Geschlossene Restaurants, Ausgangsbeschränkungen und der Trend zum Home-Office bescherten Delivery Hero im abgelaufenen Geschäftsjahr einen Rekordumsatz. Der Lieferdienst konnte dem Umsatz im Vergleich zum Vorjahr auf 2,8 Milliarden Euro nahezu verdoppeln, wie der in Berlin ansässige Konzern am Mittwoch auf Basis vorläufiger Zahlen mitteilte. Der Wert liegt am oberen Ende der Unternehmensprognose.

Delivery Hero, die im vergangenen August den insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard im deutschen Leitindex Dax ersetzten, verzeichneten einen regelrechten Bestellboom. Die Zahl der Bestellungen legte um 96 Prozent auf 1,3 Milliarden zu, wobei das Wachstum des Bruttowarenwertes etwas schwächer ausfiel.

"Wir hatten ein starkes viertes Quartal in einem Jahr, das in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich war", sagte Konzernchef Niklas Östberg in einer Mitteilung. Mit Blick auf das Jahr 2021 zeigte er sich zuversichtlich. Eine konkrete Prognose für das laufende Geschäftsjahr ließ Östberg aber aus. Diese wolle der Konzern erst nach Abschluss der Übernahme des südkoreanischen Konkurrenten Woowa geben - spätestens Ende April.

Genaue Verluste für 2020 werden im April veröffentlicht


Die komplette Bilanz sowie die Gewinn- und Verlustrechnung will Delivery Hero also am 28. April veröffentlichen. Dann werden auch die genauen Verluste bekannt. Denn das Dax-Mitglied ohne Deutschland-Geschäft schreibt weiterhin rote Zahlen. Vom Wirtschaftsdienst Bloomberg befragte Analysten rechnen unterm Strich mit einem Verlust von 863 Millionen Euro.

2019 hatte das Unternehmen einen Überschuss erzielt - dies war allerdings nur auf einen Sondererlös aus dem Verkauf des Deutschland-Geschäfts (Lieferando, Pizza.de, Foodora) an den Konkurrenten JustEatTakeaway.com zurückzuführen. Analysten rechnen auch im laufenden und kommenden Jahr mit einem Jahresverlust, wobei für 2022 zumindest ein operativer Gewinn erwartet wird.

Bisher ist bekannt, dass sich die Marge bezogen auf das bereinigte operative Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) voraussichtlich bei minus 16 Prozent befindet. Der Wert liegt in der Mitte der eigenen Prognosespanne. Inklusive aller Investitionen liegt dieser Wert bei minus 20 Prozent. 2019 hatte dieser Wert noch bei knapp minus 35 Prozent gelegen.

Viel Geld für Expansionen und die Woowa-Übernahme


Delivery Hero steckt weiterhin viel Geld in die Expansion des Geschäfts. So will der Dax-Konzern den Ausbau seiner sogenannten Dmarts vorantreiben. Unter Dmarts verstehen die Berliner eigene Lagerhäuser, von denen aus Waren - nicht nur Essen, sondern auch alltägliche Gegenstände - innerhalb kürzester Zeit an Kunden geliefert werden. Ende Dezember betrieb das in mehr als 40 Ländern aktive Unternehmen 491 Dmarts.

Im dritten Quartal des abgelaufenen Geschäftsjahres hat Delivery Hero in Lateinamerika das Geschäft des spanischen Lieferdienstes Glovo übernommen. Zuletzt war der Konzern mit verschiedenen Marken in 49 Ländern weltweit vertreten.

Und dann wäre da noch die Übernahme der südkoreanischen Lieferservice Woowa Brothers. Kurz vor dem Jahreswechsel genehmigte die südkoreanische Kartellbehörde KFTC den Zusammenschluss der beiden Konzerne - allerdings unter Auflagen. Die KFTC verlangt von Delivery Hero unter anderem den Verkauf der Südkorea-Tochter Yogiyo. "Es ist offensichtlich, dass das nicht die bestmögliche Lösung ist", sagte Delivery Hero-Finanzchef Emmanuel Thomassin kürzlich. So sei der Verkauf von Yoyigo schmerzhaft, ergebe aber Sinn. Delivery Hero wolle sich dem beugen.

Die jüngste Kursrally der Aktie hat aber auch Einfluss auf den Zukauf. Denn Delivery Hero will die Übernahme unter anderem mit 40 Millionen eigenen Aktien stemmen. Doch seit der Ankündigung im Dezember 2019 ist der Kurs um rund 170 Prozent gestiegen. Bedeutet: Der Wert des Aktienanteils am Kaufpreis ist um 3,3 Milliarden Euro auf rund 5,2 Milliarden Euro gewachsen. Der Firmenwert von Woowa, der damals auf 3,6 Milliarden Euro beziffert wurde, ist also mittlerweile deutlich überholt. Die Berliner müssen deshalb wahrscheinlich den Firmenwert um 1,4 Milliarden Euro nach unten korrigieren. Dennoch hält Delivery Hero an dem Woowa-Deal fest. Er soll bis Ende März vollzogen werden.

Woowa soll übrigens noch lange nicht die letzte Übernahme gewesen sein. Erst Anfang des Jahres hatte sich der Berliner Konzern mit einer Kapitalerhöhung brutto rund 1,2 Milliarden Euro an frischem Geld besorgt. Das Management will den Erlös unter anderem für "attraktive Investitionsmöglichkeiten" einsetzen. Weitere Expansionen oder Übernahmen in neuen Ländern werden also wahrscheinlicher.

Unsere Einschätzung zur Delivery Hero-Aktie


Im vergangenen Jahr hat die Delivery-Hero eine ordentliche Rally aufs Parkett gelegt. Seit Dezember 2019 stieg der Kurs um mehr als 170 Prozent. Auch nach Bekanntgabe der vorläufigen Zahlen legte die Aktie leicht um 0,5 Prozent auf 133,35 Euro zu - damit ist das Papier nur noch knapp entfernt vom Allzeithoch bei 137,10 Euro am 22. Januar 2021.

Der Corona-Crash im Februar und März, der bei manchen anderen Unternehmen für tiefe Einschnitte im Aktienkurs sorgte, fiel bei Delivery Hero relativ schwach aus und war auch nur von kurzer Dauer. Seit April befindet sich die Aktie im Höhenflug und schaffte so im Sommer vergangenen Jahres den Aufstieg in den Dax. Dieser wurde von einigen Experten unter anderem wegen des anhaltenden operativen Verlusts stark kritisiert.

So beispielsweise auch die Einschätzung der Vermögensverwaltung Schön & Co, die schon vor Wirecard und Grenke gewarnt hatte. Delivery Hero sei ein Traum eines jeden Leeverkäufers. "Hohe Verluste, völlige Abhängigkeit vom Kapitalmarkt hinsichtlich der Refinanzierung - auch des operativen Geschäfts, intransparente Strukturen und unterentwickelte Absatzmärkte mit nicht nachvollziehbaren Vergütungs- und Abrechnungsstrukturen", fasst Geschäftsführer Markus Schön die Situation zusammen. Den fundamentalen Aktienwert schätzt der Vermögensverwalter deshalb auf weniger als zehn Euro.

Die seit Oktober von der Nachrichtenagentur dpa befragten Analysten sind sich indes weitestgehend einig: Mit neun Stimmen empfiehlt die Mehrheit zum Kauf von Delivery Hero-Aktien. Nur einer rät zum Halten. Bis zum durchschnittlichen Kursziel von 139 Euro hat die Aktie noch ein wenig vor sich.

Wir bleiben weiterhin bei unserer Verkaufen-Einschätzung vor allem wegen des Korea-Deals, bei dem sich Delivery Hero von seinen koreanischen Aktivitäten trennen muss. Bis zum Verkauf wird der Lieferdienst verschärfter Aufsicht unterliegen. Zudem agiert Delivery Hero nicht mehr in Deutschland.




Mit Material von dpa-AFX