Das Comeback an den Weltbörsen verläuft rasant – und genau darin sieht JPMorgan-CEO Jamie Dimon ein Problem. Die volle Wirkung der Zölle habe die Wirtschaft noch nicht erreicht, mutmaßt Dimon. 

Plötzlich scheinen Anleger wieder in der besten aller Welten zu leben. Seit sechs Wochen legen die Kapitalmärkte dies- und jenseits des Atlantiks zu – und selbst das Downgrade der Ratingagentur Moody’s tat der Rallye an der Wall Street gestern keinen Abbruch. Nach Einschätzung von JPMorgan-CEO Jamie Dimon sind die jüngsten Kurszuwächse des Guten zu viel. 

Auf dem jährlichen Investorentag der Bank in Manhattan hat der CEO gestern eine eindringliche Warnung an die Kapitalmärkte ausgesprochen. Dimon erklärte, er sehe eine „eine außergewöhnliche Menge an Sorglosigkeit“ in den Märkten, die sich von den jüngsten Turbulenzen durch die Handelspolitik von Präsident Donald Trump erholt haben. Dimon betonte, dass die Risiken von höherer Inflation und sogar Stagflation unterschätzt werden, während die Unsicherheiten durch Rekorddefizite, neue Zölle und geopolitische Spannungen weiter bestehen.

Trügerische Erholung der Märkte

Dimon kritisiert diese schnelle Erholung als Zeichen von übermäßigem Optimismus. „Die Märkte fielen um 10 Prozent und sind wieder um 10 Prozent gestiegen. Das ist eine außergewöhnliche Menge an Sorglosigkeit“, erklärte Dimon. Er warnte, dass die tatsächlichen Auswirkungen von Zöllen noch nicht vollständig spürbar seien, da deren Einführung oft zeitverzögert wirke.

Fortschritte in den Handelsgesprächen, wie eine vorläufige Einigung mit Großbritannien und gegenseitige Zollsenkungen zwischen den USA und China, haben die Anlegerstimmung in den vergangenen Wochen dramatisch verbessert. Doch Dimon mahnt, dass die Volatilität keineswegs vorbei sei und die Märkte auf weitere Unsicherheiten vorbereitet sein müssen.

Wirtschaftliche Gefahren: Inflation und Stagflation

Erhebliche Risiken für die Wirtschaft sieht Dimon insbesondere durch die Kombination aus Rekorddefiziten, anhaltenden Zöllen und geopolitischen Spannungen. „Die Wahrscheinlichkeit von höherer Inflation oder sogar Stagflation ist größer, als die Leute denken“, sagte er. Zölle könnten die Verbraucherpreise in die Höhe treiben und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum bremsen, was im schlimmsten Fall eine Rezession auslösen könnte.

Die jüngste Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit durch Moody’s aufgrund der steigenden Staatsverschuldung unterstreicht die Dringlichkeit dieser Probleme. Dimon prognostiziert, dass die Gewinnerwartungen für Unternehmen im S&P 500 weiter gesenkt werden könnten, da viele Firmen ihre Prognosen an die unsichere Lage anpassen.

Glaubwürdigkeit der USA in Gefahr 

Jamie Dimon, der seit mittlerweile 20 Jahren die Geschicke von JPMorgan als CEO verantwortet, warnte zudem davor, dass ein anhaltender Handelskrieg die Glaubwürdigkeit der USA als verlässlicher Handelspartner untergraben könnte. „Ich mache mir fast keine Sorgen um die Wirtschaft im nächsten Jahr, aber die geopolitischen Folgen könnten gravierend sein“, schrieb Dimon in einem Aktionärsbrief. Bereits jetzt haben Unsicherheiten über die Handelspolitik dazu geführt, dass einige internationale Geschäfte, etwa Anleihedeals, verloren gingen.

Dimons Warnungen kommen zu einer Zeit, in der zahlreiche Wall-Street-Experten ihre Skepsis äußern. In den vergangenen Tagen hatten anerkannte Branchengrößen wie Steven Cohen, Paul Tudor Jones, Michael Gayed und Katie Stockton vor einer schärferen Marktkorrektur gewarnt, die möglicherweise gar bis zu neuen Jahrestiefs reichen könnte.