Denn die Rettungsmaßnahmen verschieben derzeit die Machtverhältnisse dramatisch von Unternehmen zum Staat und von der Opposition zur Regierung. Das Problem: Angesichts der dynamischen Verbreitung des Virus wissen weder Virologen, Politiker, Ökonomen noch Sozialwissenschaftler, wann ein Ausstieg eigentlich möglich sein wird - und wie dieser wegen der weiter hohen Ansteckungsgefahr aussehen kann.

Aber allen schwant, dass die Auswirkungen einer heruntergefahrenen Gesellschaft und Wirtschaft schon jetzt riesig und kaum lange durchzuhalten sind. "Aus meinen Gesprächen mit Unternehmen habe ich den Eindruck, dass es spätestens gegen Ende des zweiten Quartals trotz großzügiger staatlicher Hilfen für viele Unternehmen eng werden könnte, wenn sich bis dahin nicht ein Ende des Shutdowns abzeichnet", sagt etwa Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.

Auch US-Präsident Donald Trump hat die Ausstiegs-Debatte befeuert. Obwohl die USA erst noch vor dem Höhepunkt der Corona-Epidemie stehen, warnte er bereits, dass man ein Land zerstören könne, wenn man den Wirtschaftskreislauf zu lange unterbreche. Also will Trump, dass die Beschränkungen in den USA nicht länger als bis zum 12. April gelten sollen. Er ist damit nicht allein: Der Schaden für die deutsche Volkswirtschaft werde "nachhaltig und über Jahrzehnte nicht kompensierbar sein", wenn nicht spätestens nach Ostern die Wirtschaft wieder schrittweise hochfahren werde, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet der "Bild".

Nur fehlt bisher ein Konzept dafür. Gesundheitsminister Spahn sagte am Mittwoch zwar, dass er bereits jetzt an Ausstiegsplänen bastele - wie diese aussehen, sagte er aber wohlweislich nicht. "Wir nutzen diese Zeit, um Konzepte nicht nur zu entwickeln, sondern auch für die Umsetzung vorzubereiten, wie wir Beschränkungen schrittweise wieder aufheben können", sagte der CDU-Politiker lediglich und schob in der "Zeit" nach, dass ein Gesamtkonzept bis Ostern stehe. Aber mit jeder Lockerung und jedem Schritt der Rückkehr zum öffentlichen Leben steigt das Risiko einer erneuten Ansteckungswelle. Spätestens dann brechen ethische Debatten los, was nun wichtiger sei: Der dauerhafte Verlust an Wohlstand oder der an Menschenleben. Und viele europäische Regierungen sind zudem noch dabei, die Einschränkungen des öffentlichen Lebens weiter zu verschärfen oder gleich bis Juni zu verlängern.

DRUCK AUF EINEN EXIT WÄCHST


Aber der Ruf nach Exit-Strategien wird lauter: Bundestagsabgeordnete berichteten am Mittwoch im Gespräch mit Reuters, dass bei ihnen bereits jetzt vermehrt Kritik von Bürgern einlaufe, denen die Abschottung zu weit gehe. Alle möglichen Gruppen dringen auf eine zeitliche Befristung einzelner Maßnahmen. Der Verband der Maschinenbauer (VDMA) etwa pocht darauf, dass klar sein müsse, wann der Staat aus möglichen Beteiligungen an Unternehmen wieder aussteigen wolle - bevor es diese überhaupt gegeben hat.

Und die Oppositionsparteien tragen zwar die Beschlüsse der Regierungskoalition mit. Aber die AfD etwa wird nicht für die Veränderung der Geschäftsordnung des Bundestages stimmen. Der Grund: Die anderen Parteien akzeptieren bis Ende September, dass für die Beschlussfähigkeit des Bundestages nur noch 25 Prozent der Parlamentarier anwesend sein müssen. Die AfD will dies nur bis Ende Mai akzeptieren.

Das Drängen auf einen Ausstiegsplan hat aber auch mit den Zweifeln an den finanziellen Fähigkeiten des Staates zu tun - trotz des Eigenlobs von Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier für das bisherige sparsame Haushalten. In der Bundestagsdebatte beschwor zwar auch FDP-Chef Christian Lindner den starken Staat, der nun retten müsse, was zu retten sei. Aber er warnte, dass der Staat irgendwann überfordert sei. CDU/CSU-Fraktions-Vize Andreas Jung mahnte, die neuen Rekordschulden müssten irgendwann zurückgezahlt werden. Immerhin gibt es hierfür einen Tilgungsplan, der ab 2023 die jährliche Rückzahlung von rund fünf Milliarden Euro über 20 Jahre vorsieht. Ob es aber bei den jetzt geplanten Schulden in Höhe von 156 Milliarden Euro bleibt oder nicht in einigen Wochen nachgelegt werden muss, weiß niemand.

Der neue Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, warnte jedenfalls in der "Bild" vor einer zu langen Zwangspause. "Länger als drei Monate sollten wir diesen Zustand der Wirtschaft nicht zumuten", sagte er. Auch ein Regierungsvertreter sagte zu Reuters, aus wirtschaftlicher Sicht wäre es wichtig, das öffentliche Leben nicht zu lange herunterzufahren. Für eine Lockerung müsse es dann jedoch den politischen Willen geben. Das gehe aber wohl nur, wenn in großem Umfang Tests für Corona-Infektionen zur Verfügung stünden. Nur dann könne man die gesundheitliche Gefahr einer Lockerung einschätzen. Aber wann diese Tests in ausreichender Anzahl zur Verfügung stünden, könne derzeit noch niemand sagen.

KOLLEKTIVER LAGERKOLLER DER BEVÖLKERUNG?


Dazu kommt die psychologische Belastung von Millionen Menschen, die auf ihren gewohnten Alltag verzichten und die meiste Zeit in teilweise engen Räumen verbringen müssen. Deshalb waren etwa Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Scholz trotz der Forderung von Hardlinern gegen eine echte Ausgangssperre. Sie glauben nicht, dass die Menschen dies lange durchstehen würden.

Der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel verweist in der "Rheinischen Post" bereits auf eine "signifikante Zunahme" von häuslicher Gewalt. Die Schließungen von Schulen und Universitäten bringe zudem die Generationen gegeneinander auf, weil vor allem alte Menschen an Corona sterben und sich viele junge Menschen offenbar nicht so stark betroffen fühlten. Und um welche Vergleiche es künftig auch gehen wird, machte AfD-Fraktionschef Alexander Gauland das bevorstehende Dilemma am Mittwoch im Bundestag deutlich. "Es ergibt keinen Sinn, die Anzahl der Corona-Toten auf Kosten möglicher Suizid-Opfer zu senken", sagte er.

Auch Gesundheitsminister Spahn deutete schwierige Entscheidungen an: Zu dem Gesamtkonzept werde auch gehören, die Älteren "möglicherweise über mehrere Monate zu bitten, ihre Kontakte stark einzuschränken und im Zweifel zuhause zu bleiben", sagte der CDU-Politiker der "Zeit".

rtr