Robert Halver startete seine berufliche Karriere als Wertpapieranalyst bei der Sparkasse Essen. Nach verschiedenen Positionen bei der Privatbank Delbrück & Co, wechselte er als Direktor zur Schweizer Privatbank Vontobel. Seit 2008 leitet Halver die Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG. Durch zahlreiche Auftritte als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator in den verschiedensten Medien ist er einem breiten Anlegerpublikum bekannt.


BÖRSE-ONLINE.de: Ihr Großvater riet Ihnen von einer Karriere in der Finanzbranche ab. Weshalb?
Robert Halver: Mein Opa hat zwei Geldentwertungen erlebt. Das hat ihn dramatisch geprägt, obwohl er als Landwirt mit stark sachkapitalistischem Hintergrund noch glimpflich davongekommen ist. Eine Bank hat er danach nie mehr betreten. Das hat er seiner Frau überlassen. Zwei seiner damaligen Zitate werde ich nie vergessen: "Junge, mach nie was mit Geld" und "Vermögen ist nur das, was man anfassen oder essen kann". Der schnöde Mammon gehörte für ihn nicht dazu.

Bevor es für Sie an die Börse ging, haben Sie mit dem Gedanken gespielt, Steuerberater zu werden. Was hat Sie von diesem Plan abgebracht?
Das war eine der Irrungen und Wirrungen meines Lebens. Als Landwirtssohn fand ich die Tätigkeit unseres damaligen Steuerberaters immer faszinierend, wie man einen Betrieb steuerlich optimiert. Ohne jeden Zweifel ist Steuerberater ein ehrenwerter Beruf. Aber er hätte überhaupt nicht zu mir und meinem Temperament gepasst. Das habe ich spätestens in den ersten zwei Studiensemestern verstanden.

Heute sind Sie eines der bekanntesten Gesichter an der Frankfurter Börse. Wie kam es dazu?
Alles reiner Zufall. 1996 hatte ein bekannter Börsensender nach neuen Gesichtern gesucht. Dabei wurde zu vielen wertpapiernahen Banken Kontakt aufgenommen. Irgendwann landeten sie bei mir. Ich habe das Gespräch ziemlich schnell beendet, da ich mir Fernsehauftritte nicht zugetraut hatte: Alle schauen zu, wenn ich mich bis auf die Knochen blamiere. Abends habe ich meiner Frau davon berichtet. Die meinte nur trocken, ich solle es doch zumindest einmal versuchen. Mich kenne doch niemand. Und wenn es schlecht laufen würde, wäre die Sache schnell vergessen. Tatsächlich habe ich beim Sender angerufen und einem Interview zugestimmt. Es sollte auch schon einige Tage später losgehen. Und das Thema war mit dem japanischen Aktienmarkt auch schon gefunden. Den Fehler, den ich dann als mediales Greenhorn machte, war, mir alles über Japan durchzulesen. Zum Schluss habe ich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr gesehen.

Was ist passiert?
Der Tag X kam, live morgens vor der Kamera. Und was fragte mich der Moderator? Nichts zu Japan, sondern zu den Geschäftszahlen eines deutschen Baukonzerns. Ich bin in einer Sekunde 1000 Tode gestorben. Aber offensichtlich habe ich mich so gut verkauft, dass ich aufgrund meiner rheinischer Art - Dinge auch humorvoll auf den Punkt zu bringen - immer wieder eingeladen wurde.

Und so wurden Sie auch zum Mediengesicht der Baader Bank?
Kurz nach meinem Eintritt bei der Baader Bank kam es zum größten Finanzdesaster nach dem II. Weltkrieg: Der Immobilienzusammenbruch 2008. Dieser wurde anschließend zur weltweiten Banken- und Schuldenkrise und hätte dem Finanzsystem beinahe das Genick gebrochen. Das Thema war in aller Munde so wie Corona zur Pandemiehochzeit. Es gab zahllose Sondersendungen und Gesprächsbedarf. Ich stand auf dem Börsenparkett bereit, als die Medien Interviewpartner suchten. Mein Rekord damals waren 30 Interviews am Tag. So wurde ich zum "Gesicht der Krise" wie mich Claus Kleber während eines Interviews im heute-journal nannte. Zum Glück hat er mich nicht Krisengesicht genannt.

Ist Ihnen der Rummel um Ihre Person manchmal auch zu viel?
Man mag mir das vielleicht nicht glauben, aber als Jugendlicher war ich der zurückhaltende Typ. Irgendwann jedoch ist der Knoten geplatzt. Ich mache öffentliche Auftritte sehr gern und ich habe mit meiner Art wohl auch meine persönliche Nische gefunden. Ich mag es, komplizierte Dinge einfach, meinungsstark und mit bildhafter Sprache auf den Punkt zu bringen. Und ab und zu gegen den Strich zu bürsten und sich vom Mainstream abheben, macht ja ohnehin Spaß. Auf diese Weise serviert man Finanzmärkte und alles, was damit zusammenhängt, mundgerechter und verständlicher. Börse verliert damit seinen vermeintlichen Charakter als Raketenwissenschaft, aber auch als unheimliche Zockerbude. Ohnehin kann man einen Job nur dann erfolgreich machen, wenn man auch Spaß daran hat. Hätte ich keine Freude daran, würde ich es nicht machen. Ich übertreibe es aber auch nicht. Ich muss schon "Börsen-waschecht" bleiben. Dschungel-Camp, Promi-Dinner oder ähnliche Shows kämen für mich nicht in Frage.

Ihr Beruf klingt sehr abwechslungsreich. Wie kann man sich einen typischen Arbeitstag bei Ihnen vorstellen?
Bevor ich morgens im Office bin, weiß ich, was am Abend vorher in den USA und ganz früh in Asien an den Börsen passiert ist. Mit diesem Wissen startet man in den europäischen und deutschen Börsentag. Oft bin ich morgens dann schon für Interviews auf dem Parkett. Und was jeden Tag passiert, fließt in meine Kapitalmarktanalyse ein, die auch in Form von Empfehlungen, Beiträgen, Kolumnen und meinem wöchentlichen "Kapitalmarkt-Monitor" verarbeitet wird.

Bevor Sie bei der Baader Bank durchgestartet sind, haben Sie auch Stationen bei Vontobel, Delbrück & Co. sowie der Sparkasse Essen gemacht. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
Obwohl Regeln und Gesetze für alle gleich sind, ist "Banking" bei einer Sparkasse, einer Schweizer Privatbank und einer Handelsbank sehr unterschiedlich. Man nimmt also das Bank- und Wertpapierwesen aus verschiedensten Perspektiven wahr: Im Kundengespräch, als Vermögensverwalter oder als Kapitalmarktanalyst. So konnte ich mir einen breiten Horizont über die Finanzwelt aneignen. Ich wurde sozusagen mit allen Wassern gewaschen.

Was war Ihr erstes Investment am Aktienmarkt?
RWE. Dieser Versorger ist in meiner alten Heimat im Rheinland allgegenwärtig. Der Strom aus der Steckdose kam immer von RWE. Und an allen Ecken und Enden wird man durch rauchende Kühltürme an RWE erinnert. Und jeder kennt jemanden, der bei diesem Versorger arbeitet.
Mit RWE-Aktien kam ich das erste Mal zu meiner Kommunion in Berührung, übrigens das erste Mal mit Aktien überhaupt. Sie waren ein Geschenk von der Verwandtschaft. Der Bankberater muss wohl sehr überzeugend gewesen sein, um Tanten und Onkeln für diese Anlage zu erwärmen, die alles andere als Aktien-freundlich waren. Sie dachten sich wohl, wenn schon Aktie, dann die "Heimat-Aktie". Man solle sich doch die steigenden Stromkosten durch die hohen Dividenden zurückholen. Damals wäre mir die Eisenbahn von Märklin viel lieber gewesen. Aber mit der Zeit habe ich immer mehr Gefallen daran gefunden.
Und diese Aktien habe ich noch heute, selbst wenn die Liberalisierung der europäischen Energiemärkte und der zunehmende Klimaschutz ihnen zusetzte. Aber ein bisschen nostalgisch bin ich auch.

Mit welchem Wert haben Sie den größten Verlust eingefahren?
In Erinnerung ist mir die Telekom-Aktie geblieben. Nach der wilden Internet-Blase haben mir die Kursverluste durchaus wehgetan. Ich habe sie zu früh verkauft, denn sie ist ein prächtiger Dividendenwert und heute fundamental gut aufgestellt.

Welches historische Ereignis, das die Börsen massiv beeinflusst hat, hätten Sie gerne live miterlebt und weshalb?
Ich wäre gerne dabei gewesen, als die USA 2008 die Investment Bank Lehman Brothers pleitegehen ließen. Ich habe mich damals gefragt, wie wenig Fingerspitzengefühl Banken, Börsen und auch US-Aufsichtsbehörden haben müssen, wenn sie die nachfolgende größte Finanzkrise der Nachkriegszeit nicht mindestens erahnt haben. Schon damals wusste man doch, dass in der Finanzwelt alles mit allem zu tun hat, es also Dominoeffekte gibt, sobald der erste Stein umfällt. Damals habe ich daran gezweifelt, dass die USA eine Finanz-Weltmacht sind. Ich habe eher an Bananenrepublik gedacht. Angesichts der gewaltigen Billionensummen, die Staaten und Notenbanken anschließend zur Rettung des Finanzsystems lockermachen mussten, hätte die Pleite Lehmans und viel Kummer mit etwa 20 Milliarden Dollar verhindert werden können. War es ein Kurzschluss, wollte man ein Exempel statuieren oder sollte ein Konkurrent ausgeschaltet werden?

Inwieweit hat sich die Börsenwelt in den vergangenen Jahren verändert?
Ein entscheidender Einflussfaktor für die Börse, den ich seit Jahren genau beobachte, ist die Politik geworden. War sie früher nur Schiedsrichter, spielt sie heute mit. Man kann sogar sagen, dass Politik die traditionellen Verlaufsmuster von Konjunktur und Zinsen heutzutage bis zur Unkenntlichkeit verändert hat. Analysen weiterhin nur darauf aufzubauen, bringt keinen Anlageerfolg mehr.
Tatsächlich arbeiten Geld- und Finanzpolitik heute brüderlich zusammen, um bloß jede weitere Krise zu verhindern. Beispiel: Trotz Inflationsbeschleunigung würde eine klare Zinserhöhungswende der Notenbanken unsere Finanzwelt angesichts ihrer apokalyptischen Überschuldung final crashen lassen. Die damit verbundenen konjunkturellen, Euro- und sozialen Probleme wären verheerend. Diese Rettungspolitik bringt natürlich gewaltige Strukturbrüche bei der Einschätzung von Anlageformen mit sich. Zinsanlagen sind für mich so attraktiv wie Darmspiegelungen. Aktien profitieren dagegen vom Anlagenotstand und sind auch wegen der Megathemen Digitalisierung und Klimaschutz Evergreens.

Zieht es Sie als gebürtigen Rheinländer auch manchmal in die Karnevalshochburg Köln?
So wie der Hesse, Bayer, Hanseat, Sachse usw. seine Heimat liebt, liebe ich mein Rheinland. Dort wurde ich geprägt. Und so wie das Oktoberfest zu Bayern gehört, ist Karneval unverzichtbar für mich. Im Karneval trifft man mich dort regelmäßig auf Sitzungen und auch bei Umzügen an. Bei Kostümen bin ich variabel. Es war schon vieles dabei. Auch als Promi habe ich mich schon verkleidet.

Ihre Wahlheimat ist heute Hessen. Sind Sie sehr heimatverbunden?
"Wherever I Lay My Hat, That's My Home". Ich mag es, durch den Taunus zu wandern. Und die Grüne Soße und der "Handkäs" sind großartig.

Früher haben Sie Leichtathletik betrieben. Was war Ihre liebste Disziplin?
Ich mochte immer den Mehrkampf: Laufen, Springen und Werfen. Ich weiß, das sieht man mir heute nicht mehr an. Ich bin ein Value-, ein Substanzwert. Aber ich gehe ich regelmäßig ins Fitnessstudio.

Welche drei Menschen haben Sie in Ihrem Leben am meisten inspiriert?
Da gibt es mehr als drei. Aber ganz vorne stehen mein Opa, meine Eltern und meine eigene Familie.

Mit wem würden Sie gerne einmal einen Tag verbringen?
Ich bin ein großer Fan der britischen Rockband Pink Floyd. Mit denen hätte ich gerne einmal live auf der Bühne gestanden, wenn sie zum Beispiel "Another Brick in the Wall" performten. Da kommen wunderbare Erinnerungen an meine Jugendzeit hoch.

Sie sind für Ihre bildhafte Sprache bekannt. Das klingt, als würden Sie viel lesen. In welchem Genre fühlen Sie sich am wohlsten?
Die bildhafte Sprache habe ich wohl mit der rheinischen Muttermilch aufgenommen. Unter anderem schaue ich mir historische Bundestagsdebatten an. Damals waren das rhetorische Meisterwerke, die mich fasziniert haben. Heute ist alles so klinisch rein, so emotionsfrei. So erreicht man doch keinen Menschen. Wir sind doch keine Maschinen. Im Übrigen bin ich der Sachbuch-Typ. Ich lese gerne Biographien. Leider haben ich für Belletristik nur im Urlaub Zeit.

Apropos Bücher: Welchen Titel würde ein Buch über Ihr Leben tragen?
"Nicht mit den Hühnern scharren, sondern mit den Adlern fliegen". Man muss positiv denken. Auch mir wurden schon Knüppel zwischen die Beine geworfen. Ich bin auch schon umgefallen. Doch dann muss man wieder aufstehen und seinen Weg weitergehen. Immerhin hat man dann aus den Krisen gelernt. Vor allem aber muss man seine Talente konsequent nutzen und sie nicht vergraben.