von Birgit Haas, Euro am Sonntag

Ein neuer Netflix-Thriller stiftete Fans in den USA zu riskanten Experimenten an. Weil Hauptdarstellerin Sandra Bullock in "Bird Box" mit verbundenen Augen die Welt rettet, versuchen sie, ihren Alltag blind zu meistern. Ein Youtube-Video einer Tätowierung gehört noch zu den harmlosesten Ergebnissen der "Bird-Box-Challenge". Ein Teenager fuhr aber mit ­einer ­Augenbinde Auto - und baute prompt einen Unfall. Netflix warnt inzwischen vor solchen Experimenten, Youtube beantragte die Löschung der Clips.

Trotz aller Risiken - für Netflix war die Aktion kostenfreie Werbung und bewog die Streamingplattform erstmals, Nutzerzahlen für einen Film preiszugeben: In der Woche nach der Veröffentlichung riefen über 45 Millionen Accounts den Streifen ab, mehr als jeder Dritte Netflix-Kunde.

Mit solchen Inhalten konnte der US-Streamingpionier viele neue Kunden anlocken. Im Schlussquartal 2018 abonnierten knapp neun Millionen den Streamingdienst der Amerikaner. Mit nun insgesamt 139 Millionen zahlenden Kunden haben die Kalifornier Konkurrent Amazon Prime mit 110 Millionen Kunden hinter sich gelassen.

Investoren überzeugte das nicht, sie straften die Aktie ab. Mit einem Umsatzwachstum von über 27 Prozent auf 4,2 Milliarden US-Dollar blieb das Wachstum hinter den Vorquartalen zurück und lag unter den Schätzungen der Wall Street. Die Ausgaben für neue Filme im Gesamtjahr 2018, die Netflix bei rund acht Milliarden Dollar sieht, drückten auf die Profitabilität: Nach knapp acht Prozent im Vorjahresquartal und zwölf Prozent in den drei Herbst­monaten lag die operative Marge zuletzt nur noch bei rund fünf Prozent. Das operative Ergebnis betrug 216 Millionen Dollar, knapp zwölf Prozent unter dem Vorjahreswert.

Höhere Gebühren

Dass Netflix eine Menge Geld verbrennt, zeigt auch die Einnahmen-Ausgaben-Bilanz, der sogenannte Cashflow: Sie verschlechterte sich von minus 859 Millionen Dollar auf minus 1,3 Milliarden Dollar. Auch wenn Netflix zwei Tage vor Veröffentlichung der Quartalszahlen eine Erhöhung der Abo-Preise in den USA um 13 bis 18 Prozent an­gekündigte, soll das Umsatzwachstum in den laufenden drei Monaten deutlich zurückgehen: Der US-Techkonzern erwartet eine Steigerung um rund 21 Prozent nach 33 Prozent im Vorjahresquartal.

Neukunden steigen ab sofort zum höheren Tarif ein, den für Bestandskunden stellt der US-­Konzern in den nächsten drei Monaten um. Das Einsteiger-Abo kostet jetzt neun statt acht US-Dollar monatlich, die Pre­miumausführung 16 statt 14 US-Dollar. Übers Jahr gerechnet könnte die mutigste Preiserhöhung seit der Gründung 1997 zwar bis zu 1,5 Milliarden Dollar in den überschuldeten Unternehmenshaushalt spülen.

Das ist jedoch ein rein rechnerischer Wert. Denn noch im laufenden Jahr könnte im Markt ein Kampf um Kunden entbrennen. Der US-Medienkonzern Disney, die AT & T-Tochter Warner Media, der US-Kabelriese Comcast und Apple haben für 2019 Kon­kurrenzangebote angekündigt. App­le hat jüngst einen Manager von Universal TV abgeworben, um sich besser im Streaming­geschäft aufzustellen.

Um die Wettbewerber auf Abstand zu halten, setzt Netflix auf hohe Qualität seiner Inhalte und investiert dafür eine Menge Geld. Gegenwärtig nimmt der US-Konzern Kurs auf die Oscars: Als Anwärter gelten zum Beispiel "Roma" von Alfonso Cua­rón und "The Ballad of Buster Scruggs" von den bekannten Coen-Brüdern. Nächstes Jahr soll unter anderem ein Film von "The Wolf of Wall Street"-Regisseur Martin Scorsese auf die Plattform kommen. Auch wenn Netflix optimistisch bleibt und im steigenden Wettbewerb nicht unbedingt einen Nachteil erwartet - ein Erfolg wie "Bird Box" allein reicht wohl nicht aus, um Kunden zu halten.