Kaum ein anderer Sektor ist momentan derart im Fokus spekulativer Anleger wie die Cannabis-Branche. Nahmen im vergangenen Herbst Anleger noch Gewinne mit, haben zahlreiche Zusammenschlüsse, Übernahmen und Beteiligungen den gesamten Sektor nun wieder komplett unter Strom gesetzt. Nachdem im Sommer 2018 der Einstieg des milliardenschweren Getränkekonzerns Constellation Brands bei Canopy Growth bekannt wurde, beteiligte sich Ende vergangenen Jahres der Marlboro-Konzern Altria mit einem 1,8 Milliarden US-Dollar-Investment am Cannabis-Unternehmen Cronos. Für beide Seiten bislang ein gutes Geschäft: Cronos konnte sich über eine Milliardenspritze freuen, und für Altria hat sich das Investment ebenfalls gerechnet. Gegenüber dem Einstiegspreis notiert der Kurs von Cronos aktuell mehr als 50 Prozent höher.

Weitere Übernahmen dürften folgen

In den kommenden Monaten könnte es zu weiteren Akquisitionen kommen: Immer wieder fällt der Name Coca-Cola. Dem US-Konzern wird ein Interesse an Aurora Cannabis nachgesagt wird. Aurora ist in den zurückliegenden Jahren selbst durch eine Übernahmestrategie stark gewachsen und hat sich zuletzt den US-Milliardär Nelson Peltz ins Boot geholt. Er wird die Kanadier künftig bei der weltweiten Expansionsstrategie und dem Eintritt in neue Märkte beraten.

Doch nicht nur bei den Unternehmen selbst, auch bei Analysten ist der Optimismus groß, dass Cannabis gemessen an den wirtschaftlichen Potenzialen zu den durchschlagendsten Innovationen aller Zeiten gehören könnte. An Superlativen fehlt es jedenfalls nicht: Das Researchhaus CIBC Markets etwa bezeichnet die Geburtsstunde der Industrie als historisches Event, das mit dem Goldrausch, der Erfindung des Automobils und des Flugzeugs oder der Entwicklung des Internets vergleichbar ist. Schon heute ist Cannabis in Softdrinks, alkoholischen Getränken, pharmazeutischen Produkten oder in Zigaretten enthalten. In der Wellnessindustrie sind Cannabis-Produkte praktisch über Nacht ein Kassenschlager geworden.

Mit Jefferies hat eine weitere US-amerikanische Investmentbank das Coverage für den Sektor aufgenommen. Im Rahmen einer Studie gehen die Analysten Owen Bennett und Ryan Tomkins in einem konservativen Basisszenario von einem Marktwachstum auf 50 Milliarden US-Dollar in den kommenden zehn Jahren aus. In diesem Jahr wird die Branche geschätzt 19 Milliarden US-Dollar umsetzen.

Welche Wachstumsraten die Branche verzeichnet, zeigen die Unternehmenszahlen zum vierten Quartal 2018: Gegenüber dem Schlussquartal 2016 haben sich die Umsätze der lizenzierten Cannabis-Produzenten binnen zwei Jahren von 28,4 Millionen kanadische Dollar auf 188,5 Millionen kanadische Dollar mehr als versechsfacht, obwohl Cannabis erst im Oktober zu Erholungszwecken in Kanada freigegeben wurde und es zum Verkaufsstart zu großen Lieferengpässen gekommen war. Noch stärker ist in diesem Zeitraum der Börsenwert der kanadischen Hersteller gestiegen - von gut vier Milliarden auf zuletzt 31 Milliarden kanadische Dollar. Dadurch sind viele Titel jedoch sehr teuer geworden. So wird Aurora Cannabis mit dem 15-fachen Umsatz für 2020 bewertet, Canopy Growth gar mit mehr als dem 30-Fachen - zu viel, auch wenn diese Marktführer derzeit am besten positioniert sein dürften, um auch auf globaler Ebene zu dominieren.

Cannabis aus biologischem Anbau

Wegen der hohen Bewertung der Top-Firmen empfehlen Analysten Titel aus der zweiten Reihe. Mit Cannabis-Anbau in Bioqualität und einer Produktionskapazität von bis zu 195 000 Kilogramm pro Jahr schafft sich The Green Organic Dutchman mittelfristig ein Umsatzpotenzial von mehr als einer Milliarde kanadischen Dollar. Dem steht eine Marktkapitalisierung von 1,25 Milliarden kanadischer Dollar gegenüber. Jefferies traut der Firma 2020 den Sprung in die Gewinnzone und ein Jahr später einen Gewinn in Höhe von 0,44 kanadischen Dollar je Aktie zu. Erreicht das Unternehmen die Ziele, taxieren die Experten das Kurspotenzial auf bis zu 14 kanadische Dollar. Das 2015 gegründete Unternehmen Medipharm Labs betreibt eine 6500 Quadratmeter große Produktionseinheit in Ontario und war vor knapp einem Jahr das erste kanadische Unternehmen, das ohne eine eigene Anbaulizenz eine Produktionslizenz für Cannabis-Öl erhielt.

Seither konnte die Gesellschaft ihre Verarbeitungskapazitäten erweitern, Verträge mit dem Großhandel abschließen und mehrjährige Lieferabkommen aushandeln. Schon jetzt schreibt die Firma schwarze Zahlen. Für das laufende Geschäftsjahr rechnen die Analysten des Brokerhauses Canaccord bei Erlösen von 115 Millionen kanadischen Dollar mit einem Nettogewinn von 0,11 Dollar je Aktie. 2020 dürften die Umsätze den Analysten zufolge auf 239 Millionen kanadische Dollar um mehr als das Doppelte zulegen und der Gewinn sich auf 0,32 Dollar je Aktie knapp verdreifachen. Geht die Rechnung auf, würde der Titel 2020 mit einem KGV von zehn zu den günstigen Aktien der Branche zählen.