Für die IT-Branche sind sie das nächste große Ding: "Wearables". Unter dem Begriff verstehen die Hersteller vor allem mit Elektronik vollgestopfte Armbänder, die sich mit dem Smartphone oder anderen Geräten verbinden lassen, Telefongespräche vermitteln oder die täglichen Schritte des Benutzers zählen. "Wearables sind dabei, unseren Alltag zu erobern. Sie bieten die Möglichkeit, den Puls während des Joggens zu beobachten oder seinen Schlaf zu überwachen", sagte jüngst IFA-Ausrichter Hans-Joachim Kamp.

Mit der Vorstellung der Apple-Watch in der Nacht zu Mittwoch hoffen die Konkurrenten auf den Durchbruch ihrer jüngsten Produktkategorie. "Bis 2020 rechnen wir damit, dass der Smartwatch-Markt 12,9 Milliarden Dollar erreichen wird und bis dahin 92,6 Millionen Uhren verkauft wurden", veranschlagt Analyst Martin Scott von Analysys Mason. Der Schub werde aber erst kommen, wenn die rund 400 Euro teure Apple-Watch im kommenden Frühjahr verfügbar ist. "Das strahlt auf die anderen Hersteller aus und wird die Aufmerksamkeit für die Produkte erhöhen, wenn auch nicht damit zu rechnen ist, dass ein Konkurrent mittelfristig mit Apple mithalten kann", erklärte Scott. Noch ist der Absatz der Technik eher gering. "Wenn Apple sein eigenes Produkt herausbringt, wird das den Markt erweitern. Das wird auch Android-Nutzer anregen", sagte Sung-jin Lee von LG Electronics im Reuters-GesprächLee.

Technologieexperten zeigten sich dabei vom Leistungsumfang des Apple-Modells enttäuscht. So braucht die Uhr für ihre Funktionen etwa die Verbindung mit einem iPhone, und der Akku halte nicht sonderlich lange, bemängelte Paul Jackson vom Marktforscher Ovum. Konkurrenzmodelle wie etwa jene von Samsung seien eigenständiger. Verschiedene Designs biete auch die Palette von LG Electronics. Apple kann sich im wesentlichen nur auf seine Marktmacht und seinen Nimbus bei der Fangemeinde verlassen. Die klassischen Hersteller von Armbanduhren wie Swatch könnten nach der Vorstellung beruhigt sein, meint Analyst Jon Cox von Kepler Cheuvreux. Zudem verhandelt Intel mit vielen Branchengrößen über IT-Integration in analoge Armbanduhren. Die sollen ganz unabhängig von Smartphones das Telefonieren und den E-Mail-Verkehr ermöglichen, versprach Intel-Manager Kirk Skaugen auf der Funkausstellung.

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POTENZIAL FÜR GOLDRAUSCH IST DA

Die Erwartungen der IT-Branche an "Wearables" bleiben riesig. "Es ist noch kein Goldrausch, aber das Potenzial dafür ist da", sagte LG-Manager Lee. "Wir lernen noch. Der Konsument weiß noch nicht, damit umzugehen. Wir sind für alle Möglichkeiten in der nächsten Generation offen." Die Modelle der asiatischen Rivalen fallen optisch recht unterschiedlich aus. Während Samsung auf ein gewölbtes Display mit viel Glitzer auf dem Armband setzt, orientiert sich LG am Design klassischer Schweizer Uhren, denen man auf den ersten Blick das elektronische Innenleben nicht ansieht. Sony 's Angebote sind indes auf den ersten Blick als Computeruhren erkennbar. "Alles steht noch am Anfang. Sowohl LG als auch andere Firmen sind scharf darauf, den Megahit zu landen", sagt Lee.

Sony präsentierte vergangene Woche auf der IFA gleich zwei neue Modelle. Dabei geht es den Japanern nicht nur darum, die Produkte lediglich zu verkaufen, sondern auch Apps und Services rund um die Smartwatch anzubieten. Deshalb kooperieren Sony wie LG beim jüngsten Modell auch mit Google und rüstet die IT-Armbanduhr für die neuesten Versionen der Android-Software vor.

Sonys eigene Aufzeichnungssoftware illustriert, worum es bislang bei der früheren "Wearables"-Technik geht. Die Armbänder zeichnen Joggingdaten auf, zählen Schritte, Fahrrad- und Autokilometer, Puls oder Schlafstunden. Zu seinem "Wearables"-Portfolio zählt Sony auch eine kleine Action-Kamera, die auf dem Skateboard montiert Großstadtabenteuer aufzeichnen kann oder am Mountainbikelenker Ausflüge ins Grüne. DJ Lee vom Konkurrenten Samsung bringt es auf den Punkt: "Es geht nicht nur darum, IT ans Handgelenk zu bringen. Es hilft auch dabei, fit zu bleiben", formuliert es der Koreaner. Die IT-Armbänder stünden am Anfang einer Lifestyle-Revolution.

Noch sind viele WT-Pioniere kaum über die Startphase hinausgekommen. Doch die großen IT-Konzerne rechnen fest mit einem Massentrend. Samsung-Manager Stylianos Mamagkakis schätzt, dass bis 2018 fast 600 Millionen WT-Geräte verkauft werden: "Da ist alles dabei: Von Brillen, Armbändern, Uhren bis zu Schuhen."

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KÖRPERLICHE VOLLERFASSUNG

Die Wachstumsraten erscheinen beeindruckend: Sind im vergangenen Jahr weltweit 50 Millionen WT-Geräte verkauft worden, so sollen es 2014 bereits über 75 Millionen werden, wie Experte Christian Stammel von der Wearables Technologie AG bereits zu Jahresbeginn prognostizierte. Der durchschnittliche Marktzuwachs soll über die kommenden Jahre bei mehr als 50 Prozent liegen. Aktuell stehen vor allem IT-Armbanduhren im Zentrum der Aufmerksamkeit. "Es tobt ein heißer Kampf um den Platz am Ende des Armes", formuliert es der britische Analyst Nick Hunn. Da viele Menschen aufgrund der Uhrenfunktion ihrer Smartphones keine herkömmlichen Armbanduhren mehr trügen, sei eine kostbare Fläche freigeworden.

Viel Potenzial liegt aber vor allem in der Medizintechnik. "Es eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten in der Telemedizin", erklärt IFA-Macher Kamp. Im Gesundheitswesen sind Hilfsmittel wie Hörgeräte und Implantate seit längerem an der Tagesordnung. Und die moderne Computertechnik bietet dutzende Neuerungen. Etwa eine Kamerakapsel zum Schlucken, die Patienten eine unangenehme Magen- oder Darmspiegelung erspart. Mit dem Multi-Analysegerät Scanadu können die Besitzer neben der Körpertemperatur und dem Blutdruck auch die Sauerstoffsättigung des Blutes messen oder ihren Urin selbst testen.

Besonders futuristisch wirkt das Neuroheadset der Firma Emotiv. Das Gerät wird ähnlich wie ein Kopfhörer getragen und misst die Hirnströme. Mittels dieser Elektroenzephalografie (EEG) können Geübte dann beispielsweise Maschinen wie ein Rollstuhl bewegen - eine Art elektronischer Telekinese. Viele IT-Experten träumen schon von Computerimplantaten im Menschen. IT am Körper, auf dem Körper und im Körper - so beschreibt Christian Stammel, Firmenchef der Herrschinger Wearable Technologies AG, den neuesten Traum der Branche. Für viele Miezekatzen sind elektronische Implantate bereits Alltag: Mit einem Chip vom Tierarzt im Nacken öffnen sie die Katzenklappe ihres Zuhauses, während Spielgefährten draußen bleiben müssen.

Analyst Hunn verweist allerdings darauf, welche Risiken die Erfassung medizinischer Daten mit sich bringt, vor allem wenn sie an unsicheren Orten gespeichert werden: "Hat er ein Prostata-Problem? Eine Infektion? Eine psychische Störung? Hatte er Sex und war noch eine andere Person mit dabei?"

Reuters