Die Analystenprognosen für den DAX sind für das Jahr 2015 eher verhalten. So sieht die Deutsche Bank den Index Ende kommenden Jahres bei 11.500 Punkten, die DZ Bank erwartet hingegen einen Rücksetzer auf 9.500 Zähler. Euphorie sieht anders aus. Anleger sind daher gut beraten, über den heimischen Tellerrand zu schauen. Besonders die asiatischen Aktienmärkte könnten positiv überraschen. Während der Nikkei seit Mitte Oktober eine starke Aufholjagd zeigt, führt der Shanghai Composite mit rund 35 Prozent seit Jahresbeginn die Performance-Rangliste der größeren Indizes an. Anders als viele amerikanische und europäische Aktienbarometer sind die Märkte noch weit von ihren bisherigen Rekordständen entfernt. So müsste die chinesische Börse noch um rund 100 Prozent zulegen, um das 2007 erreichte Rekordhoch zu übertreffen. In Asien lauert somit noch viel Nachholpotenzial, entsprechend aussichtsreich sind auch die Einzelwerte aus der Region.

Besonders viel Phantasie weckt das Internetgeschäft in China. Ende 2013 waren rund 618 Millionen Chinesen online, Mitte 2014 lag die Zahl bereits bei rund 632 Millionen. Die Quote liegt dennoch nur bei niedrigen 47 Prozent, für die USA wird eine Internet-Penetrationsrate von rund 84 Prozent angegeben. Nach Einschätzung der Analysten von Jefferies dürfte die Quote auf 62 Prozent steigen, was einer Userzahl von 858 Millionen entsprechen würde. Mindestens ebenso wichtig ist die Entwicklung des E-Commerce-Bereichs. Prognosen zufolge dürfte der Markt in China zwischen 2013 bis 2018 eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 28 Prozent erreichen. Besonders der Anteil der kaufkraftstarken Gruppe von Über-30-Jährigen Internetnutzern sollte kräftig zunehmen. Ausländische Unternehmen werden aber von diesen enormen Wachstumschancen zunächst kaum oder erst sehr spät profitieren. Erst vor wenigen Tagen hat China seine Internetblockade auf tausende weitere Seiten ausgeweitet. Google und Amazon kommen in der Volksrepublik auf einen Marktanteil von nur zwei Prozent und können lediglich hoffen, dass sich China irgendwann öffnen wird. Den heimischen Konzernen spielt die Zensur hingegen voll in die Karten, während sie zugleich die Weltmärkte erobern. Ganz vorne dabei ist Alibaba.

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Alibaba - eBay, Amazon und Google zusammen

Der Name klingt zunächst wie eine Figur aus Tausendundeine Nacht. Und tatsächlich bietet die chinesische Online-Handelsplattform genügend Phantasie für Rekorde und hohe Gewinne. Bereits der Börsengang Mitte September sprengte mit einem Erlös von 25 Mrd. Dollar alle Erwartungen. Zwei Monate nach dem spektakulären Börsendebut zapfte das Unternehmen erneut den US-Finanzmarkt an und sammelte über Anleihen acht Mrd. Dollar ein. Aufgrund der hohen Nachfrage mussten weniger Zinsen gezahlt werden als angenommen. Die Chinesen sind inzwischen höher bewertet als beiden Internet-Dinosaurier Amazon und eBay zusammen. Im abgelaufenen Quartal kletterte der um hohe Sonderkosten bereinigte Überschuss um 15,5 Prozent auf 1,11 Mrd. Dollar. Der Umsatz verzeichnete den kräftigsten Anstieg seit drei Quartalen und legte um mehr als die Hälfte auf 2,74 Mrd. Dollar zu. Bei Amazon verzehnfachte sich hingegen der Quartalsverlust auf 437 Mio. Dollar.

Amazon und Alibaba werden oft verglichen, die Geschäftsstrategie ist aber sehr unterschiedlich. Im Gegensatz zu den Amerikanern muss Alibaba keine kostenintensive Infrastruktur für Logistikzentren unterhalten, weil die Produkte nicht selbst verkauft werden. Alibaba stellt nur den Marktplatz im Internet bereit und agiert somit als Vermittler. Hier bestehen somit Parallelen zu eBay, allerdings nur auf den ersten Blick. Ähnlich wie der Internet-Dinosaurier mit Paypal bietet auch Alibaba mit AliPay ein Online-Bezahlsystem mit enormen Wachstumsraten an, der in Asien die Nummer eins ist. Während im Oktober 2013 noch 22 von 100 Alibaba-Nutzern den Service in Anspruch nahmen, waren es dieses Jahr bereits 54. Ein Börsengang der Finanzdienstleistungssparte ist nur noch eine Frage der Zeit und soll nach Aussagen von Konzernchef Jack Ma "definitiv" geschehen. Im Gegensatz zu eBay ist Aliaba zudem in der Online-Werbung aktiv und damit im klassischen Geschäft von Google. Unter dem Strich liegt daher auch die Umsatzrendite von Alibaba eher im Bereich des Suchmaschinenbetreibers.

Über die Töchter und zahlreichen Beteiligungen an Internet-Netzwerken, Webseiten, Chart- und Kartendiensten sowie klassischen Kaufhäusern ist Alibaba ein Konzern mit zahlreichen Geschäftsfeldern. Hier eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten, immer mehr Zahlstellen für die Nutzer einzubauen und daran zu verdienen. Rund 15 Jahre nach der Gründung wickelt Alibaba inzwischen mehr Geschäfte ab als Amazon und eBay zusammen. 85 Prozent seines Umsatzes erzielen die Chinesen in der Heimat.

Die hohe Abhängigkeit von der heimischen Wirtschaft ist daher auch als ein Risikofaktor zu sehen. Ganz oben auf der Agenda des Konzerns stehen daher neben weiteren Wachstumsplänen in China verstärkte Expansionsbestrebungen im Ausland. Zuletzt war Unternehmenschef Ma in Indien unterwegs und will dort seine Präsenz massiv aufstocken. Gespräche finden zudem mit Hollywood-Studios statt. Ma will verstärkt in den Unterhaltungsbereich einsteigen und sich dazu US-TV und Filminhalte sichern. Nicht vergessen werden sollten auch die Beteiligungen. Chinesische Unternehmen, an denen Alibaba beteiligt ist, drängen an die Börse. Erst vor wenigen Tagen gab Momo weitere Details bekannt. Alibaba ist mit rund 20 Prozent am Instant-Messaging-Anbieter dabei und plant besonders den Bereich mit zielgerichteter Werbung weiter auszubauen.

Analysten sind von der Aktie überzeugt. Daten von Bloomberg zufolge sprechen sich 33 Experten für die Papiere aus, während nur zwei von 38 Analysten den Daumen senken. Das daraus abgeleitete durchschnittliche Kursziel liegt bei rund 118,52 Dollar und somit rund zehn Prozent über dem aktuellen Niveau.

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Spekulation mit zahlreichen Risiken

Bei aller Euphorie und den durchaus glänzenden Aussichten dürfen aber auch die Gefahren nicht unterschätzt werden. Aus Sicht der Bewertung biete die Aktie kaum Luft nach oben, für 2014 liegt das KGV bei 37,7. Analysten rechnen in den kommenden fünf Jahren mit einem Gewinnplus je Aktie von durchschnittlich 28,8 Prozent im Jahr. Nur wenn diese Wachstumsszenarien auch erfüllt werden, bleibt die Bewertung gerechtfertigt. Inzwischen sind die hohen Erwartungen natürlich bereits eingepreist. Kursgewinne sind nur wahrscheinlich, wenn die ohnehin schon sportlichen Schätzungen übertroffen werden.

Aufgrund der unzähligen Beteiligungen ist es zugleich für Investoren sehr schwierig, einen Überblick über die Geschäftsentwicklung zu erhalten. Wegen der rechtlichen Konstruktion ist das Mitspracherecht für Aktionäre sehr stark begrenzt. Gründer Ma überraschte in der Vergangenheit schon einmal seine Aktionäre. So wurde Alipay vor rund fünf Jahren ohne Kenntnis der Großaktionäre wie Yahoo von Ma ausgegliedert. Die Enteignung der Kronjuwele wurde nicht rückgängig gemacht, Yahoo bekam nach harten Verhandlungen lediglich Verwertungsrechte zugesichert. Auch die erhöhten regulatorischen Gefahren sind zu beachten. Sollten Chinas Behörden die ausgestellten Lizenzen für Telekommunikation und Finanzdienstleistungen entziehen, wäre Alibaba nur noch einen Bruchteil wert.

Die Aktie eignet sich daher nur für Anleger, denen die erhöhten Risiken bewusst sind. Gerade in der jüngeren Vergangenheit sind viele kleine chinesische Unternehmen in Deutschland mit negativen Schlagzeilen aufgefallen. Alibaba spielt in einer anderen Liga, Unternehmenslenker Ma hält aber immer die Zügel in der Hand. Wie an der Börse so gilt auch bei Aliaba: Den enormen Wachstumschancen stehen ebenso hohe Risiken gegenüber.

Franz-Georg Wenner ist Chefredakteur des börsentäglichen Anlegermagazins "Index-Radar".

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