Matthias Zachert wollte ein Zeichen setzen. Anfang März, die Angst vor dem Coronavirus hatte die Weltbörsen bereits im Griff, ging der Lanxess-Chef in die Offensive: Bis zu 500 Millionen Euro wolle man in den Kauf eigener Aktien stecken. Damit unterstreiche man das Vertrauen in die strategische Ausrichtung von Lanxess und schaffe für die Aktionäre weiteren Wert, erklärte Zachert. Vier Wochen wurde gekauft, dann das neue Kommando: Die Rückkäufe werden gestoppt! Angesichts der Unwägbarkeiten der Pandemie gehe es darum, die Liquidität zu schonen.

Weltweit haben die Unternehmen im Schatten der Corona-Epidemie ihre Prioritäten neu ausgerichtet: Die Ausgaben werden radikal gekürzt. Möglichst viel Geld soll in der Kasse bleiben, um die Basiskosten decken zu können. Aktienrückkäufe stehen weit oben auf den Streichlisten. In den USA wurden nach Schätzung der Investmentbank Goldman Sachs allein in der zweiten März-Hälfte Rückkäufe in einem Volumen von 190 Milliarden Dollar ausgesetzt - das entspricht rund einem Viertel des gesamten Vorjahresvolumens.

In Deutschland sind Rückkäufe nicht so populär wie in den USA. Im DAX hat nur ein Viertel der Indexmitglieder im vergangenen Jahr in größerem Stil eigene Aktien gekauft. Und es werden immer weniger: Adidas, Allianz und Munich Re haben ihre Rückkaufprogramme unter dem Druck der Corona-Krise gestoppt. SAP und Fresenius Medical Care haben ihre Programme Anfang April planmäßig abgeschlossen, verzichten aber zumindest vorerst auf eine Neuauflage. Auffallend ruhig ist es bei Linde: Der Industriegasekonzern hat trotz Rückkaufprogramm seit März keine Aktivität mehr gemeldet.

Der plötzliche Verzicht verdeutlicht ein grundsätzliches Dilemma: "Unternehmen kaufen eigene Aktien oft zu hohen Preisen. In Krisenzeiten, wenn die Kurse stark gefallen und Aktien billig sind, werden Programme in vielen Fällen ausgesetzt", beobachtet Philipp Immenkötter vom Flossbach von Storch Research Institute.

Der falsche Zeitpunkt


Besonders krass war die Schieflage in der letzten großen Rezession: 2007, im Jahr vor der Eskalation der globalen Finanzkrise, kauften Mitglieder des US-Aktienindex S & P 500 eifrig eigene Aktien zurück und gaben dafür 580 Milliarden Dollar aus. Im Jahr 2009, als die Aktienmärkte ihren Tiefpunkt gefunden hatten, sank das Volumen auf 133 Milliarden. Dieses Muster scheint sich jetzt zu wiederholen, nicht nur in den USA, auch in Deutschland.

Beispiel Adidas: Im vergangenen Jahr kaufte der Sportartikelkonzern 3,2 Millionen eigene Aktien für einen Gesamtbetrag von 815 Millionen Euro, zahlte im Schnitt pro Papier 252,80 Euro. Das war kein Problem, weil sich das operative Geschäft gut entwickelte und alle Ausgaben aus dem Cashflow finanziert werden konnten. Dann kam das Virus.

Im März spitzte sich die Krise zu, weil Adidas die meisten seiner Läden schließen musste. Als der Konzern Mitte des Monats das Rückkaufprogramm aussetzte, notierte der Kurs nur noch bei 173 Euro, also knapp ein Drittel unter dem durchschnittlichen Kaufkurs des Vorjahres. Aus Sicht eines Finanzinvestors wäre das ein guter Zeitpunkt gewesen zuzugreifen. Adidas aber hatte andere Prioritäten, verhandelte mit der staatlichen Förderbank über Kredite, um das operative Geschäft zu sichern.

Die Versicherungskonzerne stehen unter dem Druck der Finanzaufsicht. Die Europäische Union fordert gar einen Dividendenstopp für die Branche. Dass Allianz und Munch Re ihre Rückkäufe aussetzen, wird als Kompromiss interpretiert, der die Auszahlung der Dividende sichert.

Andere Unternehmen kommen entspannter durch die Krise: Im April orderten aus dem DAX Siemens und Wirecard eigene Aktien. Das geht aus den Pflichtmitteilungen der Unternehmen hervor. Auch kleinere Unternehmen nutzen die niedrigen Kurse. Gekauft haben zuletzt unter anderem das Internetportal Scout 24 und die Immobilienfirma Deutsche Wohnen. Aurubis startete sein Programm Mitte März. In einer ersten Tranche will der Kupferproduzent Aktien im Wert von bis zu 60 Millionen Euro einsammeln. United Internet folgte Anfang April und will bis zu 150 Millionen ausgeben.

In normalen Zeiten sind Aktienrückkäufe eine Ergänzung zur Dividende. Letztere geht direkt auf das Bankkonto der Aktionäre. Insbesondere durch die niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt sind diese Bargeldzahlungen zu einer beliebten Einnahmequelle geworden, müssen aber versteuert werden.

Rückkäufe wirken aus Sicht der Aktionäre dagegen indirekt: Werden die Aktien dauerhaft aus dem Verkehr gezogen, muss der Konzerngewinn künftig über weniger Papiere verteilt werden. Munich Re als einer der eifrigsten Rückkäufer im DAX hat die Zahl der ausstehenden Papiere allein über die vergangenen fünf Jahre um fast ein Fünftel reduziert. Das poliert Kennziffern wie den Gewinn je Aktie auf. Gleichzeitig wird die Nachfrage durch Rückkäufe künstlich vergrößert. Wenn es gut geht, steigern Rückkäufe somit den Börsenwert. Kursgewinne wiederum müssen Investoren erst beim Verkauf der Aktie, also zu einem späteren Zeitpunkt, versteuern. In einigen Ländern ist der Steuersatz dabei niedriger als die Abgabe auf Dividenden.

Mehr Flexibilität


Aus Sicht des Unternehmens lassen Rückkäufe einen größeren Handlungsspielraum: Dividendenkürzungen werden an der Börse meist als starkes Signal interpretiert, dass ein Unternehmen in Schwierigkeiten steckt. Aktienrückkäufe kann man dagegen relativ geräuschlos aussetzen, um in schwierigen Phasen die Flexibilität zu vergrößern.

Vorsicht dürfte im Zweifelsfall der bessere Weg sein: "Investitionen in produktives Kapital und Bilanzstärke sollten immer Vorrang haben. Wenn dann Geld übrig ist, können Aktienrückkäufe eine sinnvolle Option sein", erklärt Experte Immenkötter.

Lanxess dürfte übrigens mit seiner nur vier Wochen dauernden Aktion ein gutes Geschäft gemacht haben: 1,1 Millionen Aktien zu einem Durchschnittkurs von 33,52 Euro haben die Rheinländer aufgekauft. Seitdem ist der Wert der Papiere um knapp ein Viertel gestiegen. Als Börsianer hat Zachert also das richtige Gespür.

Investor-Info

United Internet
Zuverlässiges Geschäft


Der rheinische Internet- und Mobilfunkanbieter rechnet trotz Corona-Krise mit einem stabilen Geschäftsverlauf. Als Dividende für das vergangene Jahr soll es nach der virtuellen Hauptversammlung im Mai 50 Cent je Aktie geben. Die Ausschüttungsquote liegt mit 24 Prozent im unteren Bereich des angestrebten Korridors. Somit bleibt finanzieller Spielraum für Aktienrückkäufe. 150 Millionen Euro sollen dafür bis Ende August ausgegeben werden. Die Aktie von United Internet bleibt ein solides Investment.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 37,00 Euro
Stoppkurs: 20,00 Euro

Deutsche Wohnen
Rendite in Berlin


Die Immobilienfirma hat ihren Schwerpunkt in Berlin. Politisch ist die Hauptstadt ein hartes Pflaster: Der Mietendeckel bremst das Renditepotenzial. Wohnraum in Berlin bleibt aber begehrt. In der Corona-Krise bieten Wohnimmobilien Investoren Sicherheit. Dank zuverlässiger Einnahmen kann Deutsche Wohnen neben der Dividende weiter eigene Aktien kaufen. Im November hatte der Konzern das Ziel ausgegeben, bis zu 750 Millionen Euro in seine Titel zu stecken.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 45,00 Euro
Stoppkurs: 27,00 Euro

Allianz
Strategische Pause


Das Virus hinterlässt auch bei den Versicherern schwere Schäden. Der Gewinn von Allianz dürfte in diesem Jahr deutlich sinken. An seiner offensiven Dividendenpolitik hält der Versicherungskonzern trotzdem fest. Das auf 1,5 Milliarden Euro angelegte Aktienrückkaufprogramm wird nach der ersten Tranche von 750 Millionen Euro auf Eis gelegt. Der Konzern hält sich aber die Option offen, das Programm später wieder aufzunehmen. Die Aktie bleibt als Dividendenwert attraktiv.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 200,00 Euro
Stoppkurs: 110,00 Euro