Das Börsenjahr 2020 neigt sich dem Ende zu. Es war wahrhaftig keins für schwache Gemüter. Corona-Crash, Rekordaufholjagd und Bilanzskandale - Wirecard lässt grüßen - brachten Anleger ins Schwitzen.

Der Reihe nach: Die größten Sorgen der Börsianer beim Ausblick auf 2020 waren der Brexit, der Handelskrieg zwischen den USA und China sowie ein langsameres Wachstum in Europa. Trotzdem hatten die Auguren der Research-Abteilungen im vorigen Dezember das Kurspotenzial für den DAX auf 13 200 bis 14 600 Punkte beziffert. Tatsächlich notiert der Leitindex kurz vor Jahresende in der unteren Hälfte dieser Spanne - allerdings verlief der Weg dorthin völlig unerwartet.

Die Bedenken der Analystenzunft bezüglich des britischen Premiers Boris Johnson und des US-Präsidenten Donald Trump waren zwar durchaus berechtigt, letztlich drückte aber SARS-CoV-2 dem Jahr 2020 seinen Stempel auf. Das Virus machte im März dem Aktienmarkt einen Strich durch die Rechnung und legte quasi die ganze Welt lahm. Während die Menschen im Lockdown verharrten, rauschten die Kurse im Rekordtempo in den Keller. Die Konjunktur erlebte im Zuge der Pandemie den größten Einbruch seit der Depression in den 1930er-Jahren.

Die anschließende Erholung fiel aber ebenso dynamisch aus. Dem schnellsten Absturz in der Geschichte des DAX folgte eine V-förmige Erholung: Seit dem Tief Mitte März legte der Index um knapp zwei Drittel zu. Damit errechnet sich für das Gesamtjahr kurz vor Weihnachten sogar ein Plus von rund drei Prozent.

Die wirtschaftliche Erholung kann sich ebenfalls sehen lassen. Im dritten Quartal legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hierzulande um 8,5 Prozent zum Vorquartal zu. Im Gesamtjahr wird es allerdings nicht für ein Wachstum reichen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für Deutschland mit einem Rückgang um sechs Prozent, weltweit soll das Minus 4,4 Prozent betragen.

Während die Pandemie zum Jahresende erneut aufflammt, wird es höchste Zeit, den Blick nach vorn zu richten. Selbst wenn aktuell noch viele Unsicherheiten bestehen, haben Wirtschaft und Finanzmärkte offenbar gelernt, mit Covid-19 umzugehen. So konnte der erneute Lockdown in Deutschland ab Mitte Dezember den Aktienkursen nichts anhaben.

"Der große Hoffnungsträger für die Märkte sind die zuletzt gemeldeten Erfolge an der Impffront", sagt Christoph Schenk, Anlagechef bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB). In das gleiche Horn stößt Michael Winkler von der St. Galler Kantonalbank: "Wir werden 2021 eine schrittweise Normalisierung des Alltagslebens mithilfe der Impfstoffe sehen." Angesichts der Kursrally in den vergangenen Monaten ist es von enormer Bedeutung, dass die Impfstoffe von Biontech und Co wirken. Nur dann werden sich wirtschaftliche Erholung und Unternehmensgewinnwachstum einstellen.

Dass die Bäume vorerst nicht in den Himmel wachsen werden, machte die Europäische Zentralbank (EZB) auf ihrer letzten Sitzung im Jahr 2020 deutlich. Die Währungshüter senkten wegen der zweiten Pandemiewelle ihre Konjunkturprognose für die Eurozone von ursprünglich fünf auf 3,9 Prozent. Für 2022 wurde die Schätzung allerdings von 3,2 auf 4,2 Prozent angehoben.

Das Zahlenspiel der EZB ist aber erst einmal nebensächlich. Entscheidend ist, dass die Kurve wieder nach oben zeigt. "Notenbanken und Regierungen werden eine Erholung auch weiterhin mit unendlicher Liquidität und Nullzinspolitik unterstützen", erwartet Winkler von der St. Galler Kantonalbank. Dass auf die Notenbanken weiterhin Verlass ist, zeigte das EZB-Treffen im Dezember. "Die Europäische Zentralbank hat wieder einmal geliefert", sagt DWS-Volkswirtin Ulrike Kastens und fügt hinzu: "Vor allem die Aufstockung des PEPP um 500 Milliarden Euro und die Verlängerung bis März 2022 mutet sehr großzügig an." Das Krisenprogramm "Pandemic Emergency Purchase Programme" (PEPP) hat damit ein Volumen von 1,85 Billionen Euro.

Auch in Brüssel zeigt man sich überaus spendierfreudig, um zur Krisenbewältigung beizutragen. "Die Umsetzung des 750 Milliarden Euro schweren EU-Aufbaufonds im Jahr 2021 dürfte im Zusammenspiel mit der großzügigen Liquidität für einen zusätzlichen Impuls sorgen", erklärt Alexander Roose, Chefaktienstratege beim Vermögensverwalter DPAM.

Auf konjunktureller Seite wird also scharf geschossen, damit 2021 nichts anbrennt. Um die Aktienkurse aber in neue Höhen zu hieven, bedarf es gleichzeitig auch steigender Gewinne. Experte Axel-Adrian Roestel von Huber, Reuss & Kollegen ist diesbezüglich optimistisch: "Wirtschaftliche Frühlingsgefühle, nachlassende Sorgen bezüglich der Corona-Pandemie und die Kombination aus zurückkehrendem Konsum und vielen Corona- bedingten Sparanstrengungen dürften die Unternehmensgewinne deutlich steigen lassen."

Mit dieser Meinung steht er nicht allein: Der Analystenkonsens rechnet im Durchschnitt mit einem Ergebniswachstum um 37 Prozent im Euro Stoxx 50 und 34 Prozent im DAX. Die Wall Street wird, gemessen am S & P 500, mit einem prognostizierten Plus von 24 Prozent dahinter zurückbleiben.

Favoritenwechsel in Sicht


Bei den Kurszielen der Fachleute zeigt sich ebenfalls eine Diskrepanz zwischen den USA und Europa. Während dem S & P 500 in der Mitte der prognostizierten Bandbreite ein Plus von 4,1 Prozent zugetraut wird, sind es 5,3 Prozent beim Euro Stoxx 50 und beim DAX sogar acht Prozent. In Bezug auf die potenziellen Gewinner 2021 könnte sich das Blatt ebenfalls wenden. Während 2020 klar die Technologiewerte die Nase vorn hatten - der Nasdaq 100 erzielt ein Jahresplus von sagenhaften 45 Prozent - könnte es nun zu einem Favoritenwechsel kommen.

Unicredit-Experte Christian Stocker sieht vor allem die Zykliker in der Poleposition, da sie von einer nachhaltigen wirtschaftlichen Erholung am meisten profitieren sollten. Er empfiehlt daher unter anderem, den Auto- und Chemiesektor überzugewichten. DWS-Fondsmanager Marcus Poppe ist derselben Meinung und hat sich bereits für ein Comeback der Zykliker positioniert: "Unser Schwerpunkt liegt auf Unternehmen mit intakten Geschäftsmodellen, die sowohl strukturelles als auch zyklisches Wachstum erzielen können."

Nicht ganz so bullish in Hinblick auf einen zyklischen Turnaround ist Vermögensverwalter Roestel. Er geht zwar ebenfalls von einem Erstarken der konjunkturell sensitiven Firmen aus, glaubt aber nach wie vor an die Wachstumswerte. "Growth wird unseres Erachtens weiterhin die Nase vorn haben. Allein die zu erwartenden Unternehmensgewinne und die beträchtlichen Investitionen in neue Technologien sprechen dafür." Der Vorsprung gegenüber den Substanzwerten dürfte sich aber reduzieren.

Im Fokus der Anleger werden 2021 aber nicht nur Value- und Growth-Aktien stehen. Auch jene Unternehmen, die unter der Corona-Krise besonders gelitten haben, könnten in den kommenden Monaten ins Rampenlicht treten. Credit-Suisse- Chefstrategin Nannette Hechler-Fayd’herbe glaubt, dass beispielsweise Luxuswerte gut laufen könnten, da sie einerseits von der hohen Sparquote, andererseits von den günstigen Aussichten in China profitieren könnten. Zudem dürften Reiseaktien wieder anziehen, sollte die Verfügbarkeit von Impfstoffen Urlaube wieder möglich machen.

Megatrend Nachhaltigkeit


Das Nachhaltigkeitsthema gewinnt weiterhin an Bedeutung. Diesbezüglich markierte 2020 einen Wendepunkt, nachdem die EU und Japan zugesagt hatten, bis 2050 CO2-neutral zu werden. China will dieses Ziel bis 2060 erreichen. Und in den USA ist mit Joe Biden als Präsident mit einer Klimakehrtwende zu rechnen. "Die grüne Transformation einiger der größten Industrien der Welt könnte gerade jetzt ihren Anfang nehmen", schreiben die Analysten der UBS in ihrem Jahresausblick. Auch AXA-Manager Chris Iggo setzt auf eine Ökowelle: "Für Investoren wird Nachhaltigkeit als Thema dominieren." Da zunehmend darauf geachtet wird, welche Firmen in diesem Bereich gut abschneiden, sollten Anleger diesen Megatrend im Auge behalten.