BÖRSE-ONLINE.de: Für viele Kinder ist Geld etwas sehr abstraktes und kleinere Geldbeträge auf die Seite zu legen schier undenkbar. Wie würden Sie Ihren Bezug zu Geld in Ihrer Kindheit beschreiben?
Jessica Schwarzer: Ich habe die Faszination für Geld schon sehr früh entdeckt und habe leidenschaftlich gerne gespart. In der Schule hatten wir beispielsweise Sparhefte, für die man beim Lehrer zu verschiedenen Pfennig- und Mark-Beträgen kleine Marken kaufen konnte. Wenn dann eine Seite mit den Marken voll war, konnte man diese zur Bank bringen, die den entsprechenden Betrag auf das Konto eingezahlt hat - ich war damals sozusagen die Spar-Weltmeisterin. Mir wurde aber schon von Zuhause sehr früh der Umgang mit Geld beigebracht. Ich bekam relativ viel Taschengeld, musste davon aber einiges selber bezahlen, zum Beispiel Schulhefte, Stifte oder auch die Schulbücher.

Wie ging es weiter?
Irgendwann habe ich dann begriffen, was Zinsen sind. Mit etwa zwölf Jahren bin ich von Bank zu Bank geradelt, habe die Zinsen verglichen und mein Geld vom Sparbuch beispielsweise in Bundesschatzbriefe umgelagert. Nach der dritten Bank hat meine Mutter, die ja immer zum Unterschreiben mitkommen musste, dann den Riegel vorgeschoben. Also bin ich mit meinem dicken Ordner bei der Sparkasse angetreten und habe die Zinsen für meine wenigen hundert Mark Sparguthaben verhandelt.

War damit auch schon der Grundstein für Ihr Interesse an der Börse gelegt?
Das kam tatsächlich erst etwas später mit Anfang 20. Ich kam - wie damals sehr viele - durch die Telekom-Aktie mit der Börse in Berührung. Der Vorschlag kam von meiner Mutter, die sehr viel darüber gelesen hatte. Wir haben dann unsere ersten Aktien gezeichnet. Ich habe sie bei einem Gewinn von 20 bis 30 Prozent wieder verkauft - also noch lange vor der großen Party. Von dem Geld habe ich dann andere Aktien gekauft und hatte schon sehr früh beispielsweise Amazon oder AOL. Leider habe ich das alles nicht lange genug gehalten. Ich habe zwar einige Gewinne gemacht, aber natürlich auch Lehrgeld bezahlt. Vor allem habe ich die Börse mit einem Casino verwechselt - gerade am Neuen Markt wurde viel gezockt. Trotz der Verluste nach dem Crash bin ich der Börse aber treu geblieben und aus der Zockerin wurde eine langfristig denkende und breit streuende Investorin.

Studiert haben Sie dann Geschichte und Politik. Wie kam es, dass Sie gerade im Bereich Finanzen durchgestartet sind?
Genau, ich habe Neuere Geschichte, Wirtschaftsgeschichte und Politikwissenschaften studiert. Dass ich Journalistin werden möchte, war mir immer klar. Aber dass ich gerade den Finanzjournalismus so für mich entdecke, war nicht geplant. Mein Chef in einem Praktikum meinte damals, dass ich ja an der Börse aktiv wäre und ob ich nicht Lust hätte, auch etwas für das Finanzressort zu schreiben.

Seit 2020 hat es in Deutschland einen starken Zulauf insbesondere junger Anleger an den Börsen gegeben. Wie schätzen Sie diese Entwicklung für die deutsche Aktienkultur ein?
Grundsätzlich ist es gut, wenn neue Anleger aktiv werden. Vor allem im ersten Corona-Lockdown haben viele junge Anleger Fonds- und ETF-Sparpläne gestartet. Etwas später im Jahr, als auch neue Anleger über Neobroker und Internetforen wie reddit an die Börse kamen, wurde viel gezockt. Das heißt aber nicht, dass sie niemals zu langfristigen Anlegern werden können. Die Hauptsache ist, dass sie mit der Börse in Berührung kommen und erste Erfahrungen sammeln. Was ich sehr empfehlen kann, sind zwei Depots: Ein "langweiliges", in dem langfristig und breit gestreut angelegt wird und eines, in dem man auch mal Spaß haben und etwas riskanteres ausprobieren kann.

Wir schätzen Sie das Enttäuschungspotenzial für die neuen Anleger ein?
Das ist definitiv da. Gerade die Anleger, die eine "Zockermentalität" haben, werden ihr Lehrgeld bezahlen müssen. Aber auch die langfristigen Anleger, die erst im Corona-Crash eingestiegen sind, werden früher oder später mit vorübergehenden Verlusten rechnen müssen. Für sie ging es bisher ausschließlich bergauf.

Zusätzlich strömen zurzeit viele junge Firmen und Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf kurzfristigen Trends im Zusammenhang mit der Corona-Krise basiert, an die Börse. Was sagen Sie dazu?
Die Stimmung ist derzeit gut und das nutzen Unternehmen natürlich. So ein Börsengang wird schließlich nicht von heute auf morgen umgesetzt. Die Unternehmen warten wahrscheinlich einfach auf Börsenphasen, in denen sie ihre Aktien gut platzieren können. Enttäuschungspotenzial gibt es bei einem IPO aber immer.

Unter anderem motivieren Sie Frauen, sich finanziell unabhängig zu machen. Was ist das schönste Feedback, das Sie dazu bekommen haben?
Eines herauszugreifen ist sehr schwierig. Aber als Autorin freut es mich natürlich sehr, wenn ich positive Rückmeldungen zu meinen Büchern bekomme. Auch über die Finanzheldinnen, eine Initiative für Frauen der Comdirect, oder als Trainerin bei der Deutschen Börse bekomme ich wunderbares Feedback. Besonders toll ist es, wenn ich nach einem Vortrag höre, dass meine Erklärungen weitergeholfen haben und ich auch ein bisschen die Angst vor der Börse nehmen konnte. Manchmal erreicht mich auch einige Monate später noch eine Mail, dass die Zuhörerin sich getraut hat und an der Börse aktiv wurde. Es ist ein tolles Gefühl, wenn man seine Botschaft vermitteln, mit einigen Vorurteilen aufräumen und auch ein Stück weit die Angst nehmen kann.

Welche drei Tipps würden Sie einem absoluten Börsenneuling geben?
Am wichtigsten ist, überhaupt ins Tun zu kommen und das geht bei Sparplänen schon mit kleinen Summen. Außerdem ist die breite Streuung wichtig - das geht am einfachsten mit Fonds und ETFs. Abschließend finde ich es sehr wichtig, langfristig zu denken und gar nicht so oft ins Depot zu schauen.

Was ist die wichtigste Lehre, die Sie aus Ihrer Zeit an der Börse gezogen haben?
Ich habe - teilweise eher schmerzhaft - gelernt, dass die Börse kein Casino ist, und wie wichtig es ist, das Risiko breit zu streuen.

Mit welcher Aktie haben Sie die größten Verluste eingefahren?
Ich muss tatsächlich gestehen, dass mich bei Wirecard die Gier gepackt hatte. Ich habe Anfang 2019 eine kleinere Position gekauft und hatte blöderweise auch noch eine Aktienanleihe. Das war dann natürlich ein Totalverlust.

Wenn Sie eine Aktie kaufen: Spielen für Sie nur sachliche Kriterien eine Rolle, oder gibt es für Sie auch emotionale Gründe, in eine Aktie zu investieren?
Ich würde sagen, emotionale Gründe können zu einer Aktie hinführen und das Interesse wecken. Für den Kauf entscheide ich mich aber wegen der Kennzahlen und eines guten Geschäftsmodells. Meine persönliche Lieblingsaktie ist LVMH. Die Aktie habe ich vor mehr als zehn Jahren gekauft, weil mir die Louis-Vuitton-Handtaschen sehr gut gefallen. Bevor ich das Papier gekauft habe, habe ich mir das Unternehmen aber natürlich genauer angeschaut.

Sie haben sich vor etwa drei Jahren selbständig gemacht. Was hat Sie zu diesem Schritt motiviert?
Ich stand an dem Punkt meiner Karriere, an dem ich etwas verändern wollte. Deshalb habe ich mir überlegt, wo meine Stärken liegen, was mir Spaß macht und auch analysiert, was ich nicht so gut kann und was mich im aktuellen Job nervt. Dabei kam schnell heraus, dass ich mich selbständig machen möchte. Das hat zum Glück von Anfang an gut geklappt.

Mittlerweile haben Sie schon sechs Bücher geschrieben. Wie finden Sie die Zeit dazu, neben Ihren sonstigen beruflichen Aufgaben?
Als ich noch festangestellt war, habe ich einen Großteil meines Jahresurlaubs dafür hergenommen und auch viele Wochenenden mit Schreiben verbracht. Das letzte Buch habe ich im Corona-Lockdown geschrieben, da hatte ich natürlich mehr Zeit. Ein Buch zu schreiben ist sehr zeitaufwändig, aber ich fange ja nicht bei Null an, sondern sammle ständig meine Ideen und hilfreiche Studien.

Welches Ihrer Bücher ist Ihnen besonders ans Herz gewachsen?
Mein Lieblingsbuch ist "Gierig, Verliebt, Panisch", in dem es um Börsenpsychologie geht. Während des Schreibens habe ich unfassbar viel gelernt und auch angepackt. In einem Kapitel geht es beispielsweise darum, wie wir mit den Leichen in unserem Depot umgehen. Meistens dreht es sich nur darum, welches Papier am besten läuft, die Verluste werden gerne verdrängt - vor allem, wenn man an das Unternehmen geglaubt hat, sich die Kurse aber nicht so entwickelt haben, wie erhofft. Beim Schreiben des Kapitels wurde ich richtig wütend, weil ich dieses Muster auch bei mir erkannt habe. An diesem Sonntagmorgen habe ich mich bei meiner Direktbank eingeloggt, meine drei Leichen in hohem Bogen aus dem Depot geworfen und das Geld in einen Dax-ETF investiert. Das war die bessere Idee, als an den Depotleichen festzuhalten.

Haben Sie schon mal überlegt, sich an ein anderes Genre zu wagen?
Als großer Krimi-Fan möchte ich sehr gerne mal einen Krimi schreiben. Ich befürchte aber, dass auch der in irgendeiner Form mit Finanzen zu tun haben wird.

Wie kann man sich einen typischen Tag bei Ihnen vorstellen?
Ich stehe früh auf und setze mich mit dem ersten Kaffee an die Arbeit. Dann schreibe ich, redigiere Texte vom Vortag und kümmere mich um meine E-Mails. Im Anschluss besuche ich einen Kurs im Fitnessstudio. Danach starte ich dann richtig durch und arbeite bis in den Abend hinein. Ich habe gemerkt, dass mir regelmäßige Pausen, sei es zum Kochen, Wäsche machen oder auch mal Golf spielen, sehr wichtig sind. Wenn der Kopf wieder frei ist, kann ich viel produktiver weiterarbeiten.

Gibt es eine "Börsenlegende", die Sie inspiriert?
Für mich ist das der Börsenaltmeister André Kostolany, den ich leider nicht mehr persönlich kennenlernen konnte. Ich finde, er hatte unfassbar schöne Bilder, um den Leuten zu zeigen, wie Börse funktioniert. Viele der bekannten Börsenweisheiten stammen auch aus seinem Mund.

Wenn Sie gerade nicht arbeiten, trifft man Sie auch gerne mal beim Golfen an. Was gibt Ihnen der Sport?
Ich bin wahnsinnig gern in der Natur und habe großen Spaß am Golf spielen. Dabei kann ich richtig abschalten und mich ganz aufs Spiel konzentrieren. Nach einem halben Tag auf dem Golfplatz sind meine Akkus wieder aufgeladen.

Wie würden Sie einen Tag völlig ohne berufliche Verpflichtungen verbringen und wer wäre dabei?
Ich würde mit meinem besten Freund zum Golf spielen gehen und im Anschluss im Club noch etwas essen.

Welche Musikgruppe würden Sie gerne mal live erleben?
Ganz oben auf meiner Liste steht die Rockband U2. Als Düsseldorferin freue ich mich außerdem sehr darauf, im kommenden Jahr bei einem Auftritt der Toten Hosen dabei zu sein.

Was ist der spannendste Ort, den Sie je bei einem Städtetrip erkundet haben?
Ich bin ein großer Fan von New York und Wien. Aber eine Reise, die mich wirklich nachhaltig beeindruckt hat, war ein Städtetrip nach Rom. Diese gelebte Geschichte hat mich fasziniert - die ganze Stadt ist praktisch ein Museum.

Jessica Schwarzer studierte Geschichte und Politik. Als junge Journalistin startete sie bald im Finanzressort durch. Nach vielen Jahren als Chefkorrespondentin und Börsenexpertin des Handelsblatts hat sie sich als Moderatorin und Journalistin selbständig gemacht. Inzwischen hat Schwarzer sechs Bücher über Finanzen und Geldanlage veröffentlicht. Ihre neueste Publikation "Wie wirklich jeder entspannt reich werden kann - 15 Ausreden, die nicht mehr zählen" ist im Juli 2021 erschienen.