Von null auf mehr als 170 Impfstoffkandidaten innerhalb von sechs Monaten, das hat es in der Pharmabranche noch nie gegeben. Erst recht nicht, wenn es sich um eine Krankheit handelt, die bis vor etwas mehr als einem halben Jahr unbekannt war. Nie zuvor wurden so schnell Diagnostikkapazitäten für Millionen von Tests bereitgestellt, nie zuvor wurden dem Sektor so schnell so großzügige Fördergelder zur Verfügung gestellt - allein die US-Regierungsagentur BARDA vergab in den vergangenen Wochen über zwei Milliarden Dollar.

"Die Branche erlebt gerade einen ungeheuren Imagewandel: vom Sündenbock für teure Gesundheitsversorgung hin zum Retter in der Not", meint Christian Lach, Portfoliomanager bei der Schweizer Vermögensverwaltung Bellevue Asset Management. Durchaus zu Recht: Das Arsenal an Mitteln, die in absehbarer Zeit gegen das Coronavirus zur Verfügung stehen werden, ist beeindruckend. Je nach Wirksamkeit des Produkts und Größe des Herstellers kann dabei bei manchen Firmen durchaus ein erhebliches Umsatzwachstum herausspringen. Dazu kommt: Junge Firmen, bei denen die Vermarktung eigener Produkte noch in weiter Ferne lag, durchlaufen durch die Corona-Pandemie einen Turbo-Entwicklungssprung, von dem sie auch bei einem Scheitern ihrer Covid-19- Projekte dauerhaft profitieren. Im Impfstoffsektor könnte sich zudem der seit vielen Jahren erwartete Wechsel zu schnelleren, weniger aufwendigen Produktionsmethoden vollziehen, was den Bereich attraktiver machen würde.

Drei Strategien versprechen Erfolg

Mit zunehmendem Wissen über den Erreger und den Verlauf der Krankheit kristallisiert sich heraus, dass drei Strategien Aussicht auf Erfolg haben. Die Entwicklung einer Impfung, die Immunität gegen das Virus vermittelt oder schwere Krankheitsverläufe verhindert. Ab dem Zeitpunkt der Infektion sind Medikamente gefragt, welche die Vermehrung des Virus im Körper blockieren. Kommt es zu einem schweren Krankheitsverlauf, tritt die überschießende Immunreaktion des Körpers in den Vordergrund. Sie unter Kontrolle zu bringen, rettet Leben, wie vor wenigen Tagen eine Studie mit dem seit Jahrzehnten bekannten Kortison-Medikament Dexamethason zeigte: Bei beatmeten Patienten konnte das Mittel die Todesrate um ein Drittel reduzieren.

Immunmodulierende Medikamente, die sonst bei Autoimmunerkrankungen oder Krebs zum Einsatz kommen, werden daher gerade intensiv an Covid-Patienten mit schwerem Verlauf getestet. Hier sind viele große Pharmakonzerne aktiv, etwa Roche mit Actemra, Eli Lilly mit Olumiant oder Sanofi mit Kevzara - bisher noch ohne klare Ergebnisse.

Bei der direkten Virenabwehr ist momentan nur Remdesivir prominent vertreten. Bisher verschenkt Gilead das Mittel. Momentan laufen Studien an, um die Wirkung in früheren Krankheitsphasen zu überprüfen. Die Erfahrung mit antiviralen Wirkstoffen besagt, dass der Effekt bei möglichst früher Gabe am größten ist. Bestätigt sich dies für Remdesivir, würde es viel breiter eingesetzt. "Gerade Gilead wird dafür aber keine aberwitzigen Preise aufrufen, nachdem die teuren Hepatitis-Medikamente der Firma vor einigen Jahren einen riesigen Medienrummel verursacht haben", sagt Christian Lach. "Kommerziell interessanter wird es, wenn Regierungen über mehrere Jahre Vorräte an Remdesivir anlegen wollen." Dann könnte ein niedriger einstelliger Milliardenumsatz an Gilead fließen, was jedoch bei Gesamteinnahmen von über 22 Milliarden Dollar auch keinen riesigen Wachstumstreiber darstellt.

Experten setzen große Hoffnungen auf Antikörper-Medikamente, die das Virus neutralisieren. Regeneron und Eli Lilly haben dazu klinische Studien begonnen, Astrazeneca und Vir stehen kurz davor. Ergebnisse sollten im vierten Quartal vorliegen. Gerade für Firmen wie die erst 2016 gegründete Vir aus San Francisco wirkt die Corona-Pandemie wie ein Turbo. Plötzlich stampfen sie klinische Entwicklungsteams aus dem Boden, bauen Produktionskapazitäten auf und stehen in engem Austausch mit Zulassungsbehörden. Davon werden die Unternehmen noch weit über Corona hinaus profitieren.

Ein Beispiel dafür aus Deutschland ist Immunic, die im Zuge ihres Corona-Entwicklungsprogramms rund 40 Millionen Dollar von Investoren einwerben konnte. Die an der Nasdaq notierte Aktie wurde gerade in den amerikanischen Russell 3000 Index aufgenommen. "Wir sind jetzt bis 2022 finanziert und erwarten im laufenden Jahr noch einen starken Newsflow auch über das Covid-Programm hinaus", sagt CEO Daniel Vitt. Immunics Molekül IMU-838 blockiert die Bereitstellung von RNA-Bausteinen, die das Coronavirus zur Vermehrung braucht, und aktiviert einen Teil des Immunsystems, der von SARS-CoV-2 stummgeschaltet wird. Immunic untersucht die Verbindung auch in Multipler Sklerose und entzündlichen Darmerkrankungen.

Für die französische Abivax könnte sich die Covid-Forschung als Rettungsanker erweisen. Die Firma untersucht ihren Produktkandidaten ABX464 als einen der ersten Wirkstoffe bei Risikopatienten direkt nach einem positiven Test. Das Überleben der Firma ist mit Finanzierungszusagen von 41 Millionen Euro bis Anfang 2021 gesichert und die vielversprechende Studie mit ABX464 gegen die Darmentzündung Colitis Ulcerosa kann zu Ende geführt werden.

In der Impfstoffentwicklung könnte ein Durchbruch gegen SARS-CoV-2 auch einen Quantensprung für Firmen wie Moderna und Biontech sowie den Bereich an sich bedeuten. "Viele der Impfstoffkandidaten basieren auf mRNA oder DNA. Diesem Ansatz stehen viele Experten noch skeptisch gegenüber", erklärt Christian Lach. "Aber wenn es funktioniert, ist diese Technologie auf einen Schlag etabliert."
 


INVESTOR-INFO

Potenzielle Corona-Gewinner

Viele Variablen

Ob und wie viel eine Firma mit Corona-Produkten verdient, hängt von vielen Variablen ab. Konkrete Einnahmen fließen bisher fast ausschließlich auf der Diagnostik-Ebene. Die wird jedoch überwiegend von großen Konzernen wie Roche oder Thermo Fisher dominiert, wo die zusätzlichen Umsätze sich im Gesamtergebnis kaum bemerkbar machen. Bei den Impfstoffen und Therapeutika gibt es zum einen ein großes Risiko, dass die Entwicklung scheitert. Zum anderen hängt im Erfolgsfall die Preisgestaltung von zahlreichen Faktoren ab. Nicht zuletzt herrscht ein enormer gesellschaftlicher Druck, dass ein Medikament oder eine Impfung erschwinglich sein muss.

Einzeltitel

Riskante Wetten

Einzelne Titel besitzen ein erhebliches Kurspotenzial im Fall, dass ihr Corona-Kandidat erfolgreich ist. Je kleiner und weniger diversifiziert die Firma, desto größer der Hebel und das Risiko. Abivax und Immunic fallen in diese Kategorie. Biontech und Moderna verfügen über wesentlich breitere Produktpipelines. Allerdings steht auch bei ihnen viel auf dem Spiel: Haben ihre Corona-Impfstoffe Erfolg, werden Investoren das gesamte Technologieportfolio höher bewerten.

Name ISIN Marktkapitalisierung *
Abivax FR0012333284 268,0
Biontech US09075V1026 10 703,0
Immunic US4525EP1011 195,0
Moderna US60770K1079 21 702,0


* in Mio. €; Quelle: Bloomberg; Stand: 24.06.20

BB Biotech

Langfristiges Investment

Der gesamte Sektor profitiert vom Engagement gegen das Coronavirus, wenn das Image der "bösen Pharmaindustrie" zumindest teilweise abgeschüttelt werden kann. Die Aktie der Beteiligungsgesellschaft BB Biotech aus dem Haus der Schweizer Bellevue Asset Management sticht seit Jahren unter den Brancheninvestments im Gesundheitssektor heraus. Das Managementteam setzt explizit nicht auf Corona-Gewinner, sondern auf Firmen, die langfristig überdurchschnittliches Wachstum versprechen. Moderna ist Teil des Portfolios.

Offensive Anleger setzen darauf, dass eigene Chips Apples Absatz zusätzlich beflügeln. Die Wachstumsperspektive treibt den Kurs.

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