Damit stellten sich die Verfassungsrichter gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH), der die Anleihenkäufe im Dezember 2018 als rechtens einstufte. Die EU-Kommission erklärte, das europäische Gemeinschaftsrecht habe Vorrang. Die Entscheidungen des EuGH seien für alle nationalen Gerichte bindend.

Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts hätte die Bundesregierung dagegen vorgehen müssen, dass die EZB ihre Beschlüsse nicht auf deren Verhältnismäßigkeit überprüft habe. Die Notenbank hätte auch die wirtschaftlichen Folgen für Sparer und Immobilienpreise in den Blick nehmen müssen. Der EZB-Rat müsse nun in einem neuen Beschluss zeigen, dass das Kaufprogramm verhältnismäßig sei. Ansonsten sei es der Bundesbank untersagt, nach einer Übergangsfrist von höchstens drei Monaten daran teilzunehmen. Mit der Entscheidung hatten mehrere Verfassungsbeschwerden teilweise Erfolg. Beschwerdeführer waren unter anderen der frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler und AfD-Gründer Bernd Lucke sowie der Unternehmer Heinrich Weiss. Das Urteil erging mit sieben zu eins Stimmen.

"Erstmals in seiner Geschichte stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass Handlungen und Entscheidungen europäischer Organe offensichtlich nicht von der europäischen Kompetenzordnung gedeckt sind und daher in Deutschland keine Wirksamkeit entfalten können", sagte Gerichtspräsident Voßkuhle. Bundesregierung und Deutscher Bundestag seien aufgrund ihrer Integrationsverantwortung verpflichtet, der bisherigen Handhabung des EZB-Aufkaufprogramms entgegenzutreten. Das EuGH-Urteil wurde vom Verfassungsgericht für nicht mehr nachvollziehbar und deshalb für nicht bindend erklärt.

Voßkuhle räumte ein, das Urteil möge angesichts der Corona-Krise "auf den ersten Blick irritierend wirken". Deshalb stellte er klar: Der EZB würden "keine Handlungsmöglichkeiten von vornherein aus der Hand geschlagen". Die Notenbank sei aber verpflichtet, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen und entsprechend zu dokumentieren. Das Bundesverfassungsgericht sehe im Aufkaufprogramm der EZB zudem keine unzulässige Staatsfinanzierung. Auch betreffe das Urteil nicht die aktuellen EZB-Beschlüsse anlässlich der Corona-Krise.

"IM KERN GRÜNES LICHT"


Bei dem Verfahren ging es um das laufende und bereits mehrfach verlängerte EZB-Programm zum Kauf von Staatspapieren der Euro-Länder, das in der Fachwelt "Public Sector Purchase Programme" (PSPP) genannt wird. Die Käufe waren in den vergangenen Jahren die wichtigste Waffe der Euro-Wächter gegen eine schwache Konjunktur und eine aus ihrer Sicht zu niedrige Inflation. Die Währungshüter begannen mit den Käufen im März 2015, um ein Abrutschen der Wirtschaft im Euro-Raum in eine gefährliche Deflation zu verhindern. Inzwischen haben die EZB und die nationalen Notenbanken der Euro-Länder Staatsanleihen im Volumen von rund 2,2 Billionen Euro gekauft.

Die Bundesregierung sieht sich durch das Gericht in der Einschätzung bestätigt, dass die Staatsanleihenankäufe nicht im Widerspruch zum Grundgesetz stehen. Das Gericht habe "klar festgestellt: Das Anleiheprogramm der Europäischen Zentralbank ist keine monetäre Staatsfinanzierung", sagte Finanzminister Olaf Scholz in Berlin. "Das Programm befindet sich in dieser Hinsicht im Einklang mit unserem Grundgesetz." Die Bundesbank dürfe sich weiterhin an dem gemeinsamen Kaufprogramm beteiligen und auch über die vom Gericht gesetzte Frist von drei Monaten hinaus, sofern die vom Gericht genannten Voraussetzungen erfüllt würden.

Kläger in Karlsruhe äußerten sich zufrieden. "Wir hatten nicht unbedingt erwartet, dass der Gerichtshof so mutig ist", sagte der Unternehmer Weiss. Der Berliner Finanzwissenschaftler Markus Kerber, der eine weitere Gruppe von Klägern vertritt, sagte: "Dies ist ein Verdammungsurteil über den EuGH. Noch nie hat ein Gericht so präzise, methodisch unwiderlegbar ein Urteil des EuGH als reine Gefälligkeitsjurisprudenz bezeichnet." Experten sehen die laufenden Anleihenkäufe aber nicht gefährdet. "Im Kern hat das Verfassungsgericht der EZB grünes Licht gegeben", kommentierte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.

Bereits im Sommer 2017 hatte das Bundesverfassungsgericht Bedenken geäußert, ob die Käufe noch in den Kompetenzbereich der Euro-Notenbank fallen. Die Richter sahen "gewichtige Gründe", dass diese gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstoßen, und hatten sich mit mehreren Fragen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gewandt. Dieser hatte in einem viel beachteten Urteil die Käufe allerdings für rechtmäßig erklärt und damit der EZB einen weitgehenden Freifahrtschein ausgestellt. Damit war Karlsruhe wieder am Zug.

rtr