Die Märkte bleiben schwankungsanfällig. Die Angst vor einer zweiten Welle der Covid-19-­Pandemie sorgte in den zurückliegenden Wochen nicht nur im DAX für empfindliche Rückschläge. Auch die US-Technologiebörse Nasdaq, die lange Zeit immun gegen Viren und andere Stör­einflüsse zu sein schien, ging zeitweise in die Knie.

Ein solches Umfeld ist ein Eldorado für Leerverkäufer (Shortseller), die auf fallende Kurse setzen. Manche von ihnen helfen auch mit gezielt gestreuten Gerüchten oder aufsehenerregendem Research-Material nach. Meist sind das Verkaufsempfehlungen mit spektakulär niedrigen Kurszielen, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Für investierte Anleger sind die Shorties deshalb ein rotes Tuch.

Es ist ein Hauen und Stechen: Die Shortseller wollen auf Teufel komm raus, dass der Kurs fällt. Die Gutgläubigen ziehen am anderen Ende, werben um Vertrauen und setzen auf wieder steigende Kurse.

Im Fall Nikola haben die Leerverkäufer die erste Runde für sich entschieden. Das US-amerikanische Analysehaus Hindenburg warf dem kürzlich noch gefeierten Hersteller von mit Wasserstoff und Batterien betriebenen Nutzfahrzeugen Hochstapelei und massiven Betrug vor. Das Unternehmen musste daraufhin einräumen, dass ein Lkw bei einer Videopräsentation gar nicht selbstständig fuhr, sondern eine schiefe Ebene hinunterrollte. Mittlerweile ist Gründer und Großaktionär Trevor Milton von seinem Vorstandsposten zurückgetreten. Obwohl Nikola erst im Jahr 2022 erste Umsätze verbuchen will und auch dann noch längst keine Gewinne schreiben wird, lag der Börsenwert zwischenzeitlich bei mehr als 30 Milliarden Dollar - viermal höher als bei Traton mit den Lkw-Marken MAN und Scania.

Hierzulande schaffte es ein alter Bekannter, ein Unternehmen gehörig unter Druck zu setzen: Der britische Finanz­investor Fraser Perring, der über sein Investmentvehikel Viceroy Research schon bei Wirecard früh auf fallende Kurse spekulierte, nahm den deutschen MDAX-Titel Grenke ins Visier. Er bezweifelt, dass die aufgeführten finanziellen Mittel des Leasingspezialisten so bestehen, und ging zum Angriff über. Wie labil der Höhenflug der Grenke-­Aktie war, zeigte der darauffolgende Absturz: Um mehr als 50 Prozent ging es innerhalb weniger Tage nach unten. Da halfen auch alle Dementis des Unternehmens nicht. Und selbst wenn an den Vorwürfen nichts dran sein sollte, sieht der Detmolder Vermögensverwalter Markus Schön weitere 50 Prozent Abwärtspotenzial: "Die Verbindlichkeiten sind zwischen 2018 und 2019 um rund 50 Prozent gestiegen. Die Eventualverbindlichkeiten liegen mit über neun Milliarden Euro so hoch wie nie zuvor", warnt der Chef der Vermögensverwaltung Schön & Co.

Deren Research-Team führt eine interne Warnliste, auf der neben Grenke weitere prominente Namen zu finden sind, etwa DAX-Neuling Delivery Hero ("eine Wette auf eine marktbeherrschende Bestellplattform, die nicht aufgehen wird") oder Vo­novia ("die Kurssteigerungen resultieren aus vermeintlichen Wertsteigerungen der meist über 40 Jahre alten Immobilien").

Als "Short of a Lifetime" bezeichnet Markus Schön gar den Elektroautohersteller Tesla: Das Unternehmen lebe von einem sektenähnlichen Kult um Firmengründer Elon Musk, "der aber jeder wirtschaftlichen, ökologischen und finanzwirtschaftlichen Grundlage entbehrt". Gerade an Tesla aber verbrannten sich Shortseller schon reihenweise die Finger, hauptsächlich weil die Konkurrenz bisweilen eben doch schläft. Ein auffällig hoher prozentualer Anteil von leerverkauften Aktien im Verhältnis zur Gesamtzahl aller handelbaren Papiere (Leerverkaufsquote oder Short Interest) kann für wagemutige Spekulanten auch ein Einstiegssignal sein. Sie setzen auf den sogenannten Short Squeeze, eine plötzliche Kursexplosion an dem Tag, an dem sich die Leerverkäufer zu höheren Kursen wieder eindecken müssen, wenn ihr Anlageplan nicht aufgegangen ist.

Im aktuell wackligen Marktumfeld allerdings dürfte das Pendel meist eher zugunsten der Shortseller ausschlagen, die gegen Unternehmen mit undurchsichtigen Geschäftsmodellen, unerklärlichen Wachstumsraten in gesättigten Branchen, zweifelhaftem Management oder einfach exorbitanten Bewertungen wetten. Auf den folgenden Seiten stellen wir acht Werte vor, die Anleger meiden sollten, weil sie aus den unterschiedlichsten Gründen Opfer von Short-Attacken werden könnten.

Shortseller: Bei welchen Firmen sie besonders aktiv sind


Zweifelhafte Ehre für den chinesischen Versicherer Ping An Insurance: In der Liste der volumenmäßig größten Short-Positionen rangiert er auf dem ersten und zudem noch auf dem fünften Platz. Topziele für Wetten auf fallende Kurse sind aktuell asiatische Firmen. Lediglich Linde kommt aus Europa.

In Deutschland stehen mit Shop Apotheke und Encavis - gemessen an der Short-Quote der ausstehenden Aktien - zwei Unternehmen an vorderster Front, die eigentlich zu unseren Favoriten ge­hören. Der Grund dafür ist wohl nicht in einem zweifelhaften Geschäfts­æ­modell zu suchen. Eher ist es die starke Kurs­entwicklung, die Leerverkäufer auf eine ­Korrektur spekulieren lässt. Beim Autozulieferer ElringKlinger wiederum ­glauben einige nicht, dass die Schwaben noch einmal die Kurve kriegen.

Aurelius: Unter Dauerbeschuss


Bereits mehrfach wurde Aurelius zum Opfer von Short-Attacken. Zuletzt versuchte sich zu Jahresbeginn ein Investment­haus namens Ontake Research und gab ein Kursziel von vier Cent (!) für die Aktie aus - ein Bruchteil der Dividende, die das Beteiligungsunternehmen in guten Jahren ausschüttet. Die Ontake-Vorwürfe konnten die Münchner entkräften, trotzdem erholte sich der Kurs nicht wieder. Der Knackpunkt ist die Bewertung der Unternehmen, die Aurelius im Portfolio hat. Das sind bei der Übernahme in aller Regel ­Sanierungsfälle wie die börsennotierte Hanseyachts, die nach dem Turn­around mit Gewinn weiterverkauft werden sollen. Die Anzahl der Tochterfirmen, deren Sanierung scheitert, lässt sich aber ebenso schwer abschätzen wie die Höhe der Wertberichtigungen, sollte es zum längeren Einbruch der Weltwirtschaft kommen. Munition liefern Kritikern auch die exorbitanten Bezüge des Manage­ments. Der fünfköpfige Vorstand um Firmengründer Dirk Markus kassierte für 2019 fast 25 Millionen Euro an erfolgsabhängiger Vergütung, obwohl der Konzern unterm Strich einen Verlust von knapp 15 Millionen Euro auswies. Die Dividende für Aktionäre dagegen wurde gestrichen. Von Jens Castner

Delivery Hero: Wachstum mit magerer Marge


Wieder hat Delivery Hero zugeschlagen: Dieses Mal kauften die Berliner das Lateinamerika-Geschäft des Wettbewerbers Glovo für 230 Millionen Euro. Es passt in die Strategie: Die Onlinebestellplattform tätigt einen Zukauf nach dem anderen. Nur in Deutschland nicht. Dieses Geschäft verkaufte sie Ende 2018 an den Konkurrenten Just Eat Takeaway. Rund 90 Prozent des Umsatzes kommen aktuell aus Geschäften im Nahen Osten, in Nordafrika und Asien. Einem Umsatz von 958 Millionen Euro stand zum Halbjahr ein Verlust von 320 Millionen Euro vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen gegenüber. Für Shortseller ist das Papier ein gefundenes Fressen: hohe Verluste, intransparente Absatzmärkte und eine große Abhängigkeit vom Kapitalmarkt. Finanziert werden die Übernahmen vor allem durch die Ausgabe von Wandelanleihen. Seit Jahresanfang füllte sich die Kasse so mit 3,8 Milliarden Euro. Das Problem: Das Unternehmen wächst zwar schnell, aktuell ist aber nicht abzusehen, wann es schwarze Zahlen schreibt. Der Titel ist zu teuer. Eine Shortseller-Attacke kann schnell zu hohen Kursverlusten führen. Von Tobias Schorr

Groupon: Schon am Start gescheitert


Oft genügt ein einziger Blick auf den Kursverlauf einer Aktie, um zu erkennen, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmen kann. Bei Groupon spricht man in Analystenkreisen von einem "Chart des Grauens". Bereits vor dem Börsengang im Jahr 2011 kam es zu Ungereimtheiten im IPO-Prospekt des Schnäppchenportals. Dabei waren die Firmenlenker und die behilflichen Banken wohl zu kreativ bei der Berechnung des operativen Gewinns. Auf behördlichen Druck mussten die Zahlen angepasst werden. Zudem wurden kurz vor der Erstnotiz eiligst 940 Millionen Dollar an Firmenvermögen an die Gründer und weitere Investoren ausgezahlt, weshalb Groupon bereits zur Handelsaufnahme faktisch insolvent war. Dennoch wurde der Börsengang ein voller Erfolg, ganz im Gegensatz zur miserablen Entwicklung der Aktie in den darauffolgenden Jahren. Auch Umstrukturierungen und der Rückzug aus margenschwachen Märkten sorgten nicht für einen Turn­around. Die zunächst stark anziehenden Umsätze gingen in den Folgejahren stetig zurück. Auch die Eigenkapitalbasis gibt Grund zur Sorge, schmolz sie doch von über 700 Millionen Dollar im Jahr 2011 auf nur noch rund 118 Millionen Dollar. Von Christof von Wenzl

Leoni: Neuer Tiefpunkt


Der nächste "Chart des Grauens" stammt von einem fränkischen Traditionsunternehmen. Der Aktienkurs von Leoni ist mittlerweile noch niedriger als zu Corona-­Crash-Zeiten im Frühjahr. Das Drama begann mit einem Betrugsfall: 2016 hatten Unbekannte mit fingierten Chef-E-Mails 40 Millionen Euro erbeutet. Im Vergleich zu den jüngsten operativen Verlusten ist das zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber es zeigt, dass in der Organisationsstruktur offenbar lange Zeit einiges im Argen lag. Im zweiten Quartal brach der Umsatz um fast die Hälfte auf 673 Millionen Euro ein. Bereinigt um Sondereffekte und Umbaukosten lief ein Verlust von 96 Millionen Euro auf - deutlich mehr als die 14 Millionen im Vorjahreszeitraum. Die Krise in der Autoindustrie kann nicht alleinige Ursache sein. Es spricht Bände, wenn ein Kabelhersteller just in der Zeit, in der die Elektromobilität den Durchbruch schafft, in die größte Krise der Firmengeschichte schlittert. Zumal Leoni-­Produkte nicht nur in Autos, sondern etwa auch in Windkraftanlagen zum Einsatz kommen. Jetzt soll das Kabelgeschäft verkauft werden, stattdessen will sich die Firma auf die größere, aber auch defizitärere Bordnetzsparte konzentrieren. Von Jens Castner

The Naga Group: Plattform auf zu großem Fuß


The Naga Group bezeichnet sich als innovatives Fintechunternehmen mit sozialer Handelsplattform für Aktien, Kryptowährungen und mehr. Nach einer Restrukturierung steht das Onlinekerngeschäft im Vordergrund. Auf den ersten Blick scheint dies auch ganz gut zu funktionieren: Im ersten Halbjahr gab es geschätzte Umsatz­erlöse von zwölf Millionen Euro, nach 1,7 Millionen Euro im Vorjahr. Auch die Neukundenzahl hat sich mehr als verdoppelt. Aktuell sollen es über 40 000 sein. Und doch ist der Titel mit einer Marktkapitalisierung von knapp 90 Millionen Euro zu hoch bewertet. Fraglich ist, warum die Gruppe mit einer immer noch recht überschaubaren Kundenzahl von etwas mehr als 70 000 weiter ins Ausland expandieren will. In Asien ist man bereits vertreten - was wohl auch am chinesischen Großaktionär Fosun liegt. Jetzt zieht es die Hamburger noch nach Australien und Südamerika. Bald sollen dafür Lizenzen vorliegen. Der Heimatmarkt wäre groß genug, um weiterzuwachsen. Der Wettbewerb im Trading­umfeld ist hart. Wir glauben nicht, dass sich Naga zum Platzhirsch entwickelt, und raten zum Verkauf. Von Tobias Schorr

Organovo: Viel versprochen, wenig geliefert


Es sind die ganz besonders heißen Storys, die Anleger faszinieren. Jene Geschäftsideen, die gleichsam fantastisch wie irreal klingen, aber dermaßen hohe Renditen versprechen, dass Risiken und Zweifel sträflich ausgeblendet werden. Organovo war früher einmal so eine heiße Story. Das kalifornische Biotechunternehmen versprach einiges. Organe, die wie von Zauberhand im 3-D-Drucker entstünden, sollten die Medizin in eine neue Ära katapultieren und die Aktionäre von Organovo reich machen. Doch aus dem rasanten Wachstum und den revolutionären Technologien wurde nichts. Die erhofften Umsätze traten nie ein, die Firma war eine regelrechte Geldverbrennungsmaschine. Nichtsdestotrotz wurde der Aktienkurs, getrieben von der Fantasie und Gier der Investoren, in unrealistische Höhen gehievt. 2014 war die Geschäftsidee den Investoren über eine halbe Milliarde Dollar wert. Heute bringen es die Kalifornier noch auf knapp 36 Millionen Dollar Marktkapitalisierung. Auch häufige Wechsel im Management und Aktienzusammenlegungen brachten keine Wende. Seit Jahren bröckelt der Kurs nun Stück für Stück ab, bis der Titel früher oder später wohl ganz vom Kurszettel verschwinden wird. Von Christof von Wenzl

Ping An Insurance: Liebling der Leerverkäufer


Der chinesische Finanzdienstleister und Versicherungskonzern gilt als besonders innovativ. In der Krankenversicherungssparte etwa zählen Telemedizin und der Einsatz von künstlicher Intelligenz zu den Wachstumstreibern. Trotzdem läuft die aktuell größte Short-Wette der Welt gegen das Konglomerat, das allein wegen der Vielzahl an Tochterfirmen intrans­parent wirkt. Hinter den 3,6 Milliarden Dollar schweren Leerverkäufen steckt nicht irgendein Finanzjongleur, sondern die Schweizer Großbank UBS. Der Punkt, der Börsianer stutzig macht, sind die fast schon zu guten Zahlen während des Lockdowns in China. Auch im Lebensversicherungs- und Anlagegeschäft hat Ping An Insurance einen Lauf, während der Rest der Branche weltweit unter der Niedrigzinspolitik ächzt. Nur die eigene Aktie läuft schon länger nicht mehr. All das muss nichts heißen. Aber: Wundersame Wachstumsstorys in stagnierenden Branchen sind genau das, wonach viele Leerverkäufer suchen. Denn Wunder sind an der Börse sehr selten. Von Jens Castner

Vodafone: Wachstum nur bei den Schulden


Stagnierende Umsätze, ein hoher Schuldenberg und Dividendenkürzungen. Diese Begriffe gefallen Aktionären überhaupt nicht. Beim oft als Dividendenperle zitierten Unternehmen Vodafone stottert der Motor schon seit Jahren. Der Mobilfunkmarkt ist so heiß umkämpft wie nie zuvor, auch die Politik greift zunehmend in die Preisgestaltung von Telekommunikationskonzernen ein. Das ehemalige Rekordhoch von 3,60 Euro liegt bereits über fünf Jahre zurück. Seitdem gingen die Umsätze stetig zurück, der freie Cash­flow schwankte massiv. Erst im vergangenen Jahr konnte der Abwärtstrend - vorerst - gestoppt werden. Um die verwöhnten Dividendenjäger nicht zu vergraulen, wurden trotz massiv steigender Schulden unentwegt hohe Ausschüttungen gezahlt. Die schon lange nötige Dividendenkürzung kam erst spät. Seitdem ist der Schuldenstand explodiert, er stieg von 14 Milliarden Euro auf über 54 Milliarden Euro. Aussicht auf Besserung? Fehlanzeige! Ganz im Gegenteil: Die weltweite Etablierung von 5G bedeutet für Vodafone zusätzliche Investitionsausgaben in Milliardenhöhe für die Erneuerung der Infrastruktur. Ob und woher hier positive Impulse kommen, ist fraglich. Von Christof von Wenzl