Knall auf Fall verließ Bilfinger-Chef Thomas Blades den Ingenieursdienstleister im Januar 2021 aus persönlichen Gründen. Der Schock über den bei Investoren beliebten Konzernsanierer währte nur kurz. Finanzchefin Christina Johansson (56) sattelte spontan drauf und übernahm als Interimschefin auch Blades’ Job, obwohl die in Schweden geborene Schweizerin erst 2018 zu Bilfinger gekommen war. In den drei Jahren vor Johansson hatten zwei Finanzvorstände die Segel gestrichen.

Gemeinsam mit Duncan Hall, seit Januar 2019 Vorstand für das operative Geschäft der Mannheimer, führte Johansson die Traditionsfirma überraschend schnell zurück auf Wachstumskurs. Die zuletzt vorgelegte Bilanz begeisterte Investoren.

Nach Firmenverkäufen und Restrukturierungen ist Bilfingers Sanierung nun abgeschlossen. Für die nächsten Jahre stellt der Konzern, der 2021 rund 3,7 Milliarden Euro umsetzte, fünf bis sechs Prozent jährliches Wachstum in Aussicht. Für den Frust während der langen Sanierung entschädigt und am Erfolg des Vorjahres beteiligt werden Anteilseigner nun mit einer attraktiven Dividende: 4,75 Euro pro Aktie, davon 3,75 Euro aus dem Verkauf der Gebäudetechniktochter Apleona. Mit bis zu 100 Millionen Euro werden eigene Aktien zurückgekauft. Für Zukäufe sind "mehrere Hundert Millionen Euro" in der Kasse.

An ihren Nachfolger als CEO, Thomas Schulz, der am 1. März vom dänischen Anlagenbauer FL Smidth kommt, übergibt Johansson eine starke Bilanz und neue Perspektiven für Bilfinger. Die Top-Managerin widmet sich wieder intensiv ihrer Profession als "Finanzlerin" bei Bilfinger. Es bestehe "eine besondere Verbundenheit", sagt Johansson.

Euro am Sonntag: Wie erlebten Sie Ihre Doppelfunktion, Frau Johansson ?

Christina Johansson: Es war ein sehr anspruchsvolles Jahr. Mein direktes Umfeld und die 30.000 Mitarbeitenden von Bilfinger haben mich sehr gut unterstützt. Ich bin sehr stolz, dass es uns als Gemeinschaft gelungen ist, 2021 sehr erfolgreich abzuschließen.

Dafür mussten bei Bilfinger viele Mühlsteine aus dem Weg geräumt werden. Welches waren die größten?

Es war nicht ein Ereignis oder ein bestimmter Tag. Es war ein Prozess über mehrere Jahre. Als ich Ende 2018 zu Bilfinger kam, habe ich schnell bemerkt, dass in der Vergangenheit innerhalb und außerhalb des Unternehmens viel Vertrauen verspielt worden war. Das mussten wir im Lauf unserer Transformation zurückgewinnen. Im Jahr 2020 kam die Unsicherheit durch die starken Auswirkungen der Corona-Pandemie dazu. Aber wir waren damals im Mai 2020 als eines der ersten Unternehmen mit einer angepassten Prognose am Markt, die wir dann auch eingehalten haben. Wir haben intern große Flexibilität gezeigt, schnell auf den veränderten Markt reagiert und dadurch bei unseren Kunden und am Kapitalmarkt viel Vertrauen gewonnen.

Wenn man das Geschäft der Raffinerien, die Petrochemie, addiert, liefert die Öl- und Gasindustrie deutlich mehr als ein Fünftel von Bilfingers Erlös. Trotz des hohen Ölpreises investiert die Branche zurückhaltend. Erwarten Sie für 2022 hier eine Trendende?

Wir gehen davon aus, dass wir in diesem Geschäft das vor der Pandemie vorhandene Volumen nicht mehr erreichen werden. Als der Ölpreis im Frühjahr 2020 zeitweise unter 20 Dollar pro Barrel lag, haben wir unsere Kapazitäten sehr schnell angepasst. Inzwischen hat sich der Ölpreis deutlich erholt, und wir profitieren davon. Öl und Gas werden auch mittelfristig ein fester Bestandteil der weltweiten Energieversorgung sein. Wir erwarten auch für die nächsten Jahre maximal ein Fünftel der Erlöse aus dieser Branche. Andere Industrien werden für uns künftig wichtigere Umsatz- und Ergebnisbringer sein.

Weshalb?

Unsere Kunden bewegen sich stark in Richtung erneuerbare Energien, und wir als ihr Dienstleister begleiten sie dabei. Wir können unsere Technologie und Fähigkeiten oftmals eins zu eins auch in diesen neuen Bereichen anwenden. Zum Beispiel setzen wir unsere Spezialisten für Offshore-Bohrinseln auch in Windparks auf hoher See ein.

Im Vergleich mit US-Konzernen investieren Europäer wie BP, Shell und Totalenergies nun stärker in klimaneutrale Technologien, um ihre CO2-Emissionen zu senken. Für Bilfinger mit einem starken Europageschäft eine gute Vorlage.

Bei Klimaneutralität und ESG, den Nachhaltigkeitskriterien für Anleger und Firmen, ist Europa der stärkste Markt. Die Unternehmen sind diesbezüglich auch politisch stärker unter Druck als in Amerika. Wir fahren auf dem Kontinent rund 85 Prozent unseres Umsatzes ein. Jedoch erwarten wir, dass auch Amerika mit Verzögerungen die gleiche Entwicklung durchmachen wird. Mit unserer Erfahrung aus Europa sind wir dann sehr gut aufgestellt.

Wie wird Bilfinger bei neuen Technologien und Anlagen eingebunden?

Als Dienstleister für die Instandhaltung von Anlagen sind wir oft permanent vor Ort und werden daher sehr stark in die Modifikationen bestehender Anlagen eingebunden. Im Pharmasektor etwa sind wir beim Umbau von Anlagen zur Impfstoffproduktion dabei, weil wir hier über sehr viel Prozess-Know-how verfügen. Der Anteil der Greenfield-Projekte, also der Neubau von Anlagen, ist noch relativ gering. Bilfinger ist zum Beispiel Vollprofi bei Isolierungen, im Industriegerüstbau und bei der Montage von hochsicheren Rohrleitungen. Dieses Wissen ist auch in der Nukleartechnologie sehr gefragt. Mit dem erwarteten Anstieg der Investitionen unserer Kunden in neue Anlagen zur CO2-neutralen Energiegewinnung wird auch der Anteil unseres Anlagen-Projektgeschäfts wieder wachsen.

Und bei Technologien wie Wasserstoff oder Speicherung von Kohlendioxid, deren Entwicklung noch am Anfang ist?

In diesem Bereich sind für uns Partnerschaften oder Joint Ventures mit kleineren Technologiefirmen die beste Wahl. Das sorgt für Flexibilität und begrenzt Risiken, weil noch nicht absehbar ist, welche Verfahren sich durchsetzen.

Die Margen sollen auch 2022 verbessert werden. Wie wollen Sie das erreichen?

Wachstum ist ein wichtiger Faktor. Wir planen mit jährlichen Umsatzzuwächsen von durchschnittlich sechs Prozent. Vor allem im Servicegeschäft hilft uns das, die Rendite über Größenvorteile zu verbessern. Die wiederkehrenden Erlöse aus dem Servicegeschäft liefern 65 Prozent des Umsatzes. Für die Marge im Servicegeschäft ist auch eine hohe Auslastung der Kapazität über das ganze Jahr sehr wichtig. Daran haben wir im Jahr 2020 sehr stark gearbeitet. 2021 hat sich das deutlich bezahlt gemacht. Eine noch höhere Auslastung wird uns 2022 helfen, die Belastungen durch Inflation und Verzögerungen in den Lieferketten mehr als auszugleichen. Auch mehr Wachstum in Bereichen mit hohen Margen wie Nukleartechnologie, Pharma und Life Science hebt die Rendite.

Wie wird die Auslastung gesteuert?

Wir zeichnen die Entwicklung in allen Bereichen nahezu wöchentlich auf, und es gibt interne Parameter, um früh auf Veränderungen zu reagieren und die Kapazitäten kurzfristig anzupassen. Der flexible Einsatz von Nachunternehmern ist ein wichtiger Faktor, um die Auslastung optimal zu steuern.

Wie kann der hohe Anteil wiederkehrender Erlöse weiter erhöht werden?

Bilfinger ist hier schon sehr gut positioniert. In Nord- und Mitteleuropa sind wir bei Service- und Rahmenverträgen entweder die Nummer 1 oder 2. Hier weiter zu wachsen, ist sehr anspruchsvoll. In Europa legen wir deshalb vor allem mit Projekten zu. In Amerika haben wir bei Service- und Rahmenverträgen noch viel Potenzial. Häufig liefern uns europäische Kunden, die in Amerika expandieren, zusätzliches Geschäft.

In Nordamerika waren die Margen 2021 negativ. Was ist Ihr Ziel für 2022?

Eine deutliche Verbesserung der Profitabilität, vor allem durch eine höhere Auslastung. Wir wollen 2022 dort mindestens die Gewinnschwelle erreichen.

Die Margen in Europa sind mit mehr als fünf Prozent hoch. Engpässe beim Personal bremsen das Wachstum. Kann die Rendite dennoch verbessert werden?

Davon gehe ich aus. Weil wir in Europa vor allem mit Projekten zulegen, ist es eine Herausforderung, mehr Personal einzustellen und zu halten. Ein erheblicher Teil neuer Projekte werden Aufträge zur klimafreundlichen Energietransformation sein. Europa hat hier eine Vorreiterrolle. Für uns gibt es deshalb viel zu tun.

Amerika liefert rund 15 Prozent des Umsatzes und damit noch relativ wenig. Sind deshalb Zukäufe eine Option?

Zukäufe schließen wir nie aus. Nordamerika ist für uns aber nicht der Schwerpunkt, wenn wir uns mit Übernahmegedanken beschäftigen. Europa ist wichtiger, weil wir hier stärker und stabiler sind. In Amerika müssen wir uns zunächst um ein nachhaltig höheres organisches Wachstum bemühen, erst danach können wir uns dort auch mit Zukäufen beschäftigen.

100 Millionen Euro hat Bilfinger für Aktienrückkäufe reserviert. Hätten Sie das Geld nicht lieber für Zukäufe?

Wir haben für die Verwendung unseres überschüssigen Kapitals einen sehr ausgewogenen Ansatz gewählt. Im Oktober hat Bilfinger Schuldscheintranchen im Wert von über 100 Millionen Euro frühzeitig zurückgezahlt. Weitere 150 Millionen Euro schlagen wir den Aktionären auf der Hauptversammlung am 11. Mai als zusätzliche Dividendenausschüttung vor. Für Zukäufe bleiben noch einige 100 Millionen Euro. Zugleich haben wir die Bilanz gestärkt und die freien Mittelzuflüsse aus dem Geschäft erhöht. So können wir Übernahmen und Aktienrückkäufe finanzieren.

Übernahmen sollen also langfristig aus dem Cashflow bezahlt werden?

Das sollte grundsätzlich so sein. Es sollen Zukäufe sein, die Bilfinger stärken, aber nicht grundsätzlich verändern.

Welche Größen werden avisiert?

150 bis 300 Millionen Euro Umsatz sind eine realistische Größenordnung für Ergänzungszukäufe. Wir haben bevorzugt Firmen in der Größenordnung von 100 Millionen Euro Umsatz auf der Liste, für den Bereich Technologies auch geringerer Größen. Wie gesagt, in Europa gibt es durchaus Bereiche, in denen wir uns verstärken wollen.

Und nach Branchen sortiert?

Pharma und Biopharma zum Beispiel. In dem übergreifenden Segment Life Science machen wir erst ein Zehntel der Erlöse. Jeder weiß, dass die Margen in diesen Märkten gut sind, deshalb sind die Preise für Zukäufe sehr hoch. Wenn man eine Strategie hat, wie mit einer Übernahme noch mehr Wert geschaffen werden kann und die Integration erfolgreich umsetzen kann, sind höhere Preise manchmal zu rechtfertigen.

Vor Bilfinger waren Sie Finanzvorständin einer Maschinenbaufirma. Wie ist es, als Managerin in von Männern geprägten Branchen zu arbeiten?

Ich habe eine große Affinität zu Industrieunternehmen, und als Finanzexpertin ist es relativ leicht, in verschiedenen Branchen zu arbeiten. In Branchen mit Produktion, Ingenieuren und Mitarbeitenden in Handwerksberufen arbeite ich sehr gern. Ich komme aus einem Industrieunternehmen in Familienbesitz. Wenn ich als kleines Mädchen meinen Vater sehen wollte, musste ich zu ihm in die Firma gehen. Ich habe mich von Beginn an in diesem Umfeld wohlgefühlt.

Sie haben drei Pässe für die Schweiz, für Norwegen und für Schweden ...

Durch die skandinavischen Wurzeln meiner Eltern habe ich auch die norwegische und die schwedische Staatsbürgerschaft. Ich lebe aber schon seit sehr langer Zeit in der Schweiz. Das ist längst auch meine Heimat.
 


Vita:

Zahlen plus Strategie

Von Januar 2021 bis Ende März 2022 hat Christina Johansson als Finanzchefin vorübergehend auch die Aufgaben des CEO übernommen. Die in Schweden geborene Schweizerin ist seit 2018 im Vorstand von Bilfinger für die Finanzen verantwortlich. Davor war Johansson CFO des Schweizer Maschinenbauers Bucher Industries. Ihr Studium an der Universität Växjö/Lund in Schweden hat die Top-Managerin mit einem Master of Science in Business Administration and Economics absolviert.
 


INVESTOR-INFO

Bilfinger

Auf Wachstumskurs

Während der nächsten Jahre sollen Bilfingers Erlöse um fünf bis sechs Prozent pro Jahr zulegen. Rund 85 Prozent der Erlöse für 2021 von 3,7 Milliarden Euro stammen aus Europa, die starke Präsenz des Industriedienstleisters zahlt sich aus. Die Mannheimer profitieren stark von der klimafreundlichen Umrüstung. Diese Erlöse will Bilfinger bis 2024 auf eine Milliarde Euro verdoppeln. Die Bilanz ist solide. Einschließlich Sonderdividende erhalten Aktionäre 4,75 Euro pro Aktie.