Man probiert es mit mehr Normalität in Brasilien. Trotz der gut 3,2 Millionen Corona-Infizierten und mehr als 106 000 Toten haben in Rio wieder einige der weltweit bekanntesten Touristenattraktionen geöffnet, die Christusstatue beispielsweise. Ebenso der Zuckerhut. Auch die Strände in Rio sind wieder zum Baden freigegeben. Viele "cariocas", so nennen sich die Einwohner von Rio, hatten sich ohnehin nicht an das Verbot gehalten. Auch Verkäufer und Bars dürfen jetzt wieder legal am Strand Erfrischungen anbieten. Lediglich Sonnenbaden und ein längerer Aufenthalt an den Stränden ist nach wie vor verboten.

"Gott ist Brasilianer", sagt man im Land so schön. Trotzdem ist Brasilien neben den USA und Indien weltweit das größte Sorgenkind in Sachen Corona. Staats- präsident Jair Bolsonaro steht wegen seines lockeren Umgangs mit der Pandemie international in der Kritik. Im Land selbst beschert die Krise dem Staatschef aber so gute Umfragewerte wie noch nie. 37 Prozent der Bevölkerung finden seine Amtsführung gut oder sogar sehr gut - wesentlich mehr als bei früheren Umfragen. Der Anteil der Landsleute, die seine Politik ablehnen, sank von 44 auf 34 Prozent. Dies ist der neuesten Umfrage der "Folha de S. Paulo", der meistgelesenen Zeitung des Landes, zu entnehmen.

Zu verdanken hat das Bolsonaro vor allem den Nothilfen, die seit April gezahlt werden. 40 Prozent der erwachsenen Einwohner bekommen seither 600 Real pro Monat, das sind ungefähr 90 Euro. Für viele arme Brasilianer ist das sehr viel Geld. Positiv auf die Umfragewerte hat sich auch ausgewirkt, dass Bolsonaro in den vergangenen Wochen seinen Ton geändert hat und weniger aggressiv auftritt.

Belastende Dauerprobleme

Dennoch wird Brasiliens Wirtschaft in diesem Jahr ein deutliches Minus verkraften müssen. Der Internationale Währungsfonds hat soeben seine Prognosen besonders für jene Länder gekürzt, die stark von der Pandemie betroffen sind - und darunter ist eben auch Brasilien. Von minus 5,3 Prozent geht das Institut aus.

Die Corona-Krise ist damit ein weiterer Rückschlag für die brasilianische Wirtschaft, deren Erholung seit der Rezession 2016 nur langsam läuft. Dauerprobleme wie die hohe Arbeitslosigkeit und das Budgetdefizit belasten das Land. Auch die versprochene Vereinfachung des Steuersystems lässt auf sich warten. Dass es hakt, liegt auch an Bolsonaro. Der verspottete das Virus lange als von den Medien verbreitete "Fantasie". Dennoch rief er irgendwann den Notstand aus. Brasilien ist dadurch nicht mehr an die Haushaltsziele gebunden. Mit Ausnahme der Budgetobergrenze, die bleibt bestehen.

Passend dazu revidierte die Regierung ihre Wachstumsprognose nach unten: Statt von plus 2,4 Prozent geht man in der Hauptstadt Brasilia jetzt von plusminus null aus - was angesichts der IWF-Prognose viel zu optimistisch ist. "Eine Rezession ist unvermeidbar", schreibt auch JP Morgan in einer Analyse. Finanzminister Paulo Guedes sieht das anders: "Die Wirtschaft wird die Turbulenzen in drei bis vier Monaten überwunden haben."

Schaffen will Brasilien das mit einem Hilfspaket von umgerechnet 27 Milliarden Euro, wovon gut die Hälfte armen und älteren Menschen zufließen soll. Aber ob das reicht? Eine Hoffnung ist China. Die Volksrepublik ist gerade dabei, die Versorgung mit Agrarprodukten besser zu diversifizieren, um weniger von den USA abhängig zu sein. Dies scheint mit Brasilien schon seit einiger Zeit ganz gut zu klappen. China investiert vor Ort in neue Infrastruktur, um Binnentransport und Verschiffung zu erleichtern. Brasilien avancierte dadurch beispielsweise zum weltgrößten Produzenten und Exporteur von Sojabohnen.

Helfen soll auch die Notenbank. Die hat gerade erst den Leitzins um 50 Basispunkte auf 3,75 Prozent gesenkt. Es war der sechste Zinsschnitt in Folge. Dies führt auch dazu, dass sich die Landeswährung Real gegenüber dem Dollar weiter abschwächt. Dadurch wiederum werden brasilianische Produkte am Weltmarkt deutlich günstiger

Schwacher Real, schwache Aktienkurse

Das sollte eigentlich Rückenwind bedeuten für Brasiliens Aktien. Viele Kurse haben wegen Corona einen herben Dämpfer verpasst bekommen. Der Leitindex verlor deutlich. Noch schlimmer war das Minus aber für europäische Anleger, weil der Real in den zurückliegenden Monaten extrem an Wert verloren hat. Auf dem aktuellen Niveau scheinen Aktien aus Brasilien aber wieder kaufenswert.

Etwa Ambev, der größte Getränkehersteller in Lateinamerika und Tochter der belgischen Anheuser-Busch Inbev. Hier hat sich der Kurs seit Jahresbeginn halbiert. Noch schlimmer kam es für BRF (früher Brasil Foods). Hier hat sich der Kurs im Extrem sogar geviertelt. Der größte Fleischlieferant des Landes sollte jetzt aber von Chinas gestiegener Nachfrage profitieren.