?", fragte er - und erhielt überall Absagen. Auch im dritten Stock, wo sich eine kleine Maklerfirma befand. Trotzdem kam er am nächsten Morgen zurück und gab vor, dass man ihn eingestellt habe. Schließlich arbeitete er für drei Dollar die Woche als Gehilfe des Hausmeisters.

Vom Laufburschen zum Chef



Die kleine Maklerfirma hieß Goldman Sachs. Weinbergs Job bestand darin, Spucknäpfe zu leeren, die seidenen Hüte der Firmenpartner abzustauben und ihre Überschuhe zu reinigen. Über Jahre hinweg kannten die Firmenbosse nicht mal den Namen des klein gewachsenen jüdischen Jungen mit dem breiten Brooklyn-Akzent, sie nannten ihn einfach "boy". Später wurde er in die Poststelle versetzt und fiel dort durch sein Organisationstalent auf. Im Ersten Weltkrieg diente er für kurze Zeit als Koch in der US Navy, kehrte 1918 nach Kriegsende zu Goldman Sachs zurück und wurde Börsenhändler. 1925 kaufte ihm die Firma einen Sitz an der New Yorker Börse - es war der Beginn einer sagenhaften Karriere, die ihn schließlich zu einer Ikone der Wall Street machen sollte.

1927 wurde der charismatische Weinberg Partner bei Goldman Sachs, drei Jahre später Seniorpartner. In den darauffolgenden 39 Jahren, bis zu seinem Tod im Jahr 1969, war er als Vorstandschef der Inbegriff des erfolgreichen Wall-Street-Bankers, der das ins Trudeln geratene Unternehmen zur ersten Adres-se globalen Investmentbankings machen sollte. Weinbergs Aufstieg hing eng zusammen mit dem Fall von Waddill Catchings, der damals im Unternehmen die Goldman Sachs Trading Corporation (GSTC) leitete. Der Harvard-Absolvent und Freund von Arthur Sachs, ein junger, talentierter und charmanter Banker, der bereits mehrere Firmen neu strukturierte, hatte große Pläne: Er wollte einen riesigen Investmenttrust aufbauen - einen Vorläufer der heutigen Hedgefonds - und nahm in großem Maße Kredite auf, um Mehrheitsbeteiligungen an Unternehmen zu erwerben.

Der Trust sollte 25 Millionen Dollar umfassen, doch Catchings schlug alle Warnungen in den Wind und verdoppelte diese Summe mehrfach, bis GSTC schließlich Assets in Höhe von einer halben Milliarde Dollar kontrollierte. Nach dem Crash von 1929 stürzte der Aktienkurs von GSTC ins Bodenlose ab: von 326 Dollar auf 1,75 Dollar. Goldman Sachs’ Kapital war weg, der Ruin drohte. Catchings wurde entlassen, und Weinberg übernahm als Seniorpartner die Führung der Investmentsparte.

Doch was war das Geheimnis seines Erfolgs? Weinberg war kein Finanzgenie. Aber er war ein Meister in der Kunst des Relationship-Banking, ein genialer Netzwerker. In der Zeit der Großen Depression Anfang der 30er-Jahre freundete er sich mit US-Präsident Franklin D. Roosevelt an. Dieser beauftragte ihn, einen beratenden Ausschuss für Wirtschaftsfragen zu organisieren, der sich aus mehreren Industriekapitänen zusammensetzen sollte. Der Ausschuss sollte dem Handelsministerium helfen, "die Dinge mit den Augen eines Geschäftsmanns zu sehen".

Weinberg erwies sich als geschickter Mediator und positionierte sich im Weißen Haus als Anwalt der amerikanischen Business Community. Dabei verschaffte er sich wertvolle Kontakte in den Ministerien und in der Wirtschaftselite. Es gab damals kaum einen wichtigen CEO, den Weinberg nicht persönlich kannte. Roosevelt war so angetan von Weinberg, dass er ihm mehrfach Kabinettsposten anbot, 1938 sogar den Posten des US-Botschafters in Moskau. Aber Weinberg winkte stets ab.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde er Vorsitzender des Kriegsproduktionsausschusses und verpflichtete dafür junge Manager aus den amerikanischen Top-Firmen. "Unsere Nation ist in großer Gefahr", verkündete er damals in einem dramatischen Aufruf an die US-Wirtschaft. "Amerika benötigt eine große Anzahl von talentierten jungen Führungskräften, um diese gewaltige Kriegsproduktion zu organisieren. Wir brauchen die intelligentesten jungen Stars - nur die Besten."

Nach Kriegsende kehrten all diese Manager zurück in ihre Unternehmen, und viele verpflichteten danach Weinberg als Investmentbanker oder boten ihm einen Vorstandsposten an. Weinberg saß damals im Board von bedeutenden Firmen wie Ford, General Electric, General Foods Corporation, Sears Roebuck oder B. F. Goodrich.

Aber sein wohl wichtigster Coup war der Börsengang der Ford Motor Company 1956. Er trug entscheidend dazu bei, den Ruf Weinbergs und seiner Firma Goldman Sachs als unantastbarer Marktführer zu festigen. Henry Ford II., den Weinberg in den Ausschuss für Wirtschaftsfragen geholt hatte, war damals mit dem Problem konfrontiert, einen Teil der von der Ford Foundation gehaltenen Anteile an dem Unternehmen verkaufen zu müssen. In den folgenden zwei Jahren verbrachte Weinstein die Hälfte seiner Zeit damit, rund 50 verschiedene Reorganisationspläne auszuarbeiten. Er wurde damit nicht nur zu einem der Manager des Börsengangs im November 1956, er wurde auch in den Aufsichtsrat von Ford aufgenommen.

Mann mit Moral



Die Werte, für die Weinberg stand, waren Loyalität, Demut und Unabhängigkeit. Zudem fühlte er sich zum Dienst an der Allgemeinheit verpflichtet. Goldman Sachs unterstützte etwa unter seiner Ägide keine spekulativen Unternehmen und lehnte die Emission von Aktien ohne Stimmrechte ab, da Weinberg eine Mitsprache der Aktionäre für notwendig hielt. Und er weigerte sich, als Händler oder Berater an feindlichen Übernahmen teilzunehmen. Dies in einer Zeit, in der andere große Investmentbanken sich mit mehr oder weniger großen Skrupeln gerne an diesen äußerst lukrativen Geschäften beteiligten.