Im Prozess vor dem Oberlandesgericht Braunschweig um Schadensersatz für Diesel-Kfz mit manipulierter Abgassteuerung geht es für Volkswagen darum, millionenschwere Schadensersatzforderungen abzuwehren.



Der Kläger, der Bundesverband der Verbraucherzentralen vzbv, will die Entschädigung von theoretisch über zwei Millionen VW-Besitzern erreichen, deren Fahrzeuge wegen der "Schummel-Software" an Wert verloren haben. Im folgenden die juristischen Standpunkte der Kontrahenten.

DER KLAGEGRUND



Die mit Manipulationssoftware ausgerüsteten Autos hätten aus Sicht des vzbv nie für den Straßenverkehr freigegeben werden dürfen. Die Verbraucherschützer werfen dem Konzern ein "vorsätzlich sittenwidriges" Verhalten vor. Deswegen sei Volkswagen grundsätzlich zu Schadensersatz verpflichtet. VW hatte eine Software verwendet, die Kontrollen erkennt und den Ausstoß von Abgasen in solchen Situationen drosselt. Betroffen sind Kfz der Marken Volkswagen, Audi, Skoda und Seat mit Dieselmotoren des Typs EA 189 mit 1,2 oder 1,6 oder 2,0 Liter Hubraum.

Volkswagen sieht die Ansprüche der Autobesitzer mit einem Update der Motorsteuerung als erledigt an. Das Kraftfahrtbundesamt hatte im Zuge des Manipulationsskandals Ende 2015 den Rückruf von 2,4 Millionen VW-Dieselfahrzeugen in Deutschland angeordnet, der Anfang 2016 startete. Die "technische Überarbeitung" sei für die Kunden "aufgrund des geringen Zeit- und Kostenaufwands" zumutbar, heißt es in einem Eckpunkte-Papier des Konzerns. Alle betroffenen Fahrzeuge könnten uneingeschränkt benutzt oder verkauft werden.

DAS KLAGEZIEL



Die Maximalforderung des vzbv ist die vollständige Rückgabe des Kaufpreises. Geklärt werden muss aus Sicht des Verbandes alternativ, ob der Kaufpreis abzüglich des Wertverlustes durch die Nutzung erstattet werden muss. Sind beide Varianten nicht durchzusetzen, soll zumindest der grundsätzliche Anspruch auf Schadensersatz erreicht werden. Auch die Möglichkeit eines Vergleichs, bei dem vzbv und VW einen bestimmten Schadensersatz aushandeln, schließen die Verbraucherschützer nicht aus.

Volkswagen sieht nach dem Software-Update der betroffenen Diesel-Kfz keine Rechtsgrundlage für Schadensersatz. Folgerichtig heißt es in dem Eckpunkte-Papier: "Deshalb sehen wir auch keinen Grund, über einen Vergleich nachzudenken."

DIE CHANCEN



Der Verband der Verbraucherschützer erklärt, die bisher gefällten Urteile im Abgasskandal seien mehrheitlich zu Gunsten der VW-Kunden ausgefallen. "Nach Statistik unserer Anwälte haben mittlerweile mindestens 82 von 115 Landgerichten in Deutschland in genau solchen Fällen, bei denen wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen VW geklagt wurde und die unserer Klage vergleichbar sind, im Sinne der Verbraucher geurteilt", teilte der vzbv auf Anfrage mit.

Volkswagen macht eine gänzlich andere Statistik auf: "Unsere Auswertung sämtlicher Entscheidungen in Verfahren gegen Volkswagen (knapp 5000 Entscheidungen) hat ergeben, dass nur zwei Landgerichte Klagen gegen VW immer stattgegeben haben, während 20 Landgerichte Klagen gegen VW immer abgewiesen haben." Zudem gebe es zwölf OLG-Urteile, die im Sinne von VW oder Autohändlern ausgefallen seien.

DIE TAKTIK



Der vzbv wirbt für seine Musterfeststellungsklage mit dem Versprechen, diese sei kostenlos. Betroffene Kfz-Besitzer könnten sich ohne Risiko der Klageregister anschließen und bestenfalls eine Menge Geld erstattet bekommen. Sollte bei der MFK ein Anspruch auf Schadenersatz festgestellt werden, sei dieser vergleichsweise einfach in einem individuellen Prozess gegen VW durchzusetzen, weil der Schaden ja schon bewiesen sei.

Volkswagen wertet diese Darstellung als geschönt, denn in einem individuellen Prozess müsse der Kläger beweisen, welches Ausmaß der ihm entstandene Schaden hat. "Eine lange Nutzungsdauer reduziert die Höhe des Schadensersatzes signifikant", heißt es in dem Eckpunkte-Papier. "Auch bei bereits verkauften oder verschrotteten Fahrzeugen kann es ausgesprochen schwierig sein, einen konkreten Schaden zu beweisen."

Kritiker werfen Volkswagen vor, auf Zeit spielen zu wollen. Denn je länger sich die Musterfeststellungsklage hinzieht, umso mehr verlieren die Autos, um die es geht, an Wert.

rtr