Die kollektive Erleichterung unter Branchenanalysten, Portfoliomanagern und Journalisten der Fachnachrichtendienste war förmlich spürbar, als jüngst der US-Pharmakonzern Pfizer den Kauf der Firma Biohaven meldete. Endlich eine - mit 11,6 Milliarden Dollar Volumen auch gar nicht so kleine - Übernahme. Endlich ein Zeichen dafür, dass im Biotech-Sektor Substanz und Innovationen nicht nur im Überfluss vorhanden sind, sondern sich das Engagement auch für Investoren lohnt. Pfizer bezahlt Biohaven-Aktionären 148,50 Dollar pro Anteilschein, ein Aufschlag von fast 80 Prozent auf den letzten Kurs vor der Verkündung der Transaktion.

Viele Anleger hoffen, dass dies der Beginn einer Phase mit noch viel mehr M & A-Transaktionen ist, die für eine Trendwende bei den Kursen sorgt. Denn die zunehmende Risikoaversion an den Märkten, Kriegsnachrichten und vor allem das veränderte geldpolitische Umfeld haben dem Sektor in den vergangenen Monaten übel mitgespielt. Das amerikanische Branchenbarometer, der SPDR S & P Biotech ETF (abgekürzt XBI) hat seit Jahresanfang fast 50 Prozent eingebüßt. Rund 200 Unternehmen notieren an der Börse unter dem Wert ihrer Cash-Reserven.

Gleichzeitig schwimmen große Pharmakonzerne in Geld, nicht zuletzt aufgrund der Einnahmen mit Covid-Impfstoffen und -Therapeutika. Die 20 größten Medikamentenhersteller könnten sämtliche kleinen und mittleren Firmen unter fünf Milliarden Dollar Börsenwert auf einen Schlag kaufen.

Billig einkaufen

Das ist natürlich reine Theorie. Praktisch dürften in den kommenden Wochen und Monaten aber durchaus einige Übernahmen und Kooperationen vereinbart werden und - hoffentlich - für steigende Kurse sorgen. Denn so billig konnte man seit Jahren nicht mehr einkaufen, und viele der großen Unternehmen stehen unter Zugzwang. Von den zehn Medikamenten mit dem höchsten Umsatz im vergangenen Jahr sind zwei Covid-Impfstoffe, bei denen die Einnahmen ihren Peak überschritten haben dürften. Sechs weitere Produkte verlieren in den kommenden Jahren ihren Patentschutz. Da dann für gewöhnlich preisgünstigere Generika auf den Markt kommen, müssen allein die Hersteller dieser sechs Medikamente Umsatzlücken von insgesamt 87 Milliarden Euro stopfen. Die im eigenen Haus entwickelten Neuheiten reichen dafür nicht aus. Betroffen sind unter anderem Abbvie, Bristol-Myers, Merck & Co. oder Bayer.

"Die großen Unternehmen spielen auf Zeit, während die Börsenbewertungen sinken", sagt Kristoffer Unterbruner, Analyst und Portfoliomanager bei Medical Strategy, die unter anderem hinter dem Medical-BioHealth-Fonds stehen. "Spätestens wenn sich eine Trendwende am Markt andeutet, steigt der Druck zu handeln." Die Biohaven-Übernahme dürfte die Handlungsbereitschaft in den Unternehmenszentralen fördern. Doch wer oder was im Fokus der finanzstarken Konzerne steht, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Zwischen 2013 und 2018 wurden vor allem kleinere Firmen gekauft, deren Produktkandidaten sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium befanden, rechnet das Branchenportal Statnews vor. Zuletzt ging die M & A-Aktivität deutlich zurück, dafür wurden mehr Kooperationen geschlossen.

Daniel Koller vom Management-Team der Beteiligungsgesellschaft BB Biotech tippt darauf, dass diesmal eher Firmen im Fokus stehen, die über bereits zugelassene Produkte verfügen oder kurz davor stehen, und die häufig über eine gute eigene Finanzierung verfügen. Biohaven passt in diese Kategorie, die Amerikaner vertreiben seit zwei Jahren eine Migränepille, ein Nasenspray zu Akutbehandlung eines Migräneanfalls ist in der finalen Entwicklungsphase. "Bei den kleinen Unternehmen gibt es nach den Kursverlusten momentan eine zu große Diskrepanz zwischen dem Preis, den sie als möglichen Übernahmepreis verlangen, und dem, den ein Käufer bereit ist zu zahlen", erklärt Koller.

Expertise von Big Pharma

Behält er recht, könnten Pharmafirmen beispielsweise bei den beiden RNA-Firmen Ionis oder Alnylam zuschlagen. Sie forschen nicht an mRNA wie Biontech oder Moderna, sondern an Antisense-RNA und RNA-Interferenz, zwei Technologien, mit denen sich Gene "abschalten" lassen. Beide haben sich mit Produkten gegen seltene Erkrankungen am Markt etabliert und arbeiten nun an Indikationen, die deutlich mehr Patienten betreffen. Das wiederum ist Kernexpertise von großen Konzernen.

Für Anleger bieten Titel wie Ionis, Alnylam oder auch Neurologie-Spezialist Neurocrine Biosciences aber mehr Vorteile als nur Übernahmefantasie: Dies sind Firmen, die auch aus eigener Kraft erfolgreich sind. Das Risiko, zu scheitern, ist bei Unternehmen mit weniger fortgeschrittenen Projekten erheblich höher, zudem müssen sie auf ihrem Weg immer wieder Kapital einwerben. Dafür winkt dort im Erfolgsfall der wesentlich größere Hebel beim Aktienkurs.

Wachsender Marktanteil

Neue Technologien sind beispielsweise häufig ein Grund für Partnerschaften, im nächsten Schritt kommt es dabei auch immer wieder zu Übernahmen. Die großen Konzerne können es sich nicht leisten, bei vielversprechenden Methoden kein Eisen im Feuer zu haben. "Der Marktanteil neuer Produkttechnologien auf dem Pharmamarkt ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich angestiegen", sagt Daniel Koller von BB Biotech.

Für Aufsehen sorgten etwa in den vergangenen Monaten Firmen, die sich mit sogenannten NK-Zellen beschäftigen. NK steht für natürliche Killerzellen, diese sind Teil des angeborenen Immunsystems. Anders als T-Zelltherapien gegen Krebserkrankungen müssen sie nicht für jeden Patienten individuell hergestellt werden. Allein dieser Punkt ist für die Anwendung hochattraktiv, bedeutet er doch deutlich niedrigere Produktionskosten und kürzere Wartezeiten für Patienten. Zusätzlich lösen NK-Zelltherapien auch weniger gefährliche Nebenwirkungen aus und könnten sich auch bei soliden Tumoren als wirksam erweisen.

Hier gab es zuletzt starke klinische Daten, etwa von der kalifornischen Nkarta und von Affimed aus Heidelberg. Die Deutschen stellen sogenannte Engager her, Moleküle, die NK-Zellen mit Tumorzellen in Kontakt bringen. Beide Unternehmen haben für ihre am weitesten fortgeschrittenen Projekte noch keine Partner.

INVESTOR-INFO

Attraktive Unternehmen

Von solide bis riskant

Der Unterschied zwischen den größeren Unternehmen mit zugelassenen und marktreifen Produkten und denen, die neue Technologien erforschen, lässt sich aktuell gut an der Kursperformance ablesen. Das dicke Minus bei den NK-Zellspezialisten Affimed und Nkarta spiegelt das weitaus höhere Risiko für Investoren wider. Alnylam, Ionis und Neurocrine verfügen dagegen bereits über zugelassene Produkte, könnten aber trotzdem Kaufinteressenten anziehen.

Gute Portfolios

Verschiedene Schwerpunkte

Zur Risikostreuung empfiehlt es sich bei Biotech-Investments, auf die Auswahl von Profis mit entsprechenden Fachkenntnissen zu setzen. Hinter der Aktie von BB Biotech steht ein konzentriertes Portfolio von mittleren und kleinen Unternehmen, wobei Erstere das höhere Gewicht haben. Attraktiv ist die Dividendenrendite von fast sieben Prozent. Bei den 165 Positionen des Medical-BioHealth-Fonds liegt der Fokus mehr auf Small Caps.

M & A-Aktivität

Aufholpotenzial vorhanden

Die Zahl der Übernahmen ist seit mehreren Jahren vergleichsweise niedrig, das Volumen ebenfalls - 2019 erscheint vor allem durch den 74 Milliarden schweren Kauf des BiotechKonzerns Celgene durch den Pharmariesen Bristol Myers Squibb als Ausnahmejahr.