Der Stuttgarter Autobauer Daimler setzt angesichts der Dieselkrise und weltweit drohender Fahrverbote für Autos mit Verbrenner-Motoren künftig voll auf Elektromobilität. "Bis 2022 werden wir das gesamte Produktportfolio von Mercedes-Benz elektrifizieren", kündigte Daimler-Chef Dieter Zetsche am Dienstag auf der Automesse IAA in Frankfurt. "Wir sind all-in", sagte auch der für das wichtige China-Geschäft zuständige Konzern-Vorstand Hubertus Troska am Dienstag gegenüber Journalisten.

Nach den Plänen wollen die Schwaben bis 2022 über 50 Mercedes-Benz-Modelle mit reinen E-Motoren oder Hybrid-Varianten, also einer Mischung aus Diesel- bzw. Benzin-Motor sowie Elektroantrieb, im Programm haben. Bislang hatte der Konzern bis 2022 rund zehn reine Elektromodelle in Aussicht gestellt.

Auch Volkswagen und BMW geben bei E-Autos Gas



Ähnlich wie Daimler weiten auch die anderen deutschen Wettbewerber ihre E-Auto-Anstrengungen massiv aus. So will Volkswagen bis 2025 mehr als 80 Modelle der Kernmarke VW sowie Audi, Seat, Skoda und Co. elektrifizieren, kündigte Konzern-Chef Matthias Müller in Frankfurt an. Daimlers Erzrivale BMW will sein E-Autoportfolio im selben Zeitraum von bislang neun auf 25 Modelle ebenfalls stark erweitern.

Mit der neu entdeckten Liebe zum Stromer reagieren die Dieselgate-gebeutelten Konzerne auf den jüngsten Vertrauensverlust bei potenziellen Käufern sowie drohende Diesel-Fahrverbote in vielen deutschen Großstädten. Für zusätzliche Nervosität in der Branche sorgen zudem Spekulationen über mögliche E-Autoquoten der EU-Kommission. Langfristig könnten zudem ganze Länder wie Großbritannien, Frankreich oder der weltweit wichtigste Automarkt China wegen drohender Verbote von Verbrennern komplett auszufallen.

Und als ob das nicht schon genug wäre, drängen komplett neue Unternehmen auf den Markt. Mit Argusaugen beobachtet die Branche etwa die Erfolge des E-Autopioniers Tesla. Das US-Unternehmen, das millionen-schwere Verluste schreibt, wird inzwischen höher bewertet als BMW, obwohl die Bayern Jahr für Jahr Milliardengewinne einfahren.

Teure Aufholjagd



Aber die Aufholjagd kostet erst mal ordentlich Geld. So will Volkswagen seine bislang geplanten Investitionen in neue Stromer bis zum Jahr 2030 auf über 20 Milliarden Euro mehr als verdoppeln. Bei Daimler stehen bislang zehn Milliarden Euro im Raum.

Weil E-Fahrzeuge wegen der bislang hohen Kosten für die Batterien aber noch vergleichsweise teuer sind und die Investitionen hoch, drohen den Konzernen nun erst mal sinkende Gewinne. Man müsse sich in den kommenden Jahren womöglich auf Margenrückgänge einstellen, hatte Daimler-Boss Dieter Zetsche auf einem Investorentag am Montag daher schon mal vorsorglich gewarnt. "Wir werden weiterhin zehn Prozent anstreben, aber wir müssen während des Übergangs auf einen Korridor von acht bis zehn Prozent vorbereitet sein", sagte auch Mercedes-Benz-Finanzchef Frank Lindenberg.

Um die möglichen Belastungen abzufedern, will Daimler nun ein neues Sparprogramm auflegen. Bis 2025 sollen so insgesamt über vier Milliarden Euro reingeholt werden. Neben den Fixkosten will der Konzern auch bei der Produktion besser werden. Zudem sollen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung langfristig wieder sinken. Künftig werde etwa die Entwicklungszeit für ein neues Modell dank besserer Softwaresimulation und anderer Ideen von bislang knapp fünf auf knapp vier Jahr sinken, sagte Entwicklungsvorstand Ola Källenius gegenüber BÖRSE ONLINE.

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Einschätzung der Redaktion



Daimler-Aktionäre haben derzeit nur wenig Grund zum Feiern. Zwar fährt der Konzern in seiner wichtigsten Sparte Mercedes-Benz von einem Rekordmonat zum nächsten. Doch im Vergleich zum Dax liegt die Aktie klar zurück. Während der Leitindex im laufenden knapp zehn Prozent Kursplus vorgelegt hat, hat das Papier mit dem Stern seit Jahresanfang rund acht Prozent verloren.

Immerhin: Die Anzeichen mehren sich, dass die Aktie das Schlimmste nun allmählich überstanden haben dürfte. Der Absatz in der Pkw-Sparte brummt. In China laufe das Geschäft für Mercedes-Benz laut Konzernvorstand Troska "weiterhin phänomenal".

Bei der Trucksparte, die wegen des Zusammenbruchs des brasilianischen Nutzfahrzeug-Marktes zuletzt das Sorgenkind im Daimler-Reich war, ist zwar bislang noch keine Erholung in Sicht. Doch mit einem Sparprogramm hält der neue Spartenchef Martin Daum schon ordentlich dagegen.

Mittelfristig muss Daimler wegen der E-Auto-Offensive zwar zusätzliche Milliarden locker machen. Aber wenn der erste Eindruck nicht täuscht, dürften die EQ-Modelle nahtlos an die Absatzerfolge der traditionellen Verbrenner anknüpfen.

Auch charttechnisch hat sich die Lage zuletzt entspannt. Die wichtige Unterstützung bei 60 Euro hat gehalten. Kurzfristig hat das Papier Luft bis 68 Euro. Dort verläuft der langfristige Abwärtstrend. Fällt der, ist der Weg für weitere Kursgewinne bis in die Zone bei 72 Euro frei.

Daimler ist mit einem KGV von 7,2 günstig bewertet, die Aussichten bleiben prima. Wir warten derzeit noch ab, ob die 55-Tage bei 66 Euro fällt, stufen das Papier aber schon mal von Verkaufen auf Halten hoch.

Empfehlung: Halten.
Kursziel: 72,00 Euro
Stopp: 60,00 Euro