Als ob nichts gewesen wäre: Die US-Börsen notieren - teilweise - so hoch wie nie zuvor. Dabei ist es nur ein paar Monate her, dass die Wall Street abstürzte. Am Mittwoch, den 19. Februar, begann der Crash. Innerhalb von nicht einmal fünf Wochen verlor der marktbreite Aktienindex S & P 500 über 35 Prozent seines Werts. Ab Mitte März dann die Erholung. Und was für eine. Inzwischen steht der Index bis auf ein paar mickrige Pünktchen wieder so hoch wie vor dem Absturz. Fast auf Allzeithoch.

Techaktien sind der Motor der Rally

Noch besser macht es der Nasdaq 100, der Index der großen Techwerte. Der schaffte den neuen Rekordstand bereits im Juni. Getragen wurde der Index beispielsweise von Tesla mit einem Plus von 80 Prozent seit dem Tief von März. Oder von Paypal mit 62 Prozent, Nvidia mit 56 Prozent, Amazon mit 51 Prozent sowie Apple mit 48 Prozent. Ganz klar: Technologieaktien waren und sind der Motor dieser Rally. Und es sieht nicht danach aus, dass sich das so schnell ändern wird.

Angeschoben wird die Rally sicherlich durch die extrem lockere Geldpolitik der Notenbank Fed, die nicht im Traum daran denkt, in naher Zukunft die Zinsen wieder zu erhöhen. Gleichzeitig schwächt der Mickerzins den Dollar, was die Gewinne der exportorientierten US-Unternehmen stärkt. Zusammen relativiert das dann die schlimmen Nachrichten der zurückliegenden Wochen. Immerhin brach im zweiten Quartal das Bruttoinlandsprodukt gegenüber der Vorperiode um 9,5 Prozent ein - das größte Minus seit 1946. Auf das Jahr hochgerechnet, beträgt der Einbruch gar astronomische 32,9 Prozent.

Doch was zählt, ist der Blick nach vorn. Und der lässt Hoffnung aufkommen. "Viele Indikatoren zeigen, dass die Wirtschaft Mitte April ihren Tiefpunkt erreicht hat", findet Ian Shepherdson, Chefökonom des Beraters Pantheon Macroeconomics. Im dritten Quartal sei in den USA ein zweistelliges annualisiertes Wachstum "mehr oder weniger garantiert" - was aber natürlich auch dem Basiseffekt geschuldet ist. Die Ökonomen der Citigroup rechnen beispielsweise mit einem Plus von 27 Prozent gegenüber dem Vorquartal.

Keine Angst vor höheren Steuern

Eine Rolle für die Aktienrally spielt sicher auch die anstehende Präsidentschaftswahl am 3. November. Denn interessanterweise hat die Lust auf Aktien nicht nachgelassen, als in den Wahlumfragen der Kandidat der Demokraten Joe Biden, der in der zurückliegenden Woche Kamala Harris als Vize nominierte, Amtsinhaber Donald Trump als Favoriten ablöste. Gewinnt Biden aber die Wahl, dann sind höhere Steuern und striktere Regulierung programmiert - eigentlich ein Schreckgespent für die Wall Street.

Laut Goldman Sachs würde eine von Biden initiierte Steuerreform den Gewinn des S & P 500 im nächsten Jahr um zwölf Prozent reduzieren, wenn die Unternehmensteuer von 21 auf 28 Prozent stiege. Anders sieht das die UBS: Hier erwarten die Analysten, dass Biden im Fall einer Präsidentschaft die Steuern nicht vor 2022 erhöhen wird. Und dann auch nur auf 24 Prozent. Deren Argument: Es wäre kaum im Interesse des möglichen neuen Präsidenten, den Aufschwung mit höheren Steuern wieder abzuwürgen.

Fakt ist: Normalerweise erhöhen Präsidentschaftswahlen die Unsicherheit für Anleger. Diesmal könnte das aber anders sein - sofern Biden die Wahl klar und deutlich gewinnt und die Demokraten auch im Kongress das Sagen haben. Denn nichts schätzen Anleger mehr als Klarheit. Da wären sogar höhere Steuern zu verschmerzen.

Trotzdem zu viel Unsicherheit? Doch lieber abwarten? Nein, finden die Geldverwalter von Capital Group in einer Analyse. "Es ist wichtig, investiert zu bleiben", schreiben sie und führen die historische Performance des S & P 500 in den zurückliegenden acht Jahrzehnten an. "Bei 18 von 19 Präsidentschaftswahlen hätte eine Investition von 10 000 Dollar zu Beginn des entsprechenden Wahljahrs zehn Jahre später an Wert gewonnen", so Capital Group. In 15 dieser Zehnjahreszeiträume hätte sich die Investition sogar verdoppelt. Man solle daher besser eine langfristige Anlageperspektive beibehalten.

Viele der beunruhigenden Nachrichten könnten gerade für Anleger nicht mehr sein als "noise", letztlich nur eine irritierende Geräuschkulisse, die vom Positiven ablenkt. Störend ist etwa immer wieder der wirtschaftspolitische Kurs von Noch-Präsident Trump. Der geht gerade erneut auf Konfrontation mit China. Aktuell sind ihm die chinesischen Firmen hinter Wechat und Tiktok ein Dorn im Auge - Tencent und Bytedance. Für ihn sind Social-Media-Apps wie Tiktok Spionageinstrumente der Volksrepublik. Bis zum 15. September läuft jetzt eine Frist, um die US-Aktivitäten von Tik Tok an den Softwareriesen Microsoft zu verkaufen. Gelingt der Deal nicht, droht das Verbot.

Stresstest sorgt für Beruhigung

Das im Januar unterzeichnete Abkommen zwischen China und den USA, das den Handelsstreit beilegen sollte und das für Erleichterung an den Märkten gesorgt hatte, ist für Skeptiker damit gescheitert. Das Problem daran: Meist bekommen derlei Nachrichten mehr Aufmerksamkeit als "Good News". Ein Beispiel ist der Stresstest, den die US-Notenbank Fed als Konsequenz aus der Finanzkrise 2008/09 im Bankensektor immer wieder durchführt. Fazit des aktuellen Tests: Grundsätzlich können alle in den USA tätigen Institute einen schweren und anhaltenden wirtschaftlichen Abschwung überstehen. Gute Nachrichten für Anlegers Nervenkostüm.

Apple: Ein Must-have der Wall Street


Mit den Zahlen für das dritte Quartal der Geschäftsperiode 2020 (per Ende September) hat Apple die Wall Street einmal mehr in kollektives Staunen versetzt. Der Technologieriese konnte die Erwartungen regelrecht pulverisieren. Ein Blick auf die einzelnen Kategorien macht deutlich, wie stark die mit dem Corona-Lockdown einhergehende Homeoffice-Bewegung das Geschäft anschiebt. Die Umsätze mit Mac-Computern und iPad-Tablets legten um jeweils mehr als 30 Prozent zu.

Verlassen können sich die Kalifornier also trotz Krise auf das iPhone. Während Analysten mit einem deutlichen Rückgang gerechnet hatten, nahmen die Erlöse im Smartphone-Segment moderat zu. Das ist umso erstaunlicher, als da viele Apple-Jünger es kaum erwarten können, bis der Konzern die nächste Generation in die Läden bringt. Im Herbst wird Apple-Chef Tim Cook das iPhone 12 aller Voraussicht nach präsentieren. Es gilt als ausgemachte Sache, dass der Verkaufsschlager dann erstmals inklusive 5G-Modem zu haben ist und Apple damit pünktlich zum Weihnachtsgeschäft in den neuen Mobilfunkstandard einsteigt. Laut den aktuellen Analystenschätzungen könnte der Konzern im kommenden Geschäftsjahr unterm Strich mehr als 65 Milliarden US-Dollar verdienen. Das wären 17 Prozent mehr als der für die laufende Periode erwartete Profit. Der Börsenwert entspricht zwar gut dem 30-Fachen des 2021er-Konsens, doch trotz dieser üppigen Bewertung führt für Investoren mit US-Ambitionen eigentlich kein Weg am Wall-Street-Krösus vorbei. Zumindest optisch wird Apple demnächst günstiger: Am 24. August führt der Konzern den vor Kurzem angekündigten Aktiensplit im Verhältnis vier zu eins durch. Von Wolfgang Hagl

Borg Warner: Mit dem E-Turbo in die mobile Zukunft


Ende Januar sorgte eine Meldung aus dem Mittleren Westen der USA in der Autozulieferindustrie für Aufsehen: Borg Warner kündigte die Übernahme von Delphi Technologies an. Einschließlich Schulden bot der nördlich von Detroit beheimatete Antriebsspezialist - in Form eigener Aktien - mehr als drei Milliarden US-Dollar für den Fahrzeugelektronikhersteller. Strategisch will das bei Autofans für seine Turbolader bekannte Unternehmen auf diese Weise noch schneller für den Wandel des Sektors fit werden. Während Borg Warner mit neuartigen Antrieben in den wachsenden Markt für Elektro- und Hybridfahrzeuge drängt, bringt die zukünftige Tochter unter anderem Know-how in der Stromumwandlung sowie bei den Ladesystemen mit. Darüber hinaus verspricht sich Borg-Warner-Chef Frédéric Lissalde durch die Fusion zusätzliche Einsparungen von 125 Millionen US-Dollar pro Jahr. Dieser Effekt dürfte ihm gerade recht kommen. In der Corona-Krise hat der notorische Kostendruck bei den Autozulieferern noch einmal zugenommen.

Wobei Umsatz und Ergebnis bei Borg Warner im zweiten Quartal weniger stark eingebrochen sind als befürchtet. Für das Gesamtjahr erwartet der CEO jetzt "nur" noch einen Erlösrückgang von schlimmstenfalls einem Fünftel. Zuvor hatte er mit einem Schwund von bis zu 27 Prozent gerechnet. Gleichzeitig gab sich Lissalde beim Cashflow zuversichtlicher. Insofern überrascht es nicht, dass die Borg-Warner-Aktie nach der Zahlenvorlage zulegen konnte. Der sich vor allem in China erholende Automarkt spricht zusammen mit einer durch die Delphi-Übernahme gestärkten E-Mobilität-Kompetenz dafür, dass die Drehzahl hoch bleibt. Von Wolfgang Hagl

Envista: Die Zähne zusammenbeißen


Ein echtes Schnäppchen inmitten der Corona-Pandemie ist Envista Holdings. Die Kalifornier sind einer der größten Hersteller von Dentalprodukten. Das Unternehmen wurde im September 2019 vom Mischkonzern Danaher abgespalten. Da während der Pandemie Zahnarztpraxen geschlossen und nur Notfälle behandelt wurden, litt Envista stark unter dieser Situation. Der Aktienkurs halbierte sich von Januar bis März 2020. Der Nebenwert konnte sich seither zwar erholen, aber nur langsam. Es handelt sich um einen Value-Titel. Der Börsenwert liegt nur leicht über dem Buchwert. Mit seinen 12 500 Mitarbeitern ist das Unternehmen auf Zahnimplantate, Kieferorthopädie, Verbrauchsmaterial und digitale Bildgebung spezialisiert. Vorstandschef Amir Aghdaei rechnet mit einer Erholung auf den globalen Dentalmärkten. Infolge der Wiedereröffnung von Praxen bekam der Umsatz, der im April um über 60 Prozent eingebrochen war, bis Juni Rückenwind und verbesserte sich im Juli weiter. Es besteht eine Rekordnachfrage nach Produkten zur Infektionsprävention. Kunden erhalten Hygieneanleitungen, um sicherzustellen, dass die Praxisöffnung in Corona- Zeiten nicht zum Desaster wird. Ende Juni installierte Aghdaei zudem zwei neue Produktionslinien für das Desinfektionsmittel Cavicide, wodurch sich die Kapazität um 25 Prozent erhöhte. Die Betriebskosten sanken zudem um 110 Millionen US-Dollar respektive 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Es kam in den vergangen Monaten zu Gehaltskürzungen, Beurlaubungen und Ausgabebeschränkungen. Ein striktes Management des Umlaufvermögens verbesserte die Liquidität des Unternehmens - der operative Cashflow blieb im zweiten Quartal positiv. Von Tim Schäfer

Facebook: Schlechtes Image, starke Zahlen


Mark Zuckerberg bekommt es gerade von allen Seiten ab: Ob Verbraucherschützer, Werbekunden, Wettbewerbshüter oder Politiker - sie alle haben sich auf den Facebook-Chef eingeschossen. Sie monieren den Umgang mit Nutzerdaten und Hassbotschaften oder werfen dem sozialen Netzwerk vor, seine Marktmacht zu missbrauchen.

Dem finanziellen Erfolg von Facebook schadet der angekratzte Ruf kaum. Im zweiten Quartal verbuchten die Kalifornier ein Umsatzwachstum um 10,7 Prozent auf 18,69 Milliarden Dollar. Analysten hatten im Schnitt mit rund 1,3 Milliarden Dollar weniger gerechnet. Auch der Profit von knapp 5,2 Milliarden Dollar lag weit über den durchschnittlichen Erwartungen. Facebook ist also auch und gerade in Corona-Zeiten imstande, bare Münze aus seiner immensen Reichweite zu schlagen. Im Schnitt waren im zweiten Quartal pro Monat 2,7 Milliarden Menschen auf dem Netzwerk aktiv - ein Fünftel mehr als noch vor zwei Jahren. Mark Zuckerberg will das Umsatzwachstum im laufenden Quartal, trotz des regulatorischen Gegenwinds und des Werbeboykotts einiger Firmen, auf dem Niveau der abgelaufenen Periode halten. Allein die ersten Zahlen aus dem Juli sowie der auf die Zielgerade zusteuernde US-Wahlkampf sprechen dafür, dass Nutzer, Unternehmen und auch Politiker weiterhin auf die Plattform drängen. Die Wall Street lässt den Finger fest auf dem "Gefällt mir"-Button, Facebook hat gerade eine kurzfristige Kurskonsolidierung nach oben aufgelöst. Man muss den Social-Media-Giganten nicht mögen und kann seine Geschäftspraktiken durchaus kritisieren, doch bei einer rein rationalen Betrachtung bleibt die Facebook-Aktie ein klarer Kauf. Von Wolfgang Hagl

Nielsen: Medienmessung auf Sparkurs


Das weltweit tätige Marktforschungs- und Datenanalyseunternehmen Nielsen ist unter anderem bekannt für die Messung der TV-Einschaltquote. Sie wird genutzt, um etwa den Preis für Werbespots zu taxieren. In über 100 Ländern wird analysiert, wie sich Kunden verhalten, um darauf basierend Trends auszumachen. Das Unternehmen spaltete sich im vergangenen Jahr auf Druck von Aktivist Elliott Management in zwei Firmen auf. Die eine fokussiert sich auf die Medien- und Werbebranche: Was sehen Konsumenten und was kaufen sie daraufhin? Die andere Firma konzentriert sich auf die Datensammlung für die Konsumgüterindustrie. Hier liefert man beispielsweise Erkenntnisse über das Kundenverhalten und die Performance im Einzelhandel. Die Kursschwäche von Februar und März nutzten Value-Anleger wie John Rogers, der über seine Fondsgesellschaft Ariel Investment bei Nielsen eingestiegen ist. Nach der Abspaltung reduzierte Nielsen die Quartalsdividende von 35 auf 6 US-Cent - das ergibt eine Ausschüttungsrendite von 1,5 Prozent. Elliott Management besitzt aktuell knapp fünf Prozent der Aktien. Daneben halten auch Vermögensverwalter wie Vanguard, Fidelity und Blackrock große Pakete an Nielsen. Der Konzern steht aktuell mit mehr als acht Milliarden Dollar in der Kreide. Zum Halbjahr erhöhte Vorstandschef David Kenny den Ausblick bis zum Jahresende für die bereinigte Ergebnisspanne je Aktie und den freien Cashflow. Im Juli kündigte er zudem an, das Geschäft zu transformieren. Man fokussiere sich auf wichtige strategische Initiativen, margenstärkere Produkte und Dienstleistungen sowie eine höhere Effizienz. Diese Maßnahmen sollen Flexibilität und Skalierbarkeit voranbringen. Von Tim Schäfer

Nike: Per Steilvorlage aus dem Formtief


Der Sportartikelriese Nike hebt sich nicht nur größenmäßig von der Konkurrenz ab. Auch bei der Bilanzierung tanzt er aus der Reihe. Bereits am 31. Mai ist für die Amerikaner das Fiskaljahr 2020 zu Ende gegangen. Daher hat der Corona-Lockdown mit voller Wucht auf die Zahlen für das vierte Quartal durchgeschlagen. Neun von zehn Läden waren für acht Wochen geschlossen. Folgerichtig verbuchte der Branchenprimus einen Umsatzrückgang um 38 Prozent auf 6,31 Milliarden Dollar und rutschte tief in die roten Zahlen. Nach der Bilanzvorlage Ende Juni fiel die Aktie zunächst in ein kleines Formtief.

Ausgerechnet Adidas hat dem Dow-Jones-Titel zuletzt wieder Beine gemacht. Beim deutschen Rivalen sind die Umsätze von April bis Juni weniger stark geschrumpft als erwartet. Zudem gaben die Franken einen vorsichtig optimistischen Ausblick ab. Beiden Unternehmen hilft der Onlineverkauf durch die Krise. Nike steigerte die E-Commerce-Umsätze im vierten Quartal um 75 Prozent und erwirtschaftet mittlerweile 30 Prozent des Geschäfts im Internet. Daneben ist das im Zuge der Pandemie bei vielen Menschen gestiegene Gesundheitsbewusstsein ein langfristiger Wachstumstreiber für den Sektor. Nike profitiert außerdem gerade von einem legalen "Doping" in Form des deutlich abgewerteten US-Dollars. Bei dem US-Konzern fallen rund 60 Prozent der Erlöse außerhalb der USA an. Daher sollte der schwache Greenback zum Start in das neue Geschäftsjahr einen positiven Impuls geliefert haben. Am 22. September präsentiert Nike die Zahlen für das erste Quartal - gut möglich, dass der Marktführer dann eine Steilvorlage sowohl für die fränkische Konkurrenz als auch für die Wall Street liefert. Von Wolfgang Hagl