Es waren die schnelleren Entscheidungswege in einem kleineren Haus, die Henning Gebhardt Anfang 2017 zu einem Neuanfang veranlassten. Nach rund 20 Jahren beim Branchenriesen DWS wechselte der Starfondsmanager zur Privatbank Berenberg, um dort den ­Bereich Vermögensverwaltung auszubauen. Neben dieser unternehmerischen Herausforderung ist Gebhardt aber auch wieder als Portfolioverwalter tätig.

Exakt auf seine Expertise zugeschnitten ist der Berenberg Aktien-Strategie Deutschland, mit dem er nach einem bewährten Investmentansatz in einen Mix aus deutschen Standard- und Nebenwerten anlegt. Kaum ein Fondsmanager kann die Erfolgsaussichten heimischer Aktien so gut beurteilen wie Gebhardt. Grund genug, "Mister Aktie", wie der 51-jährige Niedersachse auch schon betitelt wurde, zur aktuellen Lage der deutschen Wirtschaft zu befragen.

€uro am Sonntag: Herr Gebhardt, seit Anfang 2017 sind Sie Anlagechef bei Berenberg. Welche Ziele haben Sie dort mittlerweile erreicht und was steht noch auf Ihrer Agenda?
Henning Gebhardt: Wir haben bei Berenberg, was das Aktienthema betrifft, im Prinzip fast bei null angefangen und mittlerweile eine umfangreiche Produktpalette im diskretionären Management aufgebaut. Die ist noch relativ jung, hat aber schon ein schönes Wachstum hingelegt. Die Wertentwicklung im Vergleich zum Index stimmt, die Teams stehen, die Strukturen sind angepasst. Nun müssen wir noch etwas Rückenwind von den Märkten bekommen, dass die Fonds und Strategien weiter wachsen.

Sind Sie denn zufrieden mit der Entwicklung Ihres Portfolios, des Berenberg Aktien-Strategie Deutschland?
Was die Performance betrifft, ja. Der Markt könnte natürlich etwas freundlicher sein. Unterm Strich haben sich die Börsen in Europa in den vergangenen zwei, drei Jahren seitwärts bewegt. Es gab viele Herausforderungen, die den Markt belastet haben.

Künftig wird es wohl auch nicht einfacher. Für Deutschland verdüstern sich zunehmend die Konjunkturaussichten. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Man muss aktuell schon etwas vorsichtig sein, wenn man das gesamtwirtschaftliche Bild sieht. Denn das können Sie nicht von der Politik lösen. Wir sind als eine der größten Exportnationen der Welt stark davon abhängig, wie sich ­andere Volkswirtschaften entwickeln. Und in dieser Hinsicht gibt es jede Menge Gegenwind, seit US-Präsident Trump im Frühjahr vergangenen Jahres den Handelskrieg angezettelt hat. Das Thema hängt als großes Fragezeichen über vielen deutschen Unternehmen.

Der Konflikt hat sich zuletzt ja wieder deutlich zugespitzt …
Ja. Es heißt zwar immer: Politische Börsen haben kurze Beine. Aber das ist in diesem Fall überhaupt nicht so, weil Trump die Situation immer wieder verschärft. Die Zentralbanken versuchen zwar, die Wirtschaft zu stützen. Aber am Ende ist es schon wichtig, dass einige der politischen Themen endlich gelöst werden. Auch das Brexit-Thema bekommen wir nicht vom Tisch.

Haben Sie eine Idee, wie das ausgeht?
Wer das sagen kann, braucht eine Glaskugel. Von einem No-Deal-Brexit, einer Verhandlungslösung bis hin zu einer zweiten Abstimmung ist alles möglich. Diese Unsicherheit belastet natürlich den Blick der internationalen Investoren auf Europa. Die Wahrscheinlichkeit eines No-Deal-Brexits ist in den vergangenen Wochen jedenfalls aufgrund der Ernennung von Boris Johnson zum Regierungschef stark gestiegen. Es ist aber auch nicht klar, ob Johnson überhaupt den 31. Oktober in dieser Funktion erreicht. Es kann sein, dass er als Premierminister mit der kürzesten Amtszeit in die britische Geschichte eingeht.

Zurück zu Deutschland: Sie haben bisher über externe Faktoren gesprochen. Doch sind die Probleme der deutschen Wirtschaft nicht auch hausgemacht?
Generell halte ich die deutsche Wirtschaft für stark aufgestellt. Doch natürlich gibt es auch hier politische Einflussfaktoren. Sosehr man sich beispielsweise über die angeregte Klimadiskussion freuen kann, sosehr muss man aufpassen, welche Rahmendaten gesetzt werden. Wenn man jetzt die falschen Entscheidungen trifft - falsch in Anführungszeichen -, kann das Unternehmen wie Lufthansa oder BASF, die zu den großen CO2-Emittenten zählen, erheblich treffen.

Sehen Sie auch Versäumnisse in der Vergangenheit?
Ich habe den Eindruck, dass wir uns in den vergangenen Jahren etwas zu sehr in unserem Erfolg gesonnt haben. Denn das gute externe Umfeld und unsere Wettbewerbsfähigkeit haben uns große Exportüberschüsse beschert. Wenn dieses externe Umfeld jetzt wegbricht, wird das eine große Herausforderung. Man muss überlegen, wie man Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit erhalten kann. E-Mobilität, Digitalisierung, künstliche Intelligenz - auf diese Zukunftsthemen sollte man sich nun einstellen. Auch beim Thema Klima kann Deutschland ja zum Vorreiter werden.

Sehen Sie schon die Notwendigkeit, dass die Politik dem drohenden Konjunkturabschwung entgegensteuert?
Wie wollen Sie gegensteuern, wenn Sie die schwarze Null im Haushalt so nach oben halten? Da müsste es zuerst eine Grundsatzdiskussion geben: Wie mache ich Fiskalpolitik in einem Umfeld, in dem ich keine höhere Verschuldung haben will? Die Politik hat da sicherlich Stellschrauben, zum Beispiel Infrastruktur oder bezahlbarer Wohnraum. Es gibt viele Bereiche, in denen man mehr machen könnte …

... wenn die schwarze Null nicht wäre.
Ja, trotzdem sollte sich keiner was vormachen. Der Maschinenbau und der Autobereich sind extrem wichtig, was den Arbeitsmarkt betrifft. Wir sehen ja, dass sich dort die Auftragsbücher leeren. Es ist sicher nicht unrealistisch zu erwarten, dass die Arbeitslosenzahlen auch mal wieder ansteigen. Deswegen ist die Diskussion über fiskalpolitische Maßnahmen, die die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands langfristig wieder verbessern, durchaus sinnvoll.

Wie beurteilen Sie denn die Aussichten der deutschen Autobauer und der ­Zulieferbetriebe?
Grundsätzlich glaube ich, dass das Branchenumfeld weiter positiv bleibt. Denn strukturell wird es weiter Wachstum geben, insbesondere in China. Aber nach einem zehnjährigen Aufschwung haben wir jetzt eine Delle, was nicht ungewöhnlich ist. Die kommt allerdings zu einem schlechten Zeitpunkt.

Warum?
Weil jetzt gleichzeitig der Wechsel zur Elektromobilität ansteht. Und dort wird die Profitabilität anfangs deutlich schlechter sein als in den klassischen Technologien. Das ist eine gewaltige Herausforderung. Die großen Autowerte schwächeln deshalb schon seit geraumer Zeit. Doch nun leidet auch die Zulieferindustrie, die Auftragsbücher dort leeren sich. Hier merkt man auch, wie stark die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft ist: zum einen von der Autoindustrie, zum anderen von China.

Haben Sie ein weiteres Beispiel?
Aktuell stellen wir fest, dass Unternehmen aus dem Chemiesektor einen viel höheren Umsatzanteil im Automobil­bereich haben als bisher angenommen. So sind 20 Prozent des Umsatzes beim DAX-Wert Covestro direkt oder indirekt mit der Autoindustrie verbunden. Das ist schon enorm und bedeutet, dass sich die Schwäche viel weiter durch die Industrie zieht, als man das erwartet hat.

Wie sieht es bei den Banken aus?
Die Banken in Europa sind mit großen Herausforderungen an mehreren Fronten konfrontiert. Das klassische Konsumentengeschäft ist aufgrund der Regulierung mit immer höheren Kosten belegt. Gleichzeitig erzielen die Institute an den Kapitalmärkten weniger Erträge als früher. Im Ergebnis führt das zu einer deutlichen Konsolidierung des Sektors. Dazu kommen die sogenannten Strafzinsen der EZB, die wie eine Steuer wirken. Das schafft einen großen Wettbewerbsnachteil gegenüber US-Instituten. Diese werden im Wettbewerb immer stärker, während die europäischen Banken immer schwächer werden.

Bei welchen Branchen fühlen Sie sich denn wohl im Moment?
Es gibt einige strukturelle Trends, die nach wie vor intakt sind. Unternehmen, die in Wachstumssegmenten tätig sind, schlagen sich unverändert gut. Ich denke, dass das Segment der wachstumsstarken Qualitätsunternehmen weiter im Vordergrund stehen wird und es langfristig erfolgreich sein wird, auf Aktien solcher Firmen zu setzen. Das kann in den Bereichen Konsum, Gesundheit oder IT und Digitalisierung sein. In solchen Werten bleibt man weiter positioniert. Man sollte jedoch beachten, dass einige Unternehmen schon sehr sportlich bewertet sind.

Für Ihren Deutschland-Fonds finden Sie noch genug Anlageziele?
Ja, besonders im Nebenwertebereich haben wir einige Titel, die sich ordentlich entwickelt haben. Auch das Wohn­immobilien-Thema bleibt weiter aussichtsreich. In allen Segmenten gibt es einige Titel, die positive Wachstums­trends haben. Ausgeprägter finden Sie diese Trends freilich bei den Nebenwerten und nicht bei den Bluechips.

Wie ist Ihr Fonds aktuell aufgestellt?
Unsere Aufstellung ist üblicherweise eine Mischung aus 60 Prozent Standardwerten und 40 Prozent Nebenwerten. Das kommt daher, dass Sie im Bluechip- Segment immer eine ganze Reihe Titel haben, die sich nicht für ein Invest­ment anbieten. Einige Unternehmen haben strukturelle Probleme, die ignorieren wir komplett. Die zur Verfügung stehenden Gelder investieren wir dann breit gestreut in kleinere Unternehmen, so etwa 30 bis 40 Titel. Diese Diversifikation ist uns wichtig.

Weshalb?
Wenn Sie Nebenwerte im Portfolio haben, können Sie sich einem Abschwung nicht entziehen. Gerade diese leiden dann oft überproportional. In Börsenphasen wie jetzt gibt es aber ziemlich häufig Titel, die zu Unrecht unter die Räder gekommen sind. Für uns sind das gute Gelegenheiten, dort Positionen aufzubauen und diese dann wieder zu reduzieren, wenn sie sich erholt haben und gut gelaufen sind. Bei den Nebenwerten agieren wir also häufig ein wenig antizyklisch. Bei den Bluechips ist so etwas seltener, deshalb liegt dort der Fokus noch stärker auf langfristigen strukturellen Trends.

Wie oft schichten Sie Ihr Portfolio um?
Normalerweise relativ wenig. Am liebsten sind uns Phasen, in denen wir das Portfolio gar nicht bewegen müssen und wo sich alles stabil positiv entwickelt. Aber solche Phasen sind selten. Im Moment ist eine Zeit, in der wir eher versuchen müssen, nah am Markt zu sein und Bewegungen für uns zu nutzen.

Gibt es Unternehmen, die Dauerbrenner sind in Ihrem Portfolio?
Ja, unter den größeren Werten zum Beispiel SAP, Adidas oder Airbus. Auch bei den kleineren Titeln sind einige schon viele Jahre im Fonds, etwa Grenke, Rational oder Sixt. Die entwickeln sich an der Börse sehr solide. Manchmal schwanken die Aktien stärker als das Geschäftsmodell. Aber im Prinzip haben sich diese Unternehmen über die Jahre sehr gut entwickelt, und da bleibt man dann am liebsten auch lange dabei.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Bewertung deutscher Aktien?
Auffällig finde ich die Bewertung von zyklischen Titeln. Ein solch niedriges Niveau haben wir seit Jahren nicht mehr gesehen. Entsprechend sind die Dividendenrenditen bei einigen Werten enorm angestiegen. Der deutsche Aktienmarkt insgesamt bietet derzeit eine sehr hohe Dividendenrendite.

Zykliker sind also billig. Und Wachstum muss teuer bezahlt werden?
Tatsächlich gibt es auffällige Extreme. Die Bewertungen gehen stark auseinander zwischen Unternehmen, die ein stabiles Wachstum hingelegt und Anleger nie enttäuscht haben, und jenen, die irgendwann mal eine Enttäuschung geboten haben. Das gilt übrigens nicht nur für deutsche Aktien und ist auch nachvollziehbar: In einem Umfeld, in dem Sie ganz wenig Zinsen erhalten, sind Wachstumstitel diejenigen, die die höhere Bewertung bekommen. Die zyklischen Titel werden, sobald sie schlechte Nachrichten haben, abgestraft.

Was erwarten Sie von der Zinspolitik?
Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir in den nächsten Jahren kein verändertes Umfeld haben. In Europa hat die EZB schon deutlich gemacht, dass ihr die Wachstumsdynamik zu niedrig ist und die Inflation erst recht. Von daher sollten wir auf absehbare Zeit nicht davon ausgehen, dass die Zinsen steigen, sondern dass wir eher wieder quantitative Maßnahmen sehen werden.

Kann 2019 ein gutes Aktienjahr werden?
Man muss den Rest des Jahres sehr stark auf die Politik achten. Wir sind jetzt in der schwierigsten Phase des Jahres. ­August und September sind traditionell schwierige Börsenmonate. Aber ich glaube nicht, dass wir die Gewinne, die wir jetzt schon aufgebaut haben, komplett wieder abgeben werden. Insofern haben wir schon ein gutes Aktienjahr. Ob wir noch was drauflegen können, hängt von der Politik ab.

Kurzvita

Mister Aktie
Henning Gebhardt, geboren 1967 im niedersächsischen Northeim, studierte BWL an der Uni Göttingen. 1996 begann er seine berufliche Laufbahn bei der DWS und arbeitete dort bis 2016. Seine Anlageerfolge brachten ihm den Spitznamen "Mister Aktie" ein. Seit ­Anfang 2017 ist der zweifache Vater ­Leiter Wealth and Asset Management bei der Privatbank Berenberg.

Bewährte Strategie

Der Fonds
Mit dem Berenberg Aktien-Strategie Deutschland (ISIN: LU0146485932) verfolgt Gebhardt einen Anlageansatz, mit dem er bereits den DWS Aktien Strategie Deutschland groß gemacht hat: eine klare Über- oder Untergewichtung bei deutschen Standardwerten und ein relativ hoher Anteil an Nebenwerten von rund 40 Prozent. Den Fonds ­managt Gebhardt seit Juni 2017.