Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien am 01.12.2016 in Heftausgabe 48/2016

Zur vierten Kanzlerkandidatur von Angela Merkel kann man stehen, wie man will - eines hat die Bundeskanzlerin bei der Bekanntgabe ihres erneuten Antritts aber mit Sicherheit richtig gemacht, nämlich ihre Entscheidung, dem Thema Digitalisierung in ihrer Agenda für eine vierte Amtszeit oberste Priorität einzuräumen. Denn es lässt sich nicht bestreiten, dass sich die Digitalisierung immer weiter ausbreitet. In den kommenden Jahren dürfte sie sogar noch an Bedeutung gewinnen.

Beispiele aus der Praxis, welcher tiefgreifende Wandel sich bereits vollzieht, sind etwa die Verdrängung von Zeitun- gen durch Online-Nachrichtenplattformen, Internetstreaming von Filmen statt Videokassetten und DVDs oder die Tatsache, dass 30 Prozent der globalen Werbeerlöse nicht mehr auf Zeitschriftenanzeigen entfallen, sondern auf Onlinewerbung. Vor diesem Hintergrund ist aus mikro- und makroökonomischer Sicht die These erlaubt, dass in puncto Digitalisierung rückständige Länder und Unternehmen es künftig schwer haben werden.

Das sehen offensichtlich auch die Entscheider in der Wirtschaft so. Gemäß der vom IT-Dienstleister CSC veröffentlichten "Digitalen Agenda 2020" gehen 90 Prozent der Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz von einer bis 2020 durch die Digitalisierung grundlegend veränderten Wettbewerbslage aus. Die BayernLB zitiert außerdem in einer Studie eine Untersuchung, wonach im Schnitt vier der zehn führenden Unternehmen einer Branche ihre starke Marktstellung einbüßen werden. Am stärksten von disruptiven Entwicklungen betroffen dürften Technologie-, Medien- und Retailbranchen sein.

Bei einer Befragung durch den Digitalverband Bitkom räumten 38 Prozent (25 Prozent im Vorjahr) der Unternehmen ein, dass Wettbewerber aus der eigenen Branche, die frühzeitig auf die Digitalisierung gesetzt hatten, ihnen voraus seien.

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Zwischen Chance und Risiko



Damit ist klar: Die digitale Transformation der Industrie birgt enorme Möglichkeiten, aber auch große Herausforderungen. Um welche Größenordnungen es geht, rechnet Roland Berger vor. Den Kalkulationen der Unternehmensberatung zufolge könnte Europa bis 2025 einen Zuwachs von 1,25 Billionen Euro an industrieller Bruttowertschöpfung erzielen, aber auch einen Wertschöpfungsverlust von 605 Milliarden Euro erleiden. Es steht somit viel auf dem Spiel. Deshalb ist kaum nachzuvollziehen, warum laut der "Digitale Agenda 2020"-Studie von CSC erst knapp jede zweite Firma in Deutschland über eine digitale Agenda verfügt.

Immerhin: Auf Nachfrage des Digitalverbands gaben 40 Prozent der Unternehmen an, ihre Investitionen in digitale Technologien noch in diesem Jahr erhöhen zu wollen. Knapp jede fünfte Gesellschaft will in die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle investieren. 41 Prozent gaben an, infolge der Digitalisierung neue Produkte oder Dienstleistungen anzubieten.

Nach Angaben der Unternehmensberatung CapGemini verhindern indes unternehmensinterne Hürden wie unklare Verantwortlichkeiten, zu geringe Budgets, zu starre Organisationsstrukturen, unflexi-ble Geschäftsprozesse, fehlende übergreifende Planung und Fachkräftemangel, dass die Konzerne in dieser Hinsicht noch mehr Elan an den Tag legen.

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Deutschland muss aufholen



Basierend auf einer vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Auftrag gegebenen Studie führt all das im internationalen Vergleich aus deutscher Sicht zu folgenden Resultaten: Bei der Nutzung neuer Technologien und Dienste durch Privatpersonen, Unternehmen und Verwaltungen belegt Deutschland mit 74 von 100 möglichen Indexpunkten Rang sechs von zehn einbezogenen Ländern.



Auch beim Wirtschaftsindex-Digital rangiert Deutschland in einem Zehnländervergleich wie im Vorjahr auf dem sechsten Platz. Von maximal 100 möglichen Punkten reichte es in diesem Jahr zu 53 Punkten, nach 52 Punkten im Vorjahr. An der Spitze der Rangliste sind die USA (76 Punkte) zu finden, gefolgt von Südkorea (70) und Großbritannien (65). Auf Branchenebene gelten hierzulande Informations- und Telekommunikationstechnik als hoch digitalisiert. Das Gesundheitsgewerbe sowie das sonstige verarbeitende Gewerbe hinken in dieser Hinsicht am stärksten hinterher.

Um zur digitalen Weltspitze aufzusteigen, muss Deutschland noch viel tun. Es wäre wünschenswert, wenn sich die Unternehmen etwas weniger defensiv an das Thema herantasteten als bisher. Auffallend ist dabei, dass viele Firmen häufig ver-suchen, lediglich die klassischen Produkte mithilfe digitaler Werkzeuge zu verkaufen, anstatt völlig neue Produkte oder Dienstleistungen aufzubauen. Statt bisherige Leistungen zu digitalisieren, ist es aber wichtig, sich neu zu erfinden, wie Michael Kieninger, Vorstandssprecher bei der Managementberatung Horváth & Partners, erklärt. Solange das nicht passiert, eröffnet das "geborenen" Internetfirmen die Chance, auch in nicht angestammte Geschäftsfelder vorzudringen, weil sie einfach digitaler denken als die älteren Konkurrenten.

Was das aus Anlegersicht bedeutet, fasst die BayernLB in einer unter Leitung von Chefvolkswirt Jürgen Michels verfassten Studie zusammen: "Der Megatrend der Digitalisierung bringt neue Geschäftsmodelle hervor und herkömmliche Geschäftsmodelle in Bedrängnis. Damit spielt die Digitalisierung für die Entwicklung einzelner Aktien und Sektor-indizes eine bedeutende Rolle. Profiteure der Digitalisierung werden ihren Anteil in marktkapitalisierungsgewichteten Aktienindizes zunehmend steigern."

Unter dieser Prämisse ist es für Anleger wichtig, bei der Geldanlage das eigene Depot auf das Megathema Digitalisierung auszurichten. BÖRSE ONLINE hat zehn Aktien herausgefiltert, die von der Digitalisierung profitieren dürften.

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Shoppingparadies Internet



Nicht fehlen dürfen unter den Favoriten Internetunternehmen, die beim digitalen Handel die Nase vorn haben. So sieht die Bank Julius Bär die Umsätze beim Internethandel bis 2020 mit einer jährlichen Rate von 16 Prozent wachsen. Dabei soll die Marktdurchdringungsrate auf zwölf Prozent des weltweiten Einzelhandels steigen, nach acht Prozent im Jahr 2015. Vor diesem Hintergrund kommt man an Marktführer Amazon und am chinesischen Platzhirsch Alibaba nicht vorbei, zumal diese Unternehmen auch in anderen digitalen Bereichen wie der Cloud sehr erfolgreich mitmischen.

Ansonsten liegt der Fokus auf Gesellschaften, die mit ihren Dienstleistungen und Produkten dabei helfen, andere Firmen für das digitale Zeitalter fit zu machen. Über eine sehr gute Stellung bei den Kunden verfügt laut einer Beliebtheitsliste aus einer UBS-Studie der irische IT-Dienstleister Accenture. Das spricht für weiterhin gut laufende Geschäfte, denn zufriedene Kunden dürften weitere Aufträge vergeben.



Eine führende Position bei Beratungsleistungen zum digitalen Wandel belegt auch die französische Atos. Der Vorstand blickt bereits jetzt zuversichtlich bis zum Jahr 2019 nach vorn. Hinzu kommt eine vergleichsweise moderate Bewertung. Atos ist ähnlich wie Accenture in den kommenden fünf Jahren ein Gewinnwachstum von rund zehn Prozent jährlich zuzutrauen.



Auch Computer Sciences begleitet Kunden auf dem Weg in die digitale Transformation. Seit einem Chefwechsel im Jahr 2012 gelingt das dem global aufgestellten US-Konzern immer erfolgreicher. Zumindest signalisiert das ein seitdem haussierender Aktienkurs. Die im Mai beschlossene Fusion mit der Dienstleistungssparte von Hewlett Packard Enterprises soll dazu beitragen, dass die positive Entwicklung anhält.



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Zwei deutsche Mitfavoriten



Um die Digitalisierung umsetzen zu können, werden neben Fachwissen auch IT-Produkte gebraucht. Das bringt Ingram Micro ins Spiel, den weltweit größten Distributor von Hightechprodukten. Die in 160 Ländern aktive Gesellschaft hat sich zum Ziel gesetzt, die Kundenzufriedenheit zu erhöhen. Dazu sind die Kalifornier gerade dabei, die eigenen Geschäftsprozesse zu zentralisieren und zu automatisieren. Analysten rechnen mit einem Gewinnplus von 18 Prozent jährlich in den kommenden fünf Jahren.

In Deutschland ist SAP mit am besten gerüstet, um an der Digitalisierung mitzuverdienen. Dafür sorgt unter anderem die Software Hana, die Kunden bei der digitalen Transformation hilft. Die starke Stellung in Zukunftsbereichen hat den Walldorfer Softwarekonzern zum wertvollsten börsennotierten Unternehmen in Deutschland gemacht. Damit das so bleibt, hat der Vorstand gerade das Ziel ausgegeben, zum führenden Anbieter intelligenter Anwendungen für geschäftliche Software aufzusteigen. Wir passen unser Kursziel nach oben an.

Einige Nummern kleiner, aber trotzdem interessant ist msg life. Es ist dies ein auf Versicherungen ausgerichtetes deutsches Software- und Beratungsunternehmen. Die Firma in Leinfelden-Echterdingen bietet Standardsoftware, Beratungsdienstleistungen und Cloud-Lösungen an. Der zunehmende Zwang zur Digitalisierung in der Versicherungsbranche bietet insbesondere der Plattform msg.Insurance Suite Chancen. Diese umfasst alle fachlichen Systemkomponenten für ein Versicherungsunternehmen. Gerade hat sich der Neukunde Canada Life Group Services für dieses Produkt entschieden.



Wenn es um Digitalisierung geht, darf das Thema Online-Bezahlsysteme nicht fehlen, denn diese sind ein wichtiger Abwicklungsbaustein bei diesem Megatrend. Lösungen zur Abwicklung von Kartenterminal- und Onlinezahlungen bietet unter anderem Vantiv an. Bei einer im Branchenvergleich guten Profitabilität ist es dem US-Unternehmen von 2011 bis 2015 gelungen, den angepassten Nettogewinn im Schnitt um 25 Prozent zu erhöhen. Auf Sicht der nächsten Jahre sollte eine weitere Ergebnisverbesserung von durchschnittlich rund 15 Prozent möglich sein.



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Zahnspange aus dem Computer



Zum Abschluss noch ein Hinweis auf den Gesundheitssektor, in den die Digitalisierung ebenfalls Einzug hält. Das Problem ist hier, dass trotz dieses Trends führende Gesellschaften im Bereich Digitalisierung auf Konsolidierungskurs sind. Eine Ausnahme ist aber Align Technology. Die Kalifornier sind auf Rekordkurs. Dazu trägt die Aussicht auf ein Gewinnplus von mehr als 20 Prozent per annum in den nächsten Jahren bei. Der Anbieter von fast unsichtbaren Zahnspangen offeriert auch digitale Leistungen wie den intraoralen Scanner iTero, der Abdrücke für die digital unterstützte Diagnosestellung und Behandlungsplanung ermöglicht.



Mit Produkten wie diesen handelt es sich bei Align sowie bei unseren anderen neun Favoriten um Digitalisierungsunternehmen, an denen wohl Bundeskanzlerin Merkel ihre Freude hätte - wenn sie denn alle aus Deutschland stammten.



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Was ist Digitalisierung?



Der Begriff der Digitalisierung ist etwas sperrig. Der Kern der Digitalisierung besteht letztlich darin, analoge Informationen in digitale und speicherbare Daten zu übersetzen. Im Vordergrund steht dabei stets der Mehrwert für den Kunden - alles, was zusätzlichen Nutzen verschafft, soll möglichst durch Technologie erreicht werden. Laut der Unternehmensberatung Roland Berger wirkt die digitale Transformation über die folgenden vier Hebel: digitale Daten, Automatisierung, digitaler Kundenzugang und Vernetzung. Diese wiederum basieren auf Technologien wie Big Data, Wearables (am Körper des Nutzers tragbare Computer), Robotik, additive Fertigung, soziale Netzwerke, mobiles Internet, Apps und Cloud-Computing sowie Breitband.