Wer chinesische Aktien hält, dürfte in den letzten Tagen verwundert in sein Depot geschaut haben. Nach Monaten im Abwärtstrend erholten sich Aktien aus dem Reich der Mitte zuletzt merklich. Die Papiere der E-Commerce-Plattform Pinduoduo legten seit Beginn des Monats um rund 27 Prozent zu, beim Amazon-Pendant Alibaba waren es im schwierigen Marktumfeld immerhin noch 17 Prozent. Dabei ist es nicht nur die inzwischen sehr günstige Bewertung vieler Unternehmen, die Käufer anlockt.

Aus dem Reich der Mitte kommen Signale für eine Besserung. Die Wiedereröffnung der Wirtschaftsmetropole Shanghai nach wochenlangem Lockdown half, wobei sich jüngst nach vielen neuen Corona-Fällen wieder Anzeichen für erneute Maßnahmen mehrten. Ein erneuter Lockdown jedoch würde Wirtschaft und globale Lieferketten empfindlich stören.

Die Politik aber sendet neuerdings Zeichen der Entspannung. Die Aktie des Onlinehändlers Alibaba etwa legte kräftig zu, nachdem Gerüchte um einen erneuten Versuch eines Börsengangs der Finanztechnologie-Tochter ANT Group aufkamen. Alibaba-Gründer Jack Ma hatte Ende 2020 versucht, ANT an die Börse zu bringen. Die Emission, die mit einem Volumen von 37 Milliarden Euro der größte Börsengang in China werden sollte, scheiterte jedoch an neuen staatlichen Regularien zur Vergabe von Krediten. Im Vorfeld der Absage hatte Jack Ma Regulierungsbehörden vorgeworfen, Innovationen zu bremsen. Es folgte eine ganze Welle einschneidender Regulierungsmaßnahmen gegen Alibaba und weitere Technologie-Unternehmen des Landes.

Groß war zuletzt die Hoffnung, dass grünes Licht aus Peking zu einem ANT-Börsengang eine grundlegende Wende im Verhältnis zu den Internetkonzernen einleiten könnte. Jüngst teilte die chinesische Wertpapieraufsichtsbehörde jedoch mit, dass man nicht an einer Wiederaufnahme eines Börsengangs arbeite. Man unterstütze jedoch die infrage kommenden Internetunternehmen bei der Börsennotierung in China und im Ausland, berichtete der Nachrichtendienst Bloomberg. Der Weg steht also offen.

Regierung fördert Wachstum

Anleger trauen sich nicht nur deshalb wieder vermehrt in chinesische Werte. Zur Risikobereitschaft tragen auch unterstützende Maßnahmen der Regierung bei. Die Kommunistische Partei hält im November ihren alle fünf Jahre stattfindenden Parteitag ab. Präsident Xi Jinping will sich eine dritte Amtszeit sichern. Entsprechend hat Chinas Staatsoberhaupt gesteigertes Interesse daran, eine starke Wirtschaft präsentieren zu können.

Für das laufende Jahr peilt das Land ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 5,5 Prozent an. Wegen der rigorosen Null-Covid-Politik ist das allerdings ein ambitioniertes Ziel, deshalb greift die Regierung nun unterstützend ein. Um die Wirtschaft zu beleben, senkte die Zentralbank zuletzt die Zinsen auf fünfjährige Kredite um 15 Basispunkte auf 4,45 Prozent. Zudem wurden Maßnahmen auf den Weg gebracht, die den Konsum im Reich der Mitte ankurbeln sollen.

Ein Profiteur davon könnte die Gaming-Branche werden, die wegen des staatlich erwünschten Jugendschutzes lange im Zentrum der Regulierungen stand. Im April hatten die staatlichen Behörden 45 neue Videospiele zugelassen, im Mai stieg die Zahl der Neuzulassungen auf 60 Spiele. Analysten sahen darin Signale einer grundsätzlichen Lockerung. "Wir glauben, dass die Ankündigung der Genehmigung auch ein positives Signal der politischen Unterstützung für den gesamten chinesischen Internetsektor sein wird", sagte etwa Analystin Alicia Yap von der Citigroup.

Ausgenommen von der Zulassung waren indes erneut Spiele der Branchen-Schwergewichte Tencent und NetEase. Hart für Tencent, der Konzern meldete für das erste Quartal Verkaufserlöse lediglich auf Vorjahresniveau, das Geschäft mit heimischen Spielen schrumpfte um ein Prozent. Auch andere Ex-Highflyer könnten wachstumsfördernde Maßnahmen gut gebrauchen. Im ersten Quartal legte Alibaba lediglich um neun Prozent beim Umsatz zu, der chinesische Suchmaschinen-Marktführer Baidu gar nur um ein Prozent.

Vorsichtiger Optimismus

Bleibt die Frage, ob die noch im März von JP Morgan als "uninvestierbar" gescholtenen China-Aktien nun die Talsohle durchschritten haben. Die US-Großbank selbst zeigte sich jüngst in Person von Stratege Marko Kolanovic wieder optimistischer. "Chinesische Aktien könnten ihren Wendepunkt erreicht haben. Die Verbote werden allmählich gelockert, die wachstumsfördernden Maßnahmen fortgesetzt. Meldungen, dass China kurz vor dem Abschluss der Ermittlungen gegen Didi steht, deuten auf ein Nachlassen der regulatorischen Risiken hin", so Kolanovic. Peking hatte dem Fahrdienstleister Didi wegen Untersuchungen die Aufnahme neuer Nutzer untersagt. Jüngst sorgten Berichte über ein mögliches Ende des Verbots für Kurssprünge. Demnach könnte die App wieder im chinesischen App Store erscheinen und Didi sein Geschäft fortführen.

Insgesamt zeigen sich viele Experten wieder zuversichtlicher. "Chinesische Aktien sehen unserer Meinung nach trotz des Gegenwinds allmählich attraktiver aus, und wir müssen bedenken, dass einige dieser Gegenwinde allmählich nachlassen und sich teilweise sogar in Rückenwind verwandeln", sagte Tilmann Galler, Stratege bei JP Morgan. Bleibt die Unsicherheit, ob Peking den freundlichen Kurs gegenüber den Internetkonzernen auch nach dem Parteitag im November fortsetzen wird. Sicher ist nur, dass der rote Drache weiter unberechenbar bleibt.

INVESTOR-INFO

Alibaba

Gute Tradingchance

Das von Jack Ma gegründete Unternehmen ist in zukunftsträchtigen Segmenten wie E-Commerce, Cloud-Geschäft und Bezahldiensten breit aufgestellt. Alibaba wuchs zuletzt langsamer, die Aussichten bleiben aber gut. Die Aktie zeigt in einem schwachen Markt Stärke, die Bewertung bleibt moderat. Wer in China investieren will, kann jetzt zugreifen. Aufgrund der Unsicherheit über den November hinaus bleibt das Papier primär für spekulative Anleger geeignet.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 120,00 Euro
Stoppkurs: 76,50 Euro

Tencent

Breit gestreut

Der Internetgigant hält Beteiligungen an einer Vielzahl von Unternehmen in potenziellen Wachstumsbranchen, darunter Social Media, Gaming und Onlinehandel. Dadurch war Tencent häufig von Regulierungsmaßnahmen im Onlinebereich betroffen und wird, wie bei der Zulassung von Spielen, im Wachstum gebremst. Die Aktie war nicht so stark eingebrochen wie andere Werte, entsprechend fehlt etwas die Rebound-Fantasie. Halten.

Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 50,00 Euro
Stoppkurs: 40,00 Euro

HSBC Hang Seng Tech Ucits

Großer Korb mit Potenzial

Der ETF der HSBC bildet den Hang Seng Tech Index ab, der sich aus den 30 größten in Hongkong notierten Unternehmen zusammensetzt. Größte Positionen sind die chinesischen Unternehmen Meituan, Alibaba, JD.com, Tencent und Xiaomi, die mit jeweils sieben bis neun Prozent gewichtet sind. Die schwache Performance seit Auflage Ende 2020 bietet Potenzial für Anleger, die auf eine breite Erholung im Tech-Sektor setzen.