Bei dem Versicherungsriesen liebt und zelebriert man die Verschwiegenheit - auch wenn mancher Aktionär schon mit den Fingern auf dem Tisch trommelt. Diekmanns Vertrag läuft Ende des Jahres aus, dann wird er 60 Jahre alt. Üblicherweise ist die Nachfolge ein halbes Jahr vorher längst geregelt.

Europas größter Versicherer beharrt darauf, dass der Aufsichtsrat erst im Oktober entscheidet. Darüber hinaus will sich der Konzern nicht äußern, auch Diekmann schweigt. Gleich mehrere Großinvestoren, die regelmäßig mit dem Top-Management im Gespräch sind, glauben den Grund für die Gelassenheit zu kennen: Diekmann werde noch ein, höchstens zwei Jahre weitermachen und dann das Ruder übergeben. Ein wohldosierter Abschied auf Raten.

"Ich kann mir gut vorstellen, dass Diekmann die Jubiläums-Hauptversammlung im kommenden Frühjahr dafür nutzt", sagt ein Fondsmanager zu Reuters. Zum 125. Geburtstag der Allianz könne der scheidende Chef dann nicht nur die von vielen Analysten erwartete Rekorddividende verkünden, sondern auch noch höchstpersönlich seinen Nachfolger präsentieren. "Das wäre ein Abschied nach seinem Geschmack - die große Bühne und der große Paukenschlag." Ein anderer Großaktionär hätte damit keine Probleme: "Wir würden es begrüßen, wenn Diekmann noch ein bisschen weitermacht", sagt Henning Gebhardt, der bei der Fondsgesellschaft DWS das Aktiengeschäft für Europa, Afrika und den Nahen Osten leitet.

Auf Seite 2: Welche Karten der frühere Finanzchef Oliver Bäte hat

GENERATIONSWECHSEL NACH PLAN A?

Die meisten Insider wetten im Moment auf den 49-Jährigen Oliver Bäte als Diekmann-Nachfolger - ein Generationswechsel. Bäte ist im Vorstand seit Anfang 2013 zuständig für das Versicherungsgeschäft in West- und Südeuropa, vorher leitete er das Finanzressort. Als damals Bäte und sein Vorstandskollege Dieter Wemmer die Zuständigkeiten tauschten, ließ sich die Allianz zumindest ein Stück weit in die Karten schauen. Diekmann sprach von einem "Plan". Dem Zahlenmenschen Bäte, in frühen Jahren Berater bei McKinsey, sollte eine operative Aufgabe im Versicherungsbereich gegeben werden, damit er den nötigen "Stallgeruch" bekommt.

Ein hochrangiger Manager, der mit Bätes Werdegang vertraut ist, zieht eine Zwischenbilanz: "Wenn Bäte jetzt zeigen kann, dass er in Frankreich, Italien und der Türkei einen guten Job gemacht hat, dann wird das seine Glaubwürdigkeit für den CEO-Posten erhöhen." In der Türkei etwa integriert die Allianz gerade den Versicherer Yapi Kredi Sigorta. Das Problem sei die enge Zeitspanne, betont der Insider. Denn eigentlich bräuchte Bäte ein Jahr länger, um echte Erfolge vorweisen zu können - das spreche für die Abwarte-Theorie. Und: Das Image des kühlen Rechners habe er bis heute nicht ablegen können, er gilt vielen im Hause als unnahbar - anders als Diekmann, den man in München auch mal ganz entspannt in der Kantine trifft.

Auf Seite 3: Wer der zweite heiße Anwärter auf den Chefposten ist

Ob Bäte wirklich das Rennen macht, ist also keineswegs sicher. Auch Markus Rieß, der die Deutschland-Tochter führt, werden Ambitionen nachgesagt. Generell gilt: Die Allianz hat zwar eine Tradition, Eigengewächse an die Spitze zu befördern, statt Manager von außen zu holen - was nicht alle Großaktionäre gutheißen. Aber für Überraschungen ist der Konzern immer gut. Auch Diekmann, der den Konzern mit weltweit fast 150.000 Mitarbeitern seit dem Frühjahr 2003 relativ geräuschlos führt, wurde damals für viele Branchenkenner unerwartet als ursprünglich Regionalverantwortlicher in den Chefsessel gehoben.

Seine Erfolgsbilanz: Er brachte in- und ausländische Töchter wie Allianz Leben, die französische AGF oder die italienische RAS auf Allianz-Kurs und schmiedete die schlanke SE-Holding-Struktur (Societas Europaea), was in seiner Anfangszeit mit dem nicht unumstrittenen Abbau tausender Stellen einherging. Und noch mitten in der Finanzkrise schlug er die entzauberte Dresdner Bank an die Commerzbank los.

Seit Diekmanns Antritt hat sich der Aktienkurs der Allianz verdoppelt, während der europäische Branchenindex nur 60 Prozent zulegte. Der Dax hat sich im selben Zeitraum allerdings mehr als verdreifacht.

Auf Seite 4: Wie die Analysten die weiteren Perspektiven für die Allianz einschätzen

"Egal, wer der neue Vorstandschef wird - er kann sich glücklich schätzen", sagt Analyst Michael Huttner von JP Morgan. "Er wird einen Versicherungskonzern führen, der wiederholt Rekordgewinne abgeliefert hat, eine starke Solvabilität vorweist und die Niedrigzinsen im wichtigen deutschen Lebensversicherungsgeschäft recht gut wegsteckt." Einzig die zuletzt schwächelnde US-Fondsgesellschaft Pimco bleibe eine Herausforderung, betont Huttner - und verweist auf die relativ große Unabhängigkeit, die sich die Tochter gesichert hat und die der Zentrale das Durchregieren erschwert.

Nick Holmes, Branchenanalyst bei Societe Generale, sieht noch eine andere Aufgabe: "Die größte Herausforderung besteht darin, dass es kein echtes Wachstum gibt." Eine überzeugende Schwellenländer-Strategie fehle bis heute. "Die Allianz muss sich entscheiden, was sie sein will: Eine globale Macht, dazu gehört Wachstum, oder nur ein betulicher Sachversicherer, der sein Kapital effizient managt. Dann müssten sie aber eine deutlich höhere Dividende zahlen."

ODER PLAN B?

Den Erfolg des heimischen Lebensversicherungsgeschäfts verdankt der Konzern Rieß, der von der Dresdner Bank kam und Allianz Deutschland seit Mitte 2010 führt. Der 48-Jährige hat den Versicherer neu organisiert und deutlich schlagkräftiger gemacht. Das könnte ihm nun auch bei der Karriereplanung helfen: Rieß soll in den Vorstand der Allianz-Holding aufrücken, wie mehrere Insider berichten. Ob er Bäte im Rennen um den Chefposten gefährlich werden kann, darin sind sich Branchenkenner uneins. Manche Großinvestoren bemängeln die fehlende internationale Erfahrung. Aber Rieß gilt als ehrgeizig. Gut möglich, dass Diekmann und Aufsichtsratschef Helmut Perlet die beiden Manager noch bis zum Frühjahr gegeneinander antreten und im Ungewissen lassen - und die Nachfolgeentscheidung dann erst kurz vor der Hauptversammlung fällt.

Auf Seite 5: Großes Stühlerücken im Vorstand

In das oberste Führungsgremium aufrücken kann Rieß deshalb, weil im Vorstand wohl einige Stühle frei werden. Denn nicht nur Diekmanns Vertrag läuft zum Jahresende aus, auch die Verträge von fünf weiteren Mitgliedern. Als sicher gilt inzwischen, dass Manuel Bauer und Clement Booth aus dem Führungsgremium ausscheiden werden. Sie haben dann die Altersgrenze erreicht, und ihre Verträge dürften anders als Diekmann nicht noch einmal verlängert werden, berichten Eingeweihte. Als gesetzt gilt Finanzchef Wemmer. Auch zu diesen Personalien will sich die Allianz im Moment nicht äußern.

Reuters