Die machtlosen Kleinaktionäre machten dennoch die Kritik am "System Volkswagen" zum Hauptthema des Aktionärstreffens am Mittwoch in Hannover. Volkswagen basiere auf einer "Filzokratie", bei der sich das Land Niedersachsen, der VW-Betriebsrat, das Management und die Großaktionärsfamilien Porsche und Piëch gegenseitig Vorteile zuschöben, machte Markus Dufner vom Dachverband Kritischer Aktionäre seinem Ärger Luft.

Die Entschuldigung von Konzernchef Matthias Müller für die millionenfache Abgasmanipulation verpuffte in der aufgeheizten Stimmung. "Dieses Fehlverhalten widerspricht allem, wofür Volkswagen steht. Es hat unser höchstes Gut beschädigt: Das Vertrauen der Menschen in unser Unternehmen und unsere Produkte", gab sich Müller reumütig. Der Konzern setze nun alles daran, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen. Doch Ulrich Hocker von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz warf der VW-Führung kollektives Versagen vor: "Wir stehen vor einem Trümmerhaufen." Die Aktionäre hätten durch den Kursverfall der VW-Aktie im Zuge des Abgasskandals viel Geld verloren. Die künftige Gewinnentwicklung stehe in den Sternen. Auch die Bonuszahlungen an den Vorstand wurden kritisiert. Dies sei eine nicht zu rechtfertigende Belohnung für Misserfolg, sagte Hans-Christoph Hirt vom Pensionsfonds Hermes.

Die Verärgerung der Anleger bekam Volkswagen schon vor der Hauptversammlung zu spüren. Auf dem Messegelände versammelten sich zwei Dutzend Demonstranten. Auf einem Transparent stand: "Keine Entlastung für Umweltverbrecher! Die Verantwortlichen und Profiteure sollen zahlen."

MARATHON-DISKUSSION



Im Saal begrenzte Aufsichtsratschef Pötsch wegen der großen Zahl von 40 Wortmeldungen die Redezeit, doch kaum ein Sprecher hielt sich an die Vorgabe. Investoren und Kleinaktionäre werfen dem Wolfsburger Konzern Intransparenz bei der Aufklärung des Dieselskandals vor. Sie kündigten an, den Vorstand für das Skandaljahr 2015 nicht entlasten zu wollen und forderten eine unabhängige Sonderprüfung. Der Mehrheitsaktionär Porsche SE will dem VW-Vorstand weiter das Vertrauen schenken und für eine Entlastung stimmen. Die Holding der Familien Porsche und Piech hält rund 52 Prozent der Stammaktien, das Land Niedersachsen 20 Prozent und das Emirat Katar 17 Prozent.

Bei der Abstimmung über die Entlastung des Vorstands rechnen Beobachter durchaus mit einem Denkzettel für den Vorstand, auch wenn sie allein schon durch die Stimmenmehrheit der Porsche SE gesichert ist. "Nach dem, was ich höre, sind auch viele Fonds inzwischen abgerückt", sagte Daniela Bergdolt von der Aktionärsvereinigung DSW dem "Bayerischen Rundfunk".

Zahlreiche Schadenersatzklagen sind in Europa und den USA anhängig, weil das VW-Management das Management nach Auffassung der Kläger zu spät über die entdeckte Manipulation der Emissionswerte informiert hat.. VW-Chefjuristin Christine Hohmann-Dennhardt bekräftigte: "Volkswagen ist unverändert der Überzeugung, seine kapitalmarktrechtlichen Pflichten erfüllt zu haben." Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt wegen mutmaßlicher Marktmanipulation gegen Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn und den jetzigen VW-Markenchef Herbert Diess.

AUFKLÄRUNG LÄSST AUF SICH WARTEN



Volkswagen hat die US-Kanzlei Jones Day mit der Aufarbeitung beauftragt, ein Abschlussbericht soll erst gegen Ende des Jahres präsentiert werden. Neue Erkenntnisse wird es auf der Hauptversammlung daher nicht geben. Aufsichtsratschef Pötsch begründete dies mit den noch laufenden Verhandlungen mit den US-Behörden über die Aufarbeitung von "Dieselgate". US-Bezirksrichter Charles Breyer hat allen Beteiligten an den Vergleichsverhandlungen einen Maulkorb verpasst. Es wäre für VW mit hohen finanziellen Risiken verbunden, die Öffentlichkeit jetzt über den Stand der Ermittlungen zu unterrichten, betonte Pötsch. Beim Festhalten an den Spielregeln erwarte Volkswagen ein Entgegenkommen der US-Behörden beim Strafmaß.