Die Nutzung in dem Strafverfahren, das mittlerweile gegen Audi-Chef Rupert Stadler und andere Beschuldigte geführt wird, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, teilte das Gericht am Freitag mit. Damit könnten die vom Konzern und seiner Kanzlei bisher sorgsam gehüteten Informationen später auch in einem Strafprozess öffentlich werden und Anlegern und Verbrauchern in Schadenersatzprozessen in die Hände spielen.

Die Staatsanwaltschaft München begrüßte nun die Entscheidung, mit der die Verfassungsrichter Beschwerden des Konzerns und seiner Anwälte gegen frühere Gerichtsentscheidungen zurückwiesen. Die Staatsanwaltschaft hatte zahlreiche Aktenordner und Computerdateien bei einer Durchsuchung im März 2017 in der Kanzlei sichergestellt, durfte sie aber wegen des offenen Rechtsstreits um die Nutzung bisher nicht auswerten. Wann die Fahnder damit beginnen, sei noch offen, sagte eine Sprecherin. "Wir hoffen, dass das unsere Ermittlungen erleichtert." Die Strafverfolger beschuldigen 20 aktuelle und frühere Mitarbeiter der Volkswagen-Tochter Audi des Betrugs wegen Manipulation von Abgaswerten bei Dieselfahrzeugen. Der beurlaubte Audi-Chef Stadler sitzt in Untersuchungshaft. Die Münchner Ermittler kooperieren auch mit der Staatsanwaltschaft Braunschweig, die gegen Spitzenmanager bei Volkswagen ermittelt.

UNTERLAGEN BEWUSST BEI KANZLEI AUFBEWAHRT

Der Skandal um millionenfach manipulierte Abgaswerte, mit denen Umweltvorschriften unterlaufen wurden, war 2015 von Behörden in den USA aufgedeckt worden. Unter dem Druck der US-Ermittler hatte Volkswagen die Kanzlei Jones Day damit beauftragt, die Hintergründe intern aufzuklären. Eigentlich hatte VW angekündigt, einen umfassenden Abschlussbericht vorzulegen, doch dann veröffentlichte der Autobauer lediglich eine Zusammenfassung der Ermittlungsergebnisse ("Statement of Facts"). Aktionäre und Kunden werfen Volkswagen deshalb Verschleierung vor.

Um das von Jones Day zusammengetragene Material vor dem Zugriff von staatlichen Ermittlern zu schützen, wurde es nach Angaben von Beteiligten bewusst nicht in Konzerngebäuden, sondern in den Räumen der Anwaltskanzlei aufbewahrt. Hintergrund sind gesetzliche Regelungen, nach denen Rechtsanwälte vor Durchsuchungen besonders geschützt sind. Wie weit dieser Schutz geht, ist allerdings auch unter Juristen umstritten.

Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, die Volkswagen AG sei weder in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch in ihrem Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Die Anwaltskanzlei Jones Day könne sich als US-Unternehmen trotz Niederlassungen in Deutschland nicht auf den Schutz des deutschen Grundgesetzes berufen. Die Rechtsanwälte selbst, die sich ebenfalls beschwert hatten, seien nicht persönlich betroffen. Im übrigen bestünde ein hohes Missbrauchspotential, wenn Rechtsanwälte nicht nur besonderen Ausnahmefällen vor einer Beschlagnahme von Unterlagen geschützt seien. Denn dann könnten Beweismittel "gezielt in die Sphäre des Rechtsanwalts verlagert oder nur selektiv herausgegeben werden".

MUNITION FÜR SCHADENERSATZPROZESSE

Der Volkswagen-Konzern, der ebenso wie Jones Day bereits vor mehreren Gerichten mit seiner Linie gescheitert war, gewann dieser endgültigen Gerichtsentscheidung etwas Positives ab. "Die Volkswagen AG begrüßt, dass durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nunmehr Klarheit hinsichtlich der offenen Rechtsfragen geschaffen wurde", hieß es in einer knappen Pressemitteilung. Der Konzern hatte die von Jones Day zusammengetragenen Dokumente und Zeugenbefragungen nach Angaben von Eingeweihten auch deswegen so vehement gegen Einblick von außen verteidigt, weil das Material Munition in Schadenersatzprozessen gegen den Konzern sein könnte.

Kläger-Anwalt Andreas Tilp, der von Volkswagen Schadenersatz für Aktionäre wegen Kursverlusten fordert, zeigte sich am Freitag erfreut. "Das Ergebnis gefällt mir", sagte Tilp zu Reuters, fügte allerdings hinzu: "Wir sind auf diese zusätzliche Schützenhilfe nicht angewiesen. Wir haben schon genug Material." Der Rechtsanwalt Henning Leitz, der Verbraucher bei ihren Klagen vertritt, erwartet nach eigenen Angaben "positive Auswirkungen auf die zahlreichen Zivilklagen geschädigter VW-Kunden".

rtr