Man kann sich schlechtere Startbedingungen vorstellen als jene, die die neue Mercedes-Vertriebschefin Britta Seeger (47) bei ihrem Dienstantritt Anfang des Jahres vorgefunden hat. Im Vorjahr - und damit noch unter der Ägide ihres Vorgängers Ola Källenius - haben die Stuttgarter BMW als weltweit größten Autohersteller in der Premium-Klasse überholt und den Vorsprung im laufenden Jahr gegenüber BMW und Audi locker verteidigt. Obendrein - und das ist noch wichtiger - hat Källenius seiner Nachfolgerin auch noch eine ansehnliche Produkt-Pipeline hinterlassen.

Wie gut die Schwaben inzwischen selbst für lukrative Nischen gerüstet sind, lässt sich gerade wieder in Genf besichtigen. Auf dem Autosalon feiert die Marke mit dem Stern die Weltpremiere ihres E-Klasse Cabrios. Dazu gibt’s - neben all den bekannten Modellen von der A- bis zur S-Klasse - das E-Klasse T-Modell als AMG-Version mit 612 PS sowie eine komplett aufgebohrte G-Klasse. Der auf 99 Einheiten limitierte Mercedes-Maybach G 650 Landaulet zielt mit Trennscheibe zum Fahrer, ausfahrbaren Massagesitzen, Getränkehaltern mit Thermofunktion und einem Preis ab 500.000 Euro vor allem auf Scheichs, die auch bei der Wüstensafari Wert auf standesgemäßes Ambiente legen.

Mercedes bläst zum nächsten Angriff auf Porsche



Die Aufmerksamkeit für den Zwölf-Zylinder-Luxus mit Stern wird auf dem Mercedes-Stand in Genf nur noch übertrumpft von einer Sportwagen-Studie - dem Mercedes AMG GT Concept. Der in der Fachpresse frenetisch bejubelte Viersitzer verfügt dank einer Kombination aus einem V8-Biturbo und einem Elektro-Motor über brachiale 816 PS Leistung und bringt den Sprint von Null auf 100 km/h in weniger als drei Sekunden hinter sich. 2018 soll die Megamöhre auf den Markt kommen und der Konkurrenz dann kräftig einheizen. Der AMG GT Concept sei ein "Raubtier", warb Daimlers neuer Entwicklungschef Ola Källenius schon mal vorsorglich für die Testosteron-getränkte AMG-Kreation in Genf, die Fahrleistungen machten "süchtig".

In Branchenkreisen wird der PS-Bolide als Mercedes’ nächster Frontal-Angriff auf Porsche gewertet. Schon mit dem 2014 vorgestellten zweisitzigen Sportwagen Mercedes-AMG GT nahm der Konzern den Nachbarn ins Visier. Nun erhöht die Mercedes-Tochter aus Affalterbach den Druck. Wenn nicht alles täuscht, dürfte der neue Anlauf deutlich erfolgreicher werden als die erste GT-Attacke, die auf den Porsche-Klassiker 911 zielte.

Die unaufhaltsame Spreizung des Produktportfolios bei Mercedes-Benz ist kein Einzelfall. Seit Jahren drängen Mercedes, BMW und Co. in immer kleinere Nischen vor. Möglich machen das gemeinsame Plattformen für unterschiedliche Baureihen. Neben den klassischen Modell-Varianten von Limousine über Kombi, Cabrio und Coupe bieten inzwischen immer mehr Hersteller zusätzliche Derivate an. So liefert Mercedes etwa die A-Klasse auch als so genannten Shooting Brake, also als Mischform aus Coupe und sportlichem Kombi mit Heckklappe. Bis 2020 wollen die Schwaben so insgesamt über 40 Modelle im Angebot haben. Derzeit sind es 34.

Aber die Aussichten sind einfach zu verlockend. Alleine die Mercedes-Tochter AMG hat ihren Absatz im vergangenen Jahr um gut 40 Prozent gesteigert. Weil die tiefer gelegten PS-Monster tuned by AMG locker mal doppelt so viel kosten wie deren Varianten von der Stange, gilt das Geschäft als überaus lukrativ.

Auf Seite 2: Starker Jahresstart und ein großes Fragezeichen





Starker Jahresstart



Aber auch um das Brot-und-Butter-Geschäft von Mercedes-Benz muss sich derzeit niemand Sorgen machen - mal abgesehen von der Konkurrenz. Zwar hat die margenträchtige S-Klasse im vergangenen Jahr eine kleine Absatz-Delle erlitten. Aber im laufenden Jahr soll eine Modellpflege für Rückenwind sorgen.

Der wichtigste Wachstumsträger im laufenden Jahr wird ohnehin die neue E-Klasse sein. Gut ein Jahr nach ihrer Einführung ist das Modell nun in allen wichtigen Märkten verfügbar. Die Zahlen zum Jahresauftakt lassen aufhorchen. Alleine im Februar ist der Absatz der wichtigsten Baureihe des Konzerns um rund 70 Prozent auf 23.600 Fahrzeuge nach oben geschnellt, teilte Mercedes am Montag mit. Die Kunden schätzten "die zahlreichen Innovationen sowie die Sicherheit und den Komfort durch verbesserte Assistenzsysteme", sagte Seeger zur Begründung für den starken Zuwachs.

Angetrieben von der E-Klasse sowie dem starken Geschäft mit SUVs haben die Schwaben den Absatz nach den ersten beiden Monaten insgesamt um weitere 16,8 Prozent auf rund 332.300 Fahrzeuge gesteigert und damit zugleich den 48. Rekordmonat in Folge eingefahren.

Regional räumte Mercedes zum Jahresauftakt vor allem in China ab. Dort zogen die Verkäufe bis Ende Februar um satte 40 Prozent an. Man habe einen "überaus positiven Start in China" gehabt, sagte Seeger am Rande des Genfer Autosalons gegenüber BÖRSE ONLINE. Die hohen Investitionen in lokale Produktion, Händlernetz und After Sales zahlten sich aus. Auch für die nächsten Monate bleibe man daher "weiter zuversichtlich".

Fragezeichen hinter Dieselgeschäft und US-Politik



Alles in Butter also bei Mercedes-Benz? Nicht ganz. Mit Skepsis verfolgen die Schwaben die vom neuen US-Präsidenten Donald Trump angekündigte Neuausrichtung der US-Handelspolitik sowie mögliche Strafzölle auf US-Autoimporte aus Mexiko. Öffentlich hält sich der Konzern mit Aussagen zwar sorgsam zurück - anders als etwa Siemens oder Wettbewerber BMW. Doch hinter den Kulissen sorgen Trumps Aussagen für Stirnrunzeln.

Zugleich wachsen auch die Irritationen über die Politik in Deutschland. Mit Sorge verfolgt der Konzern dabei vor allem die Diskussion um mögliche Dieselfahrverbote in deutschen Großstädten. Ausgerechnet in Stuttgart - immerhin eines der wichtigsten Zentren der deutschen Automobil-Industrie - sollen ab 2018 bei Feinstaubalarm nur noch Dieselautos fahren dürfen, die die Abgasnorm Euro 6 erfüllen.

Die Diskussion könnte die durch den VW-Abgasskandal ohnehin nachlassende Nachfrage nach Dieselfahrzeugen weiter belasten. Nach einer Übersicht des Kraftfahrbundesamtes gab der Anteil der Dieselfahrzeuge an den neu zugelassenen Pkw alleine im Februar um 3,8 Prozentpunkte auf 43,3 Prozent nach. Angesichts der Entwicklung schrillen vielerorts die Alarmglocken. Die Branche steuere womöglich auf des "Ende des Diesel-Pkw" zu, warnte unlängst Bosch-Aufsichtsratschef Franz Fehrenbach.

In Untertürkheim sind sie über die Warnung aus der Bosch-Zentrale im benachbarten Gerlingen nicht ganz so entzückt. Bislang gebe es bei Mercedes-Benz noch keine Rückgänge beim Diesel-Absatz zu verzeichnen, sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche am Rande des Autosalons in Genf gegenüber Journalisten. Aber Illusionen macht sich auch bei Mercedes-Benz niemand. Sollte es tatsächlich zu Fahr-Einschränkungen kommen, räumte Mercedes-Vertriebschefin Seeger in Genf ein, würde auch "uns das schmerzen". Und die glänzenden Startbedingungen erhielten dann einen dicken Kratzer.

Auf Seite 3: Einschätzung der Redaktion







Einschätzung der Redaktion



Die Daimler-Aktie hat Anfang Februar kurzzeitig einen Rückschlag erlitten. Auslöser war der verhaltene Ausblick des Konzerns auf das laufende Jahr. Vor allem im Nutzfahrzeuggeschäft hat sich die Lage deutlich eingetrübt. Neben dem anhaltend schwierigen Markt in Brasilien und dem Abschwung in Indonesien gab es zuletzt auch noch vom wichtigen US-Markt erste Warnzeichen. Die Schwäche hat die operative Marge im Nutzfahrzeug-Geschäft belastet. Mit einer Ausweitung des Sparprogramms will Daimler Trucks nun dagegenhalten.

Dafür ist die Lage bei Mercedes-Benz derzeit erfreulich. Die Modelloffensive des Konzerns zahlt sich aus. Im Vorjahr hat Mercedes-Benz dem Erzrivalen BMW die Krone im Automobil-Segment endlich wieder abgejagt. Und, was noch wichtiger: Mit einer Marge von 9,1 Prozent war Mercedes-Benz 2016 auch profitabler als die Bayern, die im Vorjahr um 0,3 Prozentpunkte auf 8,9 Prozent absackten.

Neben den SUVs für den Großstadt-Dschungel profitiert Mercedes-Benz dabei von der starken Nachfrage nach der neuen E-Klasse. Das dürfte die Profitabilität im Auto-Geschäft weiter treiben. Zwar wird der Wettbewerb in der Oberklasse mit dem Marktstart des neuen Fünfer von BMW im laufenden Jahr spürbar härter. Aber die Schwaben sind angesichts ihrer breiten Modell- und Motoren-Palette in der E-Klasse inklusive Coupe- und Cabrio-Version bestens gerüstet. Und von Audi droht zumindest im laufenden Jahr ohnehin allenfalls überschaubare Gefahr. Dafür sind die Ingolstädter noch zu sehr mit den Aufräumarbeiten nach dem Dieselskandal beschäftigt.

Auch mittelfristig ist Daimlers die Pkw-Sparte gut gerüstet. Bei den zentralen Zukunftsthemen Elektromobilität, Vernetzung oder Car-Sharing nehmen die Schwaben inzwischen vielfach eine Vorreiterrolle ein.

Dazu verfügt der Konzern über genügend Geld, um die fälligen milliarden-schweren Investitionen in alternative Antriebe zu stemmen. Viele andere Autobauer wie Opel oder Fiat tun sich hier erheblich schwerer.

Daimler ist top-finanziert. Alleine 2016 lagen die freien Mittelzuflüsse trotz Rekord-hoher Investitionen bei 3,87 (Vj. 3,96) Milliarden Euro. Für 2016 winkt Aktionären erneut eine Dividende von 3,25 Euro.

Im Kerngeschäft ist der Konzern bestens unterwegs. Auch charttechnisch ist alles im grünen Bereich. Der seit Juli 2016 bestehende kurzfristige Aufwärtstrend ist intakt. Den jüngsten, seit dem Rekordhoch von 96,06 Euro im März 2015 bestehenden Abwärtstrend hat die Aktie unlängst genommen. Kurzfristig sind damit Kurse von 73 Euro drin. Fällt auch diese Marke, ist der Weg bis in die Region bei 80 Euro frei.

Kaufen.

Stopp: 66 Euro

Ziel: 80 Euro