Wie schwer Koalitionsgespräche nach einer Wahl sein können, zeigt sich in den Niederlanden: Seit acht Monaten schon versuchen die Parteien, ein neues Kabinett zu bilden. Bisher ohne Erfolg, die Parteien blockieren sich gegenseitig. Hauptproblem ist die fragmentierte Parteienlandschaft: Aktuell sind 19 Parteien im niederländischen Parlament vertreten. Die Zeiten der 90er-Jahre, als es ohne Probleme möglich war, Zweierkoalitionen zu bilden, sind längst passé. Mit dem Effekt, dass die Regierung um Premier Mark Rutte nun schon seit Monaten lediglich geschäftsführend im Amt ist.

Nicht gerade hilfreich ist zudem, dass Rutte, dessen christdemokratische CDA die Wahl gewonnen hat und der das Land seit 2010 regiert, viel an Beliebtheit verloren hat, was die Kompromissbereitschaft anderer Parteien schmälert. Sein Ruf als "Teflon-Mark" ist dahin. Krisen und politische Fehler prallen nicht mehr so einfach an ihm ab wie in den Jahren zuvor.

Auch seine Corona-Politik ist umstritten. Nach 18 Monaten Beschränkungen ist zwar seit 22. September wieder so etwas wie Normalität eingekehrt, aber ein "Corona-Pass" sorgt für Unmut in großen Teilen der Bevölkerung: Jeder ab 13 Jahren muss vor dem Besuch von Gaststätten, Kultur- oder Sportveranstaltungen nachweisen, dass er geimpft, getestet oder genesen ist. Das gilt etwa auch für die Fußballspiele der Eredivisie. Allerdings wird gegen den Gesundheitspass nun schon seit Wochen in vielen Städten des Landes demonstriert. Rutte ficht das nicht an. Immerhin floriert die Wirtschaft, und die Arbeitslosigkeit ist gering.

Mehr Wachstum, weniger Schulden

Und das soll so bleiben. Laut Prognosen des zum Wirtschaftsministerium gehörenden Centraal Planbureau (CPB) soll das Bruttoinlandsprodukt der Niederlande in diesem Jahr um 3,8 Prozent statt um 3,3 zulegen - der IWF geht von 3,5 Prozent aus. Dank der stärkeren Dynamik wird zudem die Neuverschuldung von aktuell rund fünf Prozent schon im kommenden Jahr wieder auf zwei Prozent zurückgehen, so das CPB.

Entsprechend gut ist die Stimmung an der Börse. Am 23. September knackte der AEX, der 25 Aktien umfassende Leitindex der Börse Amsterdam, zum ersten Mal in der 37-jährigen Historie die Marke von 800 Punkten. Allzeithoch - und etwa doppelt so hoch wie im Vergleich zum Tiefpunkt während der Pandemie.

Dass es so gut läuft in Amsterdam, liegt daran, dass sich die Struktur des Index gewaltig geändert hat. Früher wurde der Marktplatz dominiert vom Öl- und Energieriesen Royal Dutch Shell sowie dem Hersteller zahlreicher Markenartikel aus dem Konsumbereich Unilever. Das ist inzwischen nicht mehr so. Es gibt so etwas wie einen Generationenwechsel an der Börse Amsterdam. Mittlerweile nehmen Unternehmen aus dem Technologiebereich einen viel größeren Raum ein.

Etwa ASML. Das nach Marktkapitalisierung größte Unternehmen der Niederlande ist weltweit führend bei Produktionsanlagen für komplexe integrierte Schaltkreise und Halbleiter. ASML profitiert davon, dass Chips zurzeit knapp sind und die Chiphersteller daher die Kapazitäten ausbauen und weiter fleißig die Lithografiesysteme von ASML ordern.

Auch Adyen gehört zu den jungen, dynamischen Unternehmen, die den AEX inzwischen prägen. Adyen profitiert dabei nicht nur vom Onlinehandel, sondern auch von der Öffnung des stationären Handels. Die Plattform der Niederländer bietet Einzelhändlern über eine einzige Zahlungslösung nahezu alle Bezahlmethoden. Das erhöht die Effizienz der Abwicklung deutlich. Im Verbund mit großen Kreditkartenunternehmen bietet Adyen mehr als 250 Bezahlsysteme. Für die kommenden Jahre verspricht Adyen-Chef Pieter van der Does im Schnitt pro Jahr ein Umsatzplus von 25 Prozent. Die Marge soll langfristig auf mehr als 65 Prozent steigen.

Margenziele fast erreicht

Und das Amsterdamer Unternehmen liefert erneut eine gute Zwischenbilanz. Im ersten Halbjahr wickelte Adyen insgesamt Zahlungen von 216 Milliarden Euro ab. Das ist ein Plus von zwei Dritteln im Vergleich zum Vorjahr. Der Umsatz wuchs um fast die Hälfte auf 445 Millionen Euro, und das operative Ergebnis legte um 65 Prozent auf 272,7 Millionen Euro zu. Damit wurden die Analystenschätzungen übertroffen - auch was die Marge angeht: Die verbesserte sich um sieben Prozentpunkte auf 61 Prozent. Das 65er-Ziel wurde damit fast schon erreicht.

Doch auch wenn Firmen wie Adyen oder ASML gerade die Schlagzeilen beherrschen, so sollte man die "alten" und etablierten Unternehmen nicht aus dem Auge verlieren. Gerade ein Konzern wie Unilever hat ein vergleichsweise krisenfestes Geschäft. Der Konsumgüterriese, bekannt für Marken wie Knorr, Domestos oder Rexona, hat eine erfreuliche Erlösentwicklung in den ersten beiden Quartalen gemeldet. Allerdings sind die Margen unter Druck, was vor allem daran liegt, dass die Aufwendungen für eine sichere Produktion im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind. Aber die Belastungen werden zurückgehen: Weil die Erlöse höher sind, kann sich der operative Gewinn überproportional entwickeln. Dazu kommt ein Aktienrückkauf von 3,5 Milliarden Euro, der sich positiv auf den Gewinn pro Aktie auswirken wird. Außerdem glänzt man als regelmäßiger Dividendenzahler.

 


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