Frankreich beschlagnahmt Atemmasken, Deutschland verbietet den Export von ­medi­zinischer Schutzausrüstung. Donald Trump setzt sich mit Pharma-Vorständen an einen Tisch, die er bisher gern als "Mörder" beschimpft hat, und Aktienkurse dubioser Biotechfirmen schießen um teilweise mehrere Hundert Prozent in die Höhe.

In den vergangenen Tagen sind Dinge passiert, die vor ein paar Wochen noch niemand für möglich gehalten hätte - das Coronavirus macht’s möglich. Angesichts der heftigen Schwankungen an den Weltbörsen ist es klar, dass Anleger nach Gewinnern in dieser unsicheren Situation fahnden. Doch wer in der ­Healthcare-Branche nach Unternehmen sucht, denen wirklich nachhaltige Umsatzsteigerungen aufgrund der Covid-­19-Erkrankungen ins Haus stehen, begibt sich auf dünnes Eis.

Am eindeutigsten ist der Fall bei den Herstellern von Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln. Schließlich sind deren Lager offenbar geplündert, die Nachfrage unvermindert hoch. Allerdings ist der Markt sehr zersplittert. Teilweise ­beziehen die Firmen Vorprodukte aus China oder produzieren dort und stehen deshalb vor Produktionsengpässen. Und dann ist die Frage, ob selbst ein sehr gutes Geschäft Anstiege wie die Vervierfachung des Aktienkurses wie beim kleinen kanadischen Schutzkleidungshersteller Alpha Pro Tech rechtfertigt. Die Kurse der üblichen Verdächtigen in dem Bereich - neben Alpha Pro Tech etwa Lakeland oder Paul Hartmann, dessen Tochterfirma Sterilium herstellt - sind mittlerweile stark spekulativ getrieben. Wer sich hier engagieren will, tut das lieber sehr kurzfristig und mit dem Bewusstsein, dass neben hohen Gewinnen auch erhebliche Verluste möglich sind.

Pandemie-Gewinner sind selten


Etwas anders sieht es bei Impfstoff- und Medikamentenherstellern aus. Betrachtet man frühere Wellen von Infektionskrankheiten (SARS, MERS, Ebola, Schweinegrippe), so gibt es eigentlich nur einen Fall, in dem ein Konzern ­daraus nachhaltige Gewinne ziehen konnte: Roche mit Tamiflu. Das Grippemittel erwies sich 2009 bei der H1N1-Schweinegrippe-Pandemie als eingeschränkt wirksam und wird seitdem von vielen Ländern bevorratet. Seit 1999 hat Roche mit Tamiflu 15 Milliarden Dollar eingenommen.

Vergleichbare Pandemie-Gewinner gibt es nicht. Die Entwicklung neuer Wirkstoffe dauert zu lange für akute Ausbrüche. In Hochphasen von Epidemien werden Mittel zudem oft gespendet oder vergünstigt abgegeben - im Fall von Ebola gilt das sogar dauerhaft. Deshalb hängen die Chancen von Impfstoff- und Medikamentenentwicklern stark von zwei Faktoren ab: Wann ebbt die Infektionswelle ab, und kommt das Corona­virus danach jemals wieder?

Rennen gegen die Zeit


Geht die Zahl der Fälle in den kommenden Wochen zügig zurück, wird es für Firmen schwierig, die Wirksamkeit ihrer Produkte zu belegen. Denn Studienteilnehmer müssen in der Regel einen dezidierten Kriterienkatalog in Bezug auf Alter, andere Erkrankungen und Vorbehandlungen erfüllen. Bruce Aylward, Leiter der WHO-Delegation, die Ende Februar China besuchte, erklärte danach: "Ich habe mit Leute gesprochen, die Studien betreuen, und die haben ein Problem mit der Patientenrekrutierung." Abgesehen davon benötigt natürlich niemand die teuer entwickelten Wirk- und Impfstoffe, wenn die Pandemie im Sommer zu Ende ist und das Virus womöglich nie wiederkommt.

Genau das ist aber zurzeit unmöglich vorherzusagen. Bei den SARS- und MERS-Ausbrüchen dauerte die Hochphase ungefähr sechs Monate. SARS trat seitdem laut WHO nur viermal wieder auf, dreimal davon betraf es Wissenschaftler, die unachtsam mit Virenproben umgingen. MERS dagegen kehrt immer wieder zurück. Influenza-Fallzahlen sinken regelmäßig im Frühling. Doch auch hier gibt es Ausnahmen: Die Schweinegrippewelle begann im April 2009 und ebbte etwa im November 2009 ab.

Das heißt: Wer vom aktuellen Ausbruch profitieren will, muss schnell sein. Bei Impfstoffen rechnen Experten jedoch mit einem Entwicklungszeitraum von mindestens zwölf bis 18 Monaten. Denn für Anwendungen an Gesunden sind die Hürden besonders hoch. "Dass ein Impfstoff für eine große Patientenpopulation oder auch nur eine große klinische Studie in den nächsten Monaten zur Verfügung steht, ist einfach unwahrscheinlich", sagt Peter Marks, Direktor der für Biopharmazeutika ­zuständigen Abteilung der US-Arzneimittelbehörde FDA. Dass einer oder mehrere der aktuellen Impfstoffkan­didaten letztlich Schutz bietet, ist auch nicht ­gesagt.

Daher sind Medikamentenentwickler die bessere Wahl für Anleger. Hier hat der US-Biotechkonzern Gilead die klare Poleposition. Der von der WHO favorisierte Wirkstoff Remdesivir stammt aus der Ebolaforschung. Dort ist er gescheitert, doch gibt es aus dieser Zeit genug Daten zur Sicherheit der Anwendung, sodass jetzt sofort insgesamt fünf Studien mit Corona-Patienten starten konnten. Die Ergebnisse sollen Ende April vorliegen. Wirkt Remdesivir, ist zu erwarten, dass sich in Zukunft wie bei Tamiflu viele Länder einen Vorrat davon anlegen. Alle Firmen wie Regeneron oder Vir, die jetzt erst mit der Entwicklung gestartet sind, haben dagegen keine Chance, 2020 noch zum Zug zu kommen.

Ebenfalls von der WHO priorisiert ist das Grippemittel Favipiravir von der japanischen Fujifilm, das nun ebenfalls in China untersucht wird. Für Frauen im gebärfähigen Alter kommt Favipiravir aber nicht infrage, da es Missbildungen bei Babys im Mutterleib auslösen kann.

Diagnostikmarkt zersplittert


Chinesische Behörden haben außerdem Roches Medikament Actemra zur Behandlung zugelassen. Es bekämpft aber keine Viren, sondern kann Überreaktionen des Immunsystems lindern. Roche profitiert auch vom Vertrieb der Diagnostiktests der nicht börsennotierten Berliner Firma TIB Molbiol, die auf Roche-Maschinen laufen. Ob sich der Absatz der preisgünstigen Verbrauchs­artikel im Ergebnis des Pharma- und Diagnostikriesen bemerkbar macht, bleibt jedoch abzuwarten. Grundsätzlich ist SARS-CoV-2 nämlich ziemlich einfach im Labor nachzuweisen, allein in China sind bereits zehn verschiedene Testkits erhältlich. TIB Molbiol ist allerdings für viele Forscher und Behörden die erste, weil bewährte und verlässliche Bezugsadresse.

Neben potenziellen Gewinnern sollten Anleger allerdings auch im Auge haben, dass der Branche im zweiten oder dritten Quartal womöglich Einbußen bevorstehen. Denn viele Grundstoffe der Medikamentenherstellung stammen aus China. Die Unterbrechung der Lieferketten könnte wie in anderen Sektoren mit Verzögerung zu Produktionsengpässen führen. Allein in Deutschland sind rund 150 Arzneimittel von ­chinesischen Vorprodukten abhängig. Besonders betroffen dürften Generikafirmen sein, biotechnologisch hergestellte Medikamente werden dagegen vorwiegend in den USA und Europa ­produziert.

Investor-Info

Gilead Sciences
Aussichtsreichster Kandidat


Die Amerikaner haben einen Lauf: Mit Remdesivir verfügen sie über den aussichtsreichsten Kandidaten gegen Covid-19. Auch die Übernahme des Krebsspezialisten Forty Seven gefällt Investoren, die schon seit Langem auf einen größeren Zukauf warten. Gleich­zeitig ist der Konzern mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 15 für 2021 nicht hoch bewertet. Gilead ist ein langfristig interessantes Investment, wobei Analysten nach dem jüngsten Kursanstieg vor Rücksetzern warnen.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 80,00 Euro
Stoppkurs: 54,00 Euro

Candriam Eq. Biotechnology
Biotech-Basisinvestment


Grundsätzlich ist der Healthcare-Sektor ein attraktiver Baustein für jedes Depot, weil die Branche weitgehend konjunkturunabhängig ist. Sehr wohl spürbar ist aber der Einfluss der Politik, speziell in den USA mit ihren sehr hohen Arzneimittelpreisen. Wer mit entsprechenden Schwankungen leben kann, setzt mit dem Biotech-Fonds von Candriam auf ein bewährtes, mehrfach ausgezeichnetes Produkt. Gilead ist aktuell eine der größten Positionen im Portfolio. Kaufen.

Impfstoffe + Schutzausrüstung
Viel Spekulationsmasse


Bei Schutzausrüstungsfirmen wie Lakeland (ISIN: US 511 795 106 2), Alpha Pro Tech (US 020 772 109 5) oder Paul Hartmann (DE 000 747 404 1) hat sich die Kursentwicklung von der fundamentalen Situation entkoppelt. Lakeland und Alpha Pro Tech sind Small Caps, deren Umsatz und Gewinn seit Jahren stagnieren. Sie können die Nachfrage nur mit großer Verzögerung bedienen.

Auch die Paul-Hartmann-Titel sind ein Spielball für Spekulanten. In Sachen Impfstoff­entwicklung sind viele kleine Firmen auf den PR-Zug aufgesprungen. Ernst genommen wird neben den großen Pharmakonzernen jedoch allenfalls Moderna (US 607 70K 107 9), weil deren Technologie potenziell schneller ist als andere Ansätze. Ob das Tempo für SARS-CoV-2 ausreicht, ist unklar.