Der Druck auf EZB-Präsident Mario Draghi könnte kaum höher sein. Die Preise in der Euro-Zone steigen kaum noch, die Krisen in der Ukraine und im Nahen Osten verderben immer mehr Unternehmen die Stimmung, und zahlreiche Banken vergeben wegen des laufenden Stresstests der Branche kaum noch Kredite. Die Lage sieht düster aus wie lange nicht. Und wie vor zwei Jahren, als die Währungsunion auf den Höhepunkt der Schuldenkrise drohte auseinanderzubrechen, schielen viele abermals auf die EZB. Sie soll das Drama per Notenpresse beenden oder wenigsten kaschieren und Schlimmeres verhindern. Doch obwohl ein Griff Draghis zu den ganz schweren Geschützen der Geldpolitik immer wahrscheinlicher wird, dürfte er kommende Woche noch zögern.

Am kommenden Donnerstag entscheiden die Notenbanker bei ihrer ersten Zusammenkunft nach der Sommerpause im Frankfurter Euro-Tower das nächste Mal über ihren künftigen Kurs. Eine weitere Zinssenkung ist unwahrscheinlich, schließlich liegt der Leitzins schon seit dem Frühsommer nur noch bei 0,15 Prozent und damit so niedrig wie noch nie. Doch wegen der Zuspitzung der Lage glauben immer mehr Experten daran, dass Draghi nachlegen wird. Für die Commerzbank liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die EZB in den kommenden zwölf Monaten die Geldschleusen endgültig bis zum Anschlag öffnet, inzwischen bei 60 Prozent. Draghi würde in einem solchen Fall den Banken in großem Stil Staatsanleihen abkaufen und darauf setzen, dass das frisch gedruckte Geld den Weg in die Wirtschaft findet und die Preise und Konjunktur anziehen.

Auf Seite 2: "MIT ALLEN MITTELN"

"MIT ALLEN MITTELN"

Draghi höchstselbst hatte zuletzt dafür gesorgt, dass Spekulationen auf einen nächsten spektakulären Schritt der Notenbanker die Investoren an den Finanzmärkten euphorisierten. Die EZB werde "mit allen verfügbaren Mitteln" versuchen, eine gefährliche Deflationsspirale zu verhindern. Und damit nicht genug. Erstmals gab der Italiener offen zu, dass das Vertrauen in die Fähigkeit der EZB, den Euro langfristig stabil zu halten, Risse bekommen könnte. Um dieses Vertrauen zu messen, nutzen die Frankfurter Geldtechniker einen Indikator, der aus Zinsgeschäften ableitet, wie die Inflationserwartung für einen Zeitraum von fünf Jahren aussehen, der in fünf Jahren beginnt . Die Diagnose ist desaströs.

Dass die Inflationserwartungen sich seit Wochen im freien Fall befinden, muss die Währungshüter alarmieren. Rutschen sie weiter ab, droht ein wahrhaftes Horrorszenario: eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale fallender Preise und nachlassender Investitionen. Im nächsten Schritt Richtung Abgrund sinken dann die Löhne und der Konsum bricht ein. Soweit das Lehrbuch. Wie die EZB die Zukunft sieht, wird kommende Woche klar werden. Dann veröffentlicht Draghi neue Konjunkturprognosen. Volkswirte gehen davon aus, dass diese um einiges schlechter ausfallen werden als im Juni. Damals war die EZB noch von einer moderaten Belebung ausgegangen.

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"ZERBRÖSELNDES KONJUNKTURBILD"

Doch seitdem ist einiges passiert, und die dunklen Wolken scheinen immer bedrohlicher. Aber ist das genug, damit Draghi & Co. die Notenpresse anwerfen? Für Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer ist die Sache klar. "Das zerbröselnde Konjunkturbild wird die EZB weichkochen." Wann aber Draghi die Währungsunion mit Geld flutet, ist für die Experten weniger klar. So glaubt immer noch die Mehrheit der Teilnehmer einer Reuters-Umfrage, dass die Zentralbanker vor milliardenschweren Wertpapierkäufen erst die Wirkung ihrer jüngst beschlossenen neuen Geldspritzen abwartet. Sie sollen Mitte September und im Dezember den Banken gesetzt werden. Ein Kaufprogramm für Kreditverbriefungen liegt schon in der Schublade - wäre aber wohl nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weil dieser Markt vergleichweise klein ist.

Und so wird der Chor jener immer lauter, die Draghis vielleicht letztes Ass im Ärmel sehen wollen: QE, Quantitative Easing, also Staatsanleihenkäufe in großem Stil. Eine aus Sicht der Bundesbank riskante Medizin, die die US-Notenbank Fed oder die Zentralbanken in Großbritannien und Japan ihren darbenden Volkswirtschaften schon seit Jahren verabreichen. Der Erfolg ist überschaubar. Nicht umsonst, sieht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die EZB inzwischen an den Grenzen ihrer Möglichkeiten angekommen: "Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass die EZB mit ihrer Geldpolitik die Instrumente hat, um eine Deflation zu bekämpfen." Draghi dürfte am Donnerstag wenigstens versuchen, Finanzmärkte und Öffentlichkeit vom Gegenteil zu überzeugen. In Frankreich und seinem Heimatland Italien sind die Erwartungen besonders hoch.

Reuters