Wenn die Federal Reserve heute Abend ihre Zinsentscheidung bekannt gibt, steht mehr auf dem Spiel als nur ein Viertelprozentpunkt. Der US-Zentralbank droht der Spagat zwischen zwei unvereinbaren Welten: auf der einen Seite hartnäckige Inflation, befeuert durch neue Zollschocks – auf der anderen Seite ein abkühlender Arbeitsmarkt und eine schwächelnde Konjunktur. Willkommen in der Realität einer politisch aufgeheizten Wirtschaft, in der jede geldpolitische Entscheidung zur Gratwanderung wird.
Fed im Klammergriff von Inflation und Rezession
Seit September 2024 hat die Notenbank drei Mal die Zinsen gesenkt – in der Hoffnung, damit die konjunkturelle Abkühlung abzufedern. Doch neue Inflationsrisiken, ausgelöst durch Trumps massive Zollpakete – zuletzt 25 % auf Kanada und Mexiko, dazu ein 10 % Basistarif auf praktisch alle Importe – drohen diesen Kurs zu konterkarieren. Der Preisauftrieb durch Importkosten setzt sich bereits in den Kerninflationsdaten fest: Der PCE-Kernpreisindex liegt mit 2,6 % über dem Ziel – trotz abflachender Konsumnachfrage.
Ein Dilemma, das die geldpolitische Handlungsfreiheit drastisch einschränkt. Zinssenkungen wären aus arbeitsmarktpolitischer Sicht geboten, doch sie drohen, die Inflationsspirale erneut anzuheizen. Der Begriff „Stagflation“ ist zurück – ein toxisches Szenario aus stagnierender Wirtschaft und steigenden Preisen.
Trump’s Handelsagenda: Makroschock mit Ansage
Was viele Investoren bislang unterschätzt haben: Der aggressive Kurs in der Handelspolitik wirkt wie ein exogener Schock auf beide Seiten der volkswirtschaftlichen Gleichung – Angebot und Nachfrage. Auf der Angebotsseite steigen Produktionskosten, weil Importwaren teurer werden. Gleichzeitig sinkt die Nachfrage, weil Exportmärkte wegbrechen und Konsumenten verunsichert sind.
Besonders drastisch fällt die Bewertung der neuen „360°-Zollstrategie“ aus: Die USA befinden sich faktisch im Handelskrieg mit der gesamten Welt – und das bei einem ohnehin fragilen Binnenkonsum. Ökonomen rechnen damit, dass das BIP-Wachstum in diesem Jahr um bis zu 1,4 Prozentpunkte gedrückt wird – allein durch zollinduzierte Preis- und Nachfrageeffekte.
DOGE – nicht die Coin, sondern ein Risiko für die Konjunktur
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist die sogenannte „Department of Government Efficiency“ (DOGE). Das Gremium – eine Art Schattenministerium unter Trumps Führung – strebt massive Entlassungen im öffentlichen Dienst an. Bereits jetzt mehren sich Berichte über rechtswidrige Kündigungen und ausbleibende Bundeszahlungen. Sollte DOGE seine Pläne weiter forcieren, droht der Verlust zehntausender Arbeitsplätze – ein unmittelbarer Dämpfer für die Binnennachfrage und das Vertrauen der Verbraucher.
Noch gravierender ist der institutionelle Schaden: Wenn öffentliche Infrastruktur – etwa in Gesundheit, Verkehr oder Forschung – beschnitten wird, sinkt langfristig die Produktivität. Das ist Gift für Wachstum und Investitionen.
Investoren taumeln zwischen Risiko und Gelegenheit
Für Anleger bedeutet diese Gemengelage eine neue Phase erhöhter Unsicherheit. Die Märkte haben den Hoffnungskurs auf anhaltende Zinssenkungen weitgehend eingepreist – doch die Realwirtschaft spielt nicht mit. Die Arbeitslosigkeit ist auf 4,2 % gestiegen, gleichzeitig stagniert das Wachstum. Erste Frühindikatoren – etwa Auftragseingänge oder Einkaufsmanagerindizes – zeigen Richtung Kontraktion. Dazu kommt das schwache Q1-BIP von -0,3 %, auch wenn ein Teil davon auf Vorratskäufe vor Zollanhebungen zurückgeht.
Wer jetzt auf eine schnelle geldpolitische Wende setzt, könnte enttäuscht werden. Zu hoch ist das Risiko, dass weitere Zölle die Inflation erneut anfachen. Die Wahrscheinlichkeit einer Zinssenkung noch im Mai liegt laut FedWatch-Tool bei mageren 4,4 %
Fazit: Der Sturm hat erst begonnen
Was wir derzeit erleben, ist kein temporärer Gegenwind – es ist ein struktureller Sturm aus politischer Willkür, wirtschaftlicher Unsicherheit und geldpolitischer Ratlosigkeit. Die US-Wirtschaft steht vor einer Weggabelung: Entweder gelingt die Rückkehr zu einem stabilen, berechenbaren Rahmen – oder wir steuern auf eine Phase nachhaltiger Instabilität zu, mit schwer kalkulierbaren Folgen für Märkte und Anleger.
Die Federal Reserve steht heute Abend vor einer Entscheidung, die weit über die Zinsfrage hinausreicht. Es geht um Glaubwürdigkeit, Weitsicht – und darum, das Vertrauen der Märkte in eine stabile Geldpolitik zu bewahren. Doch in einem Umfeld, in dem Politik per Tweet gemacht wird und wirtschaftliche Großprojekte wie DOGE Realität werden, verliert selbst die Fed an Einfluss. Die nächste Etappe im Zyklus hat begonnen – und sie wird holprig.
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