Das britische Pfund bleibt auf Talfahrt, Investoren fliehen in vermeintlich sichere Anlagen wie Gold und Staatsanleihen. Von den Notenbanken erhoffen sich Börsianer weitere Beruhigungspillen. Mit steigenden Leitzinsen und anziehenden Bond-Renditen rechnet an der Börse momentan kaum einer.

DAS KAPITAL IST EIN SCHEUES REH



Aktienstrategen raten zur Vorsicht. "Die Gefahr eines Ausverkaufs ist nicht gebannt", betont Analyst Markus Reinwand von der Helaba. Volkswirte von MM Warburg sehen den Dax zum Jahresende bei 10.350 Zählern, 500 Punkte unter ihren Prognosen vor dem Brexit. "Im Zuge eines sehr schwachen Konjunkturwachstums weltweit, speziell aber auch in der EU, sollten im kommenden Jahr die Unternehmensgewinne bei europäischen Unternehmen kaum wachsen", betont DZ-Bank-Analyst Christian Kahler.

Er sieht den Dax in einem Jahr bei rund 10.000 Punkten, momentan notiert er bei 9500 Punkten. Lars Skovgaard Andersen, Investmentstratege von Danske Invest, sieht Potenzial für vereinzelte Kursgewinne bei Firmen aus Branchen wie Telekommunikation, Konsum und Pharma. Europäische Bankaktien müssen dagegen mit anhaltend starkem Gegenwind rechnen.

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer ist zuversichtlicher: "Die hohe Unsicherheit an den globalen Finanzmärkten dürfte in den kommenden Wochen schrittweise sinken." Zwar werde sich der Dax zunächst seitwärts bewegen, bis zum Ende 2016 seien aber 11.200 Punkte möglich. Ein monatelange Baisse wie nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers 2008 sei nicht zu erwarten.

NOTENBANKEN IM KRISENMODUS



Mit steigenden Leitzinsen und anziehenden Renditen von Staatsanleihen rechnet kaum noch ein Börsianer. Joseph Gagnon, ehemaliger US-Notenbanker und derzeit leitender Wissenschaftler der Denkfabrik Peterson Institute for International Economics, hält statt einer weiteren Leitzinserhöhung in Amerika sogar eine Absenkung des Fed-Schlüsselsatzes auf minus 0,25 Prozent von aktuell plus 0,25 bis 0,5 Prozent für möglich.

Dann könnte erneut Qantitative Easing (QE) in Gebrauch genommen werden. Die dritte Runde der stützenden Wertpapierkäufe der amerikanischen Notenbank war im Oktober 2014 zu Ende gegangen, im Dezember 2015 hatte sie die Zinsen erstmals seit fast zehn Jahren angehoben.

Viele Experten gehen davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Geldpolitik im vierten Quartal noch weiter lockert. Auch die Bank von England (BoE) komme um eine Wiederauflage des QE kaum herum, betont David Blanchflower, Wirtschaftsprofessor am Dartmouth College und ehemaliger britischer Notenbanker. "2008 hatten wir eine tiefe Wirtschaftskrise. Jetzt haben wir eine Wirtschaftskrise, verstärkt durch eine tiefe politische Krise."

Vor diesem Hintergrund müssen Anleger auch weiterhin dafür bezahlen, Staaten wie Japan, Deutschland oder der Schweiz Geld leihen zu dürfen. Der Rating-Agentur Fitch zufolge rentieren derzeit weltweit Papiere im Volumen von elf Billionen Dollar unter null Prozent. Das ist etwa das Dreifache der jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands.

PFUND IM ABWÄRTSSTRUDEL - EURO-DOLLAR-PARITÄT VORAUS



Das Pfund Sterling wird bei weiteren geldpolitischen Lockerungen der BoE unter Druck bleiben. Zudem sehen Devisenanleger das politische Hickhack im Land kritisch. So ist etwa noch nicht sicher, wann Großbritannien den Austritt aus der EU offiziell erklärt und ein neuer Premierminister muss gefunden werden.

Ein großer Belastungsfaktor sind auch die wirtschaftlichen Folgen des Brexit. "Wenn voraussichtlich im dritten Quartal die ersten negativen Zahlen zur Konjunktur kommen oder wenn die ersten Unternehmen sich aus Großbritannien zurückziehen, wird das Pfund stark unter Druck kommen", prognostiziert Helaba-Analyst Ralf Umlauf.

Der Euro kann sich dem Abwärtssog nicht entziehen. "Bis zum Jahresende ist die Parität zum Dollar möglich", sagt Umlauf. Es wäre das erste Mal seit 2002, dass Euro und Dollar gleich viel kosten. Derzeit müssen Anleger für einen Euro rund 1,12 Dollar auf den Tisch legen.

GOLD ALS "SICHERER HAFEN"



Der Preis für Gold steigt nach dem Referendum immer weiter und lag zuletzt mit 1371 Dollar je Feinunze auf dem höchsten Stand seit März 2014. Die Credit Suisse rechnet damit, dass sich die Feinunze Gold in der zweiten Jahreshälfte auf mehr als 1400 Dollar verteuert. "Gold hat nach dem Brexit-Votum gezeigt, dass es als sicherer Hafen taugt", sagt Commerzbank-Rohstoffanalyst Daniel Briesemann. "Wir sehen nicht viele Gründe, weshalb sich das schnell ändern sollte."