Bereits im Mai hatte Konzernchef Markus Steilemann gesagt, dass die Energiekosten für Covestro 2022 auf 1,7 bis 2,0 Milliarden Euro steigen könnten, nach 1,2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Angesichts des nochmaligen Anstiegs des Gaspreises in Europa im Juli ist die Kalkulation mittlerweile Makulatur. So hatte die ungewisse Gas-Versorgungslage mit Blick auf russisches Erdgas den Preis erst zur Wochenmitte auf weit mehr als 200 Euro je Megawattstunde getrieben.

Die Covestro-Führung muss sich nun Fragen gefallen lassen, warum sie nicht von vornherein vorsichtiger kalkuliert hat - gerade weil der weltgrößte Chemiekonzern BASF erst vor zwei Tagen die Ziele für 2022 trotz der sich eintrübenden Konjunkturaussichten angehoben hatte.

Vor zwei Wochen noch ziemlich optimistisch


Finanzchef Thomas Toepfer hatte noch Mitte Juli in einem Interview in der "Börsen-Zeitung" noch für ein wenig Optimismus gesorgt und für das zweite Quartal ein operatives Ergebnis (Ebitda) am oberen Ende der im Mai in Aussicht gestellten Spanne von 430 bis 530 Millionen Euro avisiert und dabei auf eine überraschend schnelle Erholung Chinas von den Corona-Lockdowns sowie auf eine stabile Geschäftsentwicklung in Europa verwiesen.

Die Unternehmensführung erwartet für das Gesamtjahr nun noch ein operatives Ergebnis von 1,7 bis 2,2 Milliarden Euro. Bisher hatten 2,0 bis 2,5 Milliarden im Plan gestanden. Analysten hatten hier im Vorfeld mit gut 2,3 Milliarden Euro im Schnitt gerechnet.

Kleinerer Mittelzufluss


Und dabei schätzt das Unternehmen den Gewinn im dritten Quartal auf 300 bis 400 Millionen Euro. Dass damit im Schlussquartal schlimmstenfalls ein kleiner operativer Verlust gesehen wird, zeigt, wie viel Unsicherheit die Entwicklung der Energiepreise aktuell mit sich bringt. Auch die Prognose für den freien operativen Mitttelzufluss senkte Covestro und geht nun von Null bis 500 Millionen Euro aus, anstelle der zuvor avisierten 400 Millionen bis 900 Millionen EUR.

So ist ein möglicher Gas-Lieferstopp seitens Russlands ein großes Risiko für die Wirtschaft Europas, die in vielen Bereichen noch von dessen Gaslieferungen abhängig ist. Gerade die deutsche Chemieindustrie verarbeitet viel Erdgas weiter, nutzt einen großen Teil aber auch zur Erzeugung von Prozesswärme für den Betrieb der Anlagen. Eine Umstellung auf andere Energieträger ist in großem Umfang nur längerfristig möglich.

Einschätzungen zur Covestro-Aktie


Die Börsianer reagieren auf die Prognosesenkung des Spezialchemie-Konzerns mit Verkäufen. Im frühen Xetra-Handel verliert die Covestro-Aktie über fünf Prozent auf 31,50 Euro und steht damit am Ende des Tagesrankings im DAX. Im Verlauf des Montags kann sich der Kurs jedoch fangen und läuft wieder Richtung 33 Euro.

Mehrere Analysten reagierten bereits. So senkt JPMorgan das Kursziel für Covestro deutlich von 48 auf 40 Euro und belässt die Einstufung auf "Neutral". Nach der abermaligen Gewinnwarnung des Kunststoffkonzerns liege die Mitte der Zielspanne für das operative Ergebnis (Ebitda) nun 16 Prozent unter der Konsensschätzung und vier Prozent unter seiner jüngst gesenkten Prognose, schrieb Analyst Chetan Udeshi in einer aktuellen Studie. Dabei berücksichtige Covestro noch keine wesentlichen Produktionsstörungen durch die mögliche Rationierung von Gas in der EU.

Die SocGen senkt ihr Kursziel für Covestro von 45 auf 37 Euro. Das Analysehaus Jefferies hält nach den reduzierten Jahreszielen indes an ihrer Halten-Empfehlung mit einem Kursziel von 56 Euro fest. Auf Basis des verdüsterten Ausblicks des Kunststoff-Konzerns notiere die Aktie mit einem erheblichen Bewertungsabschlag zu den Wettbewerber-Papieren und den historischen Durchschnittswerten, schrieb Analyst Chris Counihan in einer Ersteinschätzung.

BÖRSE ONLINE hält die Dividendenperle derzeit nur auf einer Watchlist, nachdem der Covestro-Kurs unter die Stop-Loss-Marke bei 45 Euro gefallen war.

mmr mit dpa