Einen echten Krimi brachte die Stichwahl um das Amt des österreichischen Bundespräsidenten. Nach einer Zitterpartie am Abend des Urnengangs lag der Rechtspopulist Norbert Hofer dermaßen knapp vor dem Grünen-Politiker Alexander Van der Bellen, dass die Entscheidung für diesen erst nach Auszählung der Briefwähler am Montagnachmittag feststand. Bereits der erste Durchgang der Wahlen hatte ein politisches Beben ausgelöst: Nachdem Hofer die Mehrheit der Stimmen erhalten hatte, nahm der sozialdemokratische Bundeskanzler Werner Faymann seinen Hut. Die Nachfolge trat Parteikollege Christian Kern an. In seiner Antrittsrede erklärte der bisherige Chef des staatlichen Bahnunternehmens ÖBB, dass er dem Stillstand in der Alpenrepublik mit Visionen entgegentreten möchte. Es ist genau der vom neuen Regierungschef beschworene "Ruck", den auch die österreichische Wirtschaft brauchen könnte. In den vergangenen vier Jahren war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Schnitt nur um 0,6 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist die Arbeitslosenquote sukzessive auf mehr als neun Prozent angewachsen.

"Der Kanzlerwechsel bietet die Chance, dass sich die schlechte Stimmung in Österreich zu drehen beginnt und sich die bestehende Investitions- und Wachstumsschwäche auflöst", meint Walter Pudschedl, Volkswirt bei der Bank Austria. Seiner Ansicht nach steht der neue Bundeskanzler im Vergleich zu seinem Vorgänger für einen unternehmerfreundlichen Kurs. Die jüngste Konjunkturentwicklung könnte Christian Kern in die Hände spielen. Dank einer Steuerreform und niedrigen Inflationsraten schob der Konsum die Wirtschaft im ersten Quartal an, was Pudschedl zuversichtlich stimmt: "Mit einem Plus von 1,5 Prozent erwarten wir für 2016 insgesamt weiterhin ein höheres Wirtschaftswachstum als im Vorjahr."

Aktien mit Momentum



An der Wiener Börse ist der Aufschwung noch nicht angekommen. Vielmehr bewegt sich der Austrian Traded Index, kurz ATX, seit Monaten im Abwärtstrend. Ungeachtet dessen hat der insgesamt 20 Mitglieder zählende Gradmesser aussichtsreiche Aktien zu bieten. Aus charttechnischer Sicht fällt Conwert auf. Der Immobilientitel ist gerade auf den höchsten Stand seit knapp neun Jahren geklettert. Fundamental punktete das schwerpunktmäßig am deutschen Wohnungsmarkt engagierte Unternehmen 2015 mit der Rückkehr in die Gewinnzone. Konzernchef Wolfgang Beck verfolgt einen Sparkurs und baut gleichzeitig das Kernportfolio weiter aus. Bei den Analysten kommt diese Strategie an. Beispielsweise stuft die Deutsche Bank den ATX-Titel mit "Kaufen" ein und taxiert das Kursziel auf 17,50 Euro - ein Aufschlag von 23 Prozent auf die aktuelle Notierung.

Auf einen Mix aus charttechnischem Momentum und operativem Rückenwind stoßen Anleger auch bei Lenzing. Starke Quartalszahlen hievten den Aktienkurs des Textilfaserherstellers erstmals seit April 2012 über die Marke von 80 Euro. Die Oberösterreicher steigerten das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von Januar bis März prozentual zweistellig auf 92,2 Millionen Euro. Analysten hatten im Schnitt mit 7,7 Millionen Euro weniger gerechnet. Neben einer starken Nachfrage nach den unter anderem in den berühmten Levi’s-Jeans verwendeten Lenzing-Fasern kommt dem Konzern die Neuausrichtung zugute. Im vergangenen Herbst stellte Vorstandschef Stefan Doboczky langfristige Ziele vor. Er will unter anderem den Umsatzanteil der umweltfreundlichen Spezialfasern ausbauen. Alles in allem peilt Doboczky bis 2020 beim Ebitda ein jährliches Wachstum von rund einem Zehntel an. Da die jüngsten Zahlen die Pläne untermauern, erhöhen wir das Kursziel für die Lenzing-Aktie und raten weiter zum Kauf.



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Attraktive Bewertung



Weniger das Momentum als vielmehr die Bewertung sprechen für RHI. Das Unternehmen produziert feuerfeste Produkte, die beispielsweise in Schmelzöfen zum Einsatz kommen. Zu den Schlüsselkunden der Wiener zählt Thyssenkrupp. Insofern überrascht es nicht, dass die Probleme des Stahlsektors vor RHI nicht Halt machten. 2015 brach das operative Ergebnis um knapp zwei Drittel ein. Obwohl der Profit im ersten Quartal weiter nachgab, stellt das Management fürs laufende Jahr eine stabile Entwicklung in Aussicht. Neben Kosteneinsparungen sollte dem Konzern die sich anbahnende Wende im Rohstoffsektor in die Karten spielen. Mit einem 2017er-KGV von 7,5 zählt RHI zu den Schnäppchen im ATX. Hinzu kommt eine stattliche Dividendenrendite von 4,6 Prozent.

Eine Dividendenrendite von 3,4 Prozent bringt Andritz mit. Der diversifizierte Industriekonzern - zum Leistungsspektrum zählen Anlagen für Wasserkraftwerke und zur Herstellung von Papier, Karton und Faserplatten - musste zwar im ersten Quartal einen Umsatzrückgang hinnehmen, dennoch gelang es dem Management, das Ebitda prozentual zweistellig zu steigern. Die Robustheit des Unternehmens kommt auch im hohen Cashflow zum Ausdruck. Über kurz oder lang sollte das ATX-Schwergewicht seine Stärken auch an der Börse ausspielen können.



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