Der US-amerikanische Autobauer Rivian hat die Gunst der Stunde genutzt: Kurz vor dem Börsengang am 10. November erhöhte er die Preisspanne seiner Papiere um rund ein Viertel auf 72 bis 74 Dollar. Am ersten Handelstag eröffnete der Titel dann mit einem Kurs von 106,75 Dollar und war insgesamt plötzlich 90 Milliarden Dollar wert. Mehr als etwa der alteingesessene Autoriese General Motors. In der Spitze kletterte der Firmenwert auf 150 Milliarden Dollar.

Traditionelle Autobauer müssen sich angesichts dieser Bewertungen verwundert die Augen reiben. Noch vor wenigen Jahren wären solche Beträge für Auto-Start-ups undenkbar gewesen. Doch die Branche befindet sich im Wandel, der Trend ist klar: Die Autobranche ist elektrisiert. Milliardenschwere Förderungen für die Fahrzeuge samt zugehöriger Infrastruktur sorgen dafür, dass sie weiter Fahrt aufnimmt: Laut einer Studie von PwC hat sich die Anzahl verkaufter Elektroautos in weltweit 14 wichtigen Märkten im dritten Quartal mehr als verdoppelt. Die Unternehmensberatung geht davon aus, dass in Europa der Anteil von Fahrzeugen mit alternativem Antrieb schon bald mit dem von herkömmlichem gleichziehen wird.

Sechs E-Mobilitätsaktien

Riesige Summen fließen in den Markt

In den USA dauert es wohl noch etwas länger. Allerdings sollte das Infrastrukturprogramm von US-Präsident Joe Biden über 1,2 Billionen Dollar dafür sorgen, dass der Anteil auch dort zügig höher wird. Allein 7,5 Milliarden sind für den Aufbau eines landesweiten Ladenetzes für Elektroautos vorgesehen. In China, dem weltweit wichtigsten Markt, legten die Neuzulassungen sogar um 190 Prozent zu. Insgesamt wurden dort 782 000 rein batteriebetriebene Autos verkauft. Beliebteste Marke dort ist BYD vor Tesla und Volkswagen. Allein im Oktober verkaufte BYD knapp 90 000 elektrisch betriebene Fahrzeuge, eine Zunahme von knapp 100 Prozent. Im Jahr 2021 wollen die Chinesen insgesamt 600 000 sogenannte NEV, also New Energy Vehicles, verkaufen. 2022 plant der Konzern bereits mit 1,5 Millionen Fahrzeugen. Dazu kommen elektrisch betriebene Busse. Ein Plus ist die eigene Batterieproduktion. Letztlich können die Chinesen durch die tiefe Wertschöpfung E-Autos zu Preisen anbieten, bei denen die Wettbewerber kaum mithalten können. Auch sinkt dadurch die Abhängigkeit von den Zulieferern, was aktuell ein großer Vorteil ist. Zuletzt gab es Gerüchte, dass BYD die Tesla-Fabrik in Shanghai mit Batterien beliefern könnte. Und die Chancen stehen gut, dass der chinesische Platzhirsch in Europa Fuß fasst. Zwei Kapitalerhöhungen kündigte der Konzern Anfang November in Höhe von insgesamt rund 3,5 Milliarden Dollar an. Rund die Hälfte davon soll für Investitionen im Elektroautosegment verwendet werden. Auch ein Blick auf die Patentanmeldungen zeigt, wie innovativ die Chinesen sind. Das Münchner Analysehaus Quandt IP, das sich auf die Auswertung von Patenten spezialisiert hat, untersuchte die Hersteller von Elektroautos nach Anmeldungen. Allein im Segment Electric Motors meldete BYD 440 Erfindungen an. Der chinesische Wettbewerber Nio kam auf 173, Tesla auf lediglich 38 und Rivian auf eine. Untersucht wurde nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Daten. Von den hier besprochenen Unternehmen schnitt BYD insgesamt klar am besten ab.

Auch Nio ließ zuletzt wieder mit starken Zahlen aufhorchen: Nach einem schwachen Oktober verdreifachten sich die Auslieferungen im November auf knapp 11 000 Fahrzeuge im Vergleich zum Vormonat. Und der Blick auf das kommende Jahr gibt weiteren Grund für Optimismus. Dann will Nio drei neue Modelle auf den Markt bringen und die Produktionskapazitäten stark ausbauen. Auch der luxuriöse ET7 soll Ende des ersten Quartals 2022 ausgeliefert werden und ausländischen Luxusmarken wie Tesla Paroli bieten. Bereits Ende 2022 könnte der Autobauer die Gewinnzone erreichen. Der Aktienkurs trat zuletzt auf der Stelle, reagierte jedoch positiv auf die jüngsten Verkaufszahlen. Der Konzern ist in China auf einem guten Weg und will künftig auch in Europa Spuren hinterlassen. "Unser Ziel ist es, den Nio ET7 bis Ende 2022 in Deutschland zu haben", sagt William Li, Gründer und CEO von Nio. Erst vor Kurzem mit den Auslieferungen begonnen hat der US-amerikanische Sportwagenhersteller Lucid. Der Börsenwert, der im Juli vergangenen Jahres über einen sogenannten SPAC an die Börse gegangenen Firma beträgt aktuell 57,6 Milliarden Euro. Und Lucid steht mit seinen Autoverkäufen noch ganz am Anfang. Einige Experten unterstellen hier einen "Fear of missing out"-Effekt. Dabei handelt es sich um die Angst, bei einer Rally nicht dabei zu sein. Und doch hat Lucid einen Trumpf im Ärmel: Mehr als 17 000 Vorbestellungen sind bereits eingegangen. Laut Unternehmensangaben haben diese einen Wert von mehr als 1,3 Milliarden Dollar. Dennoch rechtfertigen die Orders nicht die astronomische Bewertung. Genauso wenig wie die von Rivian: Auch beim Pick-up-Hersteller liegt das operative Geschäft noch nahezu brach. Im September erst fing das Unternehmen an, Autos auszuliefern. Nennenswerte Umsätze erzielt es bislang nicht.

Vor allem mit den in den USA beliebten Trucks könnte das Start-up Wettbewerber Tesla allerdings Paroli bieten. Jetzt sehen sich beide wohl erst mal vor Gericht wieder: Tesla-Chef Elon Musk verklagte einige seiner Ex-Mitarbeiter, die zu Rivian gewechselt sind - Ausgang ungewiss. Weiterhin verkauft Musk fleißig Tesla-Aktien: Mittlerweile hat er sich von Aktien im Wert von elf Milliarden Dollar getrennt. Bis zum erklärten Ziel von 17 Millionen Papieren fehlen noch rund sieben Millionen. Derweil läuft es operativ sehr gut: In Deutschland verkauft der Konzern mittlerweile mehr Autos als Porsche. Weltweit setzte Tesla in den ersten zehn Monaten des Jahres mit 624 000 fast dreimal so viel wie der Stuttgarter Sportwagenhersteller ab. In der Grünheidener Gigafabrik in Brandenburg werden schon die ersten Testwagen gebaut. Bis Musk seine Aktien verkauft hat, sollten sich Anleger jedoch noch mit einem Kauf gedulden. Nicht so rund läuft es aktuell bei Deutschlands größtem Autobauer Volkswagen. Neben internen Streitereien um Vorstandschef Herbert Diess läuft es operativ nur mäßig. In China mussten die Wolfsburger ihre Prognose für das Jahr 2021 zurücknehmen. Auf dem wichtigsten Markt sollen jetzt nur 70 000 bis 80 000 Autos aus der neuen ID-Familie verkauft werden. Das wäre rund ein Fünftel weniger als bisher geplant. Und weiterhin belastet der Chipmangel die Branche: Nach Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts wurden im November rund ein Drittel weniger Autos als im Vergleichsmonat des Vorjahres zugelassen. Besserung soll dann das kommende Jahr bringen. Der Titel wurde ausgestoppt, Anleger sollten ihn auf die Beobachtungsliste setzen.

Auf die Zulassung des Sion von der Sono Group, einem Elektroauto mit integrierten Solarzellen, müssen Interessenten noch etwas länger warten. In der ersten Jahreshälfte 2023 soll es so weit sein. Rund 16 000 Vorbestellungen gibt es laut Unternehmensangaben bereits. Doch nach dem fulminanten Börsenstart, als der Titel bis auf 48 Dollar an der Nasdaq kletterte, fiel er aktuell auf rund 14 Dollar zurück. Wie bei den anderen beiden IPO-Highflyern Rivian und Lucid warten Anleger auch bei Sono besser erst einmal, bis sich die Kurse weiter entladen.

 


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Elektroautos

Der Siegeszug der Hersteller von Elektroautos ist kaum mehr aufzuhalten. Aktuell fließt sehr viel Geld in die Branche. Das treibt allerdings auch die Bewertungen nach oben. Einige Konzerne sind mittlerweile zu teuer.

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