So geht es auch: Der flinke Geist von Unternehmern, der den Technologiesektor voranbringt, erfasst nun die Stahlbranche. Daniel Ek, Gründer der bekannten schwedischen Musikstreamingplattform Spotify, stieg vor wenigen Wochen bei dem Start-up H2 Green Steel ein. In der Region Norbotten im nördlichen Schweden wird bis 2024 die weltweit größte Anlage für Wasserstoffelektrolyse zur Herstellung von Stahl aus regenerativen Energiequellen, dem sogenannten grünen Stahl, gebaut.

Die Schweden stellen eine Stahlherstellung "frei von fossilen Brennstoffen" in Aussicht. In der Branche wäre das eine weltweite Premiere. In der herkömmlichen Stahlproduktion wird ein Gemisch aus Eisenerz, Kalk und Kohle in den Hochöfen auf über 1.000 Grad erhitzt, um das Eisen aus dem Eisenoxid im Erz mit chemischer Energie zu lösen. In diesem Verfahren werden erhebliche Mengen Kohlendioxid freigesetzt.

Bei der Elektrolyse wird dagegen Strom in die notwendige chemische Energie gewandelt. Mit diesem Verfahren will H2 Green Steel 2030 fünf Millionen Tonnen Stahl grün, also frei von CO2-Emmisionen, herstellen. Für den Betrieb der im Vergleich zu heutigen Fabriken bis zu 50 Mal größeren Anlage ist sehr viel Strom notwendig. Der jährliche Bedarf ab 2026 wird auf 15 Terrawatt-Stunden geschätzt, elf Prozent von Schwedens Stromverbrauch für 2020. Mit Windparks und Wasserkraftwerken in Norden des Landes ist die Infrastruktur dafür vorhanden. Zu den Investoren bei H2 Green Steel gehören neben dem schwedischen Lkw-Hersteller Scania, dessen Chef Henrik Henriksson das Start-up leitet, auch die Unternehmerfamilie Bilstein, weltweit bekannt für die gleichnamigen Stoßdämpfer.

In der Stahlbranche haben die vor allem durch Chinas wirtschaftliche Erholung seit dem vierten Quartal deutlich gestiegen Preise die Stimmung merklich aufgehellt. Auch die Bereitschaft in neue Technologien zu investieren ist offensichtlich gewachsen.

Großer Hebel für den Wandel

Ein klimafreundlicher Wandel der Branche durch grün produzierten Stahl wäre ein großer Hebel für die angestrebte Reduzierung des Treibhausgases. Denn aktuell liefert die Stahlproduktion 24 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes aller Industrien, deutlich mehr als die Zementwerke mit 13 und Chemieanlagen mit zwölf Prozent.

Um das Zwei-Grad-Klimaziel zu erreichen, also die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius bis 2100 gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen, muss die Stahlbranche ihren CO2-Ausstoß nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IAE) bis 2050 um die Hälfte reduzieren. Parallel zum Pariser Klimaabkommen hat sich China 2020 verpflichtet, seine Wirtschaft bis 2060 kohlendioxidneutral aufzustellen.

Der in China produzierte Stahl liefert ein Drittel des industriellen CO2-Ausstoßes in dem großen Land. Dort werden für jede Tonne produzierten Stahls zwei Tonnen Treibhausgas emittiert. Bei europäischen Stahlwerken sind die Emissionen nur halb so hoch. Zudem verbraucht das Land rund die Hälfte von knapp zwei Millionen Tonnen Stahl, die aktuell weltweit jährlich produziert werden. Auf dem Papier sind die Verpflichtungen beeindruckend. Allein schon die klimafreundliche Umstellung von China Stahlproduktion hätte einen gewaltigen Effekt.

Allerdings sind die Kosten für die Umstellung sowie der Strombedarf bei der grünen Herstellung noch gewaltig. Der globale Branchenprimus ArcelorMittal mit einer jährlichen Stahlproduktion von mehr als 97 Millionen Tonnen taxiert die Kosten für den Umbau seiner Werke auf bis zu 40 Milliarden Dollar. Deutschland müsste bei der jährlichen Produktion von knapp 40 Millionen Tonnen Rohstahl im Jahr 2019 für grünen Stahl seine Stromkapazitäten aus regenerativen Quellen um 20 Prozent erhöhen, schätzen die Experten der Internationalen Energieagentur IEA. Grüner Stahl wäre pro Tonne bis zu 200 Euro teurer, ein Aufschlag, den die Kunden akzeptieren müssten.

Die Beteiligung von Lkw-Hersteller Scania am Start-up H2 Green Steel zeigt jedoch, dass Innovationen im Stahlsektor von den Kunden in der Fahrzeugbranche, die überwiegend Flachstahl einkaufen, genau beobachtet werden. Grüner Stahl verbessert schließlich auch ihre Klimabilanzen.

Bei Deutschlands zweitgrößtem Stahlkonzern Salzgitter macht Chef Heinz Jörg Fuhrmann beim Thema grüner Stahl Dampf. Projekte müssten jetzt in großindustriellem Maßstab angepackt werden. Bis 2050 will Salzgitter mit einer jährlichen Produktion von fast sieben Tonnen Rohstahl vollständig auf wasserstoffbasiere Erzeugung umstellen. Dafür läuft das Projekt Sarcos. Bis 2030 werden dort eine Milliarde Euro und bis 2050 rund drei Milliarden Euro benötigt werden, schätzt Fuhrmann. Ergebnisse einer Studie für die erste Anlage zur grünen, wasserstoffbasierten Herstellung in Wilhelmshaven mit jährlichen Kapazität von bis zu zwei Millionen Tonnen Flachstahl sollen zum Ende des ersten Quartals vorliegen.

Von den gewaltigen Investitionen in die neue Technologie müsse allerdings der Staat den überwiegenden Anteil übernehmen, fordert Fuhrmann. Die hohen Investitionen hielten Wirtschaftlichkeitsrechnungen nicht stand, sie seien jedoch notwendig, um die Stahlproduktion am Standort Deutschland zu sichern, macht der Salzgitter-Chef deutlich.

Mit knapp 40 Millionen Tonnen Rohstahl rangierte Deutschland 2019 weltweit auf Platz 7, China mit 996 Millionen Tonnen auf Platz 1. Größe in diesem Segment ist für Deutschland und andere europäische Länder allerdings zweitrangig, wichtiger sind hohe Umsatzanteile mit speziellen, hochwertigen Stählen.

Deutschlands größter Stahlkocher, der Essener Industriekonzern Thyssenkrupp, will seine bisher verlustreiche Stahlsparte nun doch in Eigenregie weiterführen und sieht ebenfalls Potenzial mit grünem Stahl. Der Konzern verfüge über die "einzige schon großtechnisch realisierte Technologie, um Wasser unter Einsatz von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen", ermutigte Chefin Martina Merz die Aktionäre des arg gebeutelten Unternehmens jüngst auf der Hauptversammlung. Die Konkurrenz wird größer.
 


INVESTOR-INFO

Salzgitter

Gewinne in Sicht

Salzgitter hat früh in die grüne Stahlfertigung investiert. Deutschlands zweitgrößter Stahlkonzern mit einer jährlichen Produktion von fast sieben Millionen Tonnen will 2021 wieder schwarze Zahlen schreiben. Dank anziehender Preise und der Erholung in der Autoindustrie fiel die Bilanz für 2020 besser aus als erwartet. Für 2021 schätzen Analysten den Nettogewinn bei 8,4 Milliarden Euro Umsatz auf 124 Millionen Euro.

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Kursziel: 32,00 Euro
Stoppkurs: 16,00 Euro

ThyssenKrupp

Neuer Anlauf bei Stahl

Der Industriekonzern will seine bisher verlustreiche Stahlsparte nun in Eigenregie sanieren. Mit einer Produktion von zwölf Millionen Tonnen Stahl für 2019 liegt der Konzern hierzulande auf Platz 1 und weltweit auf Platz 35. Der Anstieg bei den Stahlpreisen verbessert die Perspektiven. Im Geschäftsjahr bis Ende September scheint ein ausgeglichenes operatives Ergebnis (Ebit) möglich. 2020 waren es noch 1,6 Milliarden Euro Verlust.

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Stoppkurs: 8,00 Euro

Arcelor Mittal

Ausbau in Schwellenländern

Aditya Mittal, bisher Chef des Europa-Geschäfts, übernimmt von seinem Vater die Führung des globalen Stahlprimus. Grün produzierten Stahl sieht Mittal als "größte Herausforderung und größte Chance". Jüngst verkaufte der Konzern den überwiegenden Teil des US-Geschäfts. Die Präsenz in Schwellenländern wird ausgebaut. Für 2021 erwarten Analysten bei 58,4 Milliarden Dollar Umsatz rund 3,8 Milliarden Dollar Nettogewinn.

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