Die Corona-Krise hinterlässt tiefe Spuren in den Bilanzen der deutschen Topkonzerne. Der operative Gewinn der DAX-Mitglieder dürfte in diesem Jahr um fast 30 Prozent sinken. Die meisten Unternehmen schlagen sich aber besser als erwartet. Das zeigt eine Analyse von €uro am Sonntag. Ausgewertet wurden dafür die bisherigen Geschäftsergebnisse und Prognosen der Unternehmen sowie Analystenschätzungen.

Größter Gewinner in diesem Jahr dürfte die Deutsche Telekom werden. Dem Rosa Riesen trauen Analysten ein operatives Plus von mehr als elf Milliarden Euro zu. Knapp dahinter folgt mit mehr als zehn Milliarden die Allianz. Der größte Problemfall im DAX hat nichts mit der Pandemie zu tun: Bayer kämpft noch immer mit unerwünschten Nebenwirkungen der Monsanto-Übernahme: Vor allem aufgrund des Rechtsstreits um den Unkrautvernichter Glyphosat haben die Rheinländer 12,5 Milliarden Euro der Sonderbelastungen in ihre Bilanz gepackt.

Während Prognosen für das Gesamtjahr angesichts der Corona-Krise dieses Mal mit besonders großen Unsicherheiten verbunden sind, zeigen die Ergebnisse zum zweiten Quartal sehr präzise, wie stark die einzelnen Unternehmen unter dem Virus leiden. Laut Daten der Beratungsgesellschaft EY ist der operative Gewinn der DAX-Konzerne in den Monaten April bis Juni ohne den Bayer-Effekt und ohne die insolvente Wirecard um 45 Prozent auf knapp 14 Milliarden Euro gesunken.

Am stärksten sind die Pandemie-Schäden in der Industrie. Allein die vier Automobilkonzerne des DAX - BMW, Continental, Daimler und Volkswagen - haben operativ im zweiten Quartal mehr als fünfeinhalb Milliarden Euro Verlust eingefahren. Das größte Minus geht dabei mit 2,4 Milliarden auf das Konto des VW-Konzerns. BMW hat sich mit einem Minus von 666 Millionen vergleichsweise gut gehalten. "Die Werksschließungen und das Herunterfahren des öffentlichen Lebens in vielen Ländern haben zu enormen Einbußen geführt", erklärt Mathieu Meyer, Mitglied der Geschäftsführung bei EY.

Ganz ungewohnt im Kreis der Verlierer steht Adidas. Der Sportartikelkonzern musste während der Pandemie zeitweise 70 Prozent seiner Läden schließen. Von April bis Juni verbuchte Adidas darum einen operativen Verlust von 333 Millionen Euro und war damit fast eine Milliarden schlechter als im Vorjahreszeitraum.

Doch es gibt auch Krisengewinner im DAX: Die Deutsche Post konnte ihren Gewinn unerwartet stark steigern, um 19 Prozent auf mehr als 900 Millionen Euro. Ein wesentlicher Grund ist der boomende Onlinehandel. Das Paketwachstum habe bei über 20 Prozent gelegen, heißt es beim Logistikriesen.

Die Deutsche Telekom wächst auch in der Pandemie stark - der US-Mobilfunktochter sei Dank. Der Gesundheitskonzern Fresenius Medical Care profitierte davon, dass besonders in Nordamerika mehr Patienten mit Nierenerkrankungen zu Hause behandelt werden. Das Geschäft des Softwarekonzerns SAP wird wiederum dadurch beschleunigt, dass in vielen Unternehmen Angestellte im Homeoffice arbeiten und Dienste in der Cloud nutzen.

Weitgehend unberührt von der Pandemie ist das Geschäft mit Wohnimmobilien. Nur etwa ein Prozent der Mieter hätte sich gemeldet, weil sie durch die Pandemie in finanzielle Schwierigkeiten geraten seien, berichtet Vonovia. Der operative Ertrag (FFO) des Konzern legte im Quartal um über elf Prozent zu.

Was wirklich zählt

Wichtiger als die absoluten Ergebnisse ist für Börsianer der Überraschungsfaktor: Alle wichtigen Unternehmen der Börse werden von Analysten beobachtet. Zu SAP beispielsweise, dem nach Börsenwert größten DAX-Konzern, hat der Datendienst Bloomberg 38 Analystenmeinungen erfasst. Auf deren Basis wird eine Konsensschätzung errechnet. Übertrifft das Unternehmen mit seinen Geschäftszahlen diese Analystenerwartung, wird das meist mit Kursgewinnen belohnt. Bei Enttäuschungen gerät die entsprechende Aktie unter Druck. Der Effekt wirkt offenbar auch längerfristig: Eine Analyse der Investmentbank Morgan Stanley kommt zu dem Ergebnis, dass die Aktien von Unternehmen, die die Konsensschätzung bei Gewinn oder Umsatz übertreffen, auf Sicht von einem und drei Monaten die Aktien jener Unternehmen schlagen, die enttäuscht haben.

Diese Kursdynamik würde bedeuten, dass die Aktienmärkte längere Zeit brauchen, um die neuen Informationen der Geschäftsberichte zu verarbeiten. Eine andere Erklärung ist, dass nach unerwarteten Quartalsergebnissen Analysten ihre Gewinnschätzungen korrigieren, neue Empfehlungen zur Aktie veröffentlichen und damit kurstreibende Ereignisse produzieren.

Zykliker drehen auf

In der aktuellen Phase könnte ein weiterer Einflussfaktor den Überraschungseffekt verstärken: In der Krise sind vor allem Aktien zyklischer Branchen unter Druck geraten und haben jetzt entsprechend Aufholpotenzial. Das gilt beispielsweise für Daimler. Der Autokonzern hat im zweiten Quartal zwar knapp 1,7 Milliarden Euro Verlust erwirtschaftet. Analysten hatten aber mit einem Minus von 2,1 Milliarden, also einen deutlich schlechteren Ergebnis, gerechnet.

Prozentual noch größer war die Überraschung bei Infineon. Der Chiphersteller erzielte im vergangenen Quartal ein Segmentergebnis von 220 Millionen Euro. Analysten hatten lediglich 119 Millionen auf dem Zettel. Infineon profitiert von der Digitalisierung der Wirtschaft, ist als Zulieferer aber auch stark von der Automobilindustrie und damit von Unternehmen wie Daimler abhängig. Sehr aufmerksam registrieren Börsianer daher die Aussage von Infineon-Chef Reinhard Ploss, dass man im besonders hart getroffenen Automobilmarkt "konkrete Anzeichen einer Erholung" sehe.

Für den DAX war das zweite Quartal trotz des starken Gewinneinbruchs ein Achtungserfolg. Denn: Neben Infineon und Daimler überboten laut Bloomberg-Datenbank 15 weitere Indexmitglieder beim Ebit die Analystenerwartung. Damit hat die Mehrheit ein positives Zeichen gesetzt.
 


INVESTOR-INFO

Deutsche Post

Wie Weihnachten

Weihnachtsstimmung im Sommer: Die Deutsche Post transportierte in der Hochphase der Pandemie so viele Pakete wie sonst nur in der Zeit vor dem Fest. Auch wenn die Dynamik etwas nachlassen dürfte, sollte der Trend zum Onlineshopping nachhaltig sein. Das internationale Expressgeschäft profitiert derweil von der Erholung der chinesischen Wirtschaft. Dass die Post die Dividende nicht wie angekündigt erhöht, ist eine Enttäuschung, im aktuellen Umfeld aber akzeptabel.

Daimler

Auf Erholungskurs

Schlecht, aber deutlich besser als erwartet - neben dem Gewinn überraschte auch die Liquidität des Konzerns zum Halbjahr angenehm. Hoffnung für den Rest des Jahres macht vor allem die Entwicklung in China, dem für die Branche wichtigsten Absatzmarkt. Für das Gesamtjahr stellt Daimler bei Absatz, Umsatz und Ergebnis Werte unter Vorjahresniveau in Aussicht. Die Aktie ist eine Turnaroundspekulation.

Infineon

Ein großer Trend

Der Halbleiterkonzern profitiert von der Digitalisierung der Wirtschaft, also einem lang anhaltenden Trend. Wichtigste Branche mit einem Umsatzanteil von 45 Prozent ist die stark zyklische Automobilindustrie. Eine Erholung dort würde auch Infineon einen Schub geben. Zum Halbjahr hoben die Münchner ihre Prognose für Umsatz und operative Umsatzrendite leicht an. Die Aktie bleibt ein gutes Langfristinvestment.