Wenn Allianz-Chef Oliver Bäte ein Interview gibt, horcht die Versicherungsbranche auf. Denn die Aussagen des Marktführers haben unter Fachleuten Gewicht. Doch was Bäte kürzlich dem "Handelsblatt" sagte, ist auch für Laien von Interesse. Er wurde dort auf die fatalen Folgen der niedrigen Zinsen für die Lebensversicherer angesprochen. Seine Antwort: "Ich rechne gerade angesichts der massiven Verwerfungen damit, dass ein paar Wettbewerber, die nicht gut gewirtschaftet haben, ausscheiden."

Nun fragte die Zeitung nicht nach, in welchem Zeitraum dies geschehen könnte und welche Unternehmen Bäte im Blick hat. Auch von der Pressestelle der Allianz ist auf Anfrage von €uro keine Konkretisierung erhältlich. Besteht also Anlass zur aktuellen Sorge bei möglicherweise allen Kunden, die nicht bei der Allianz ihre Kapitallebens- oder private Rentenversicherung haben?

Nein, meint Michael Klüttgens, Leiter der Versicherungsberatung für Nord-, Mittel- und Osteuropa beim Spezialisten Willis Towers Watson: "Die Branche ist robust unterwegs." Die Unternehmen könnten sämtliche Verpflichtungen erfüllen. Und Lars Heermann, Abteilungsleiter bei der Ratingagentur Assekurata, sagt: "Die grundsätzliche Lage ist im Moment nicht viel anders als in den vergangenen Jahren. Die Branche ist bereits seit Langem im Umbruch."

Das stimmt, wenn man die nackten Zahlen betrachtet. Im Jahr 2000 waren rund 100 Anbieter am Markt, derzeit sind es nur noch gut 80. Allerdings hat sich zuletzt die Art des Umbruchs geändert. Früher gab es fast ausschließlich Lebensversicherungen mit gesetzlichem Garantiezins. Wenn ein Akteur diese standardisierten Produkte nicht mehr anbieten konnte oder wollte, wurde er von einem Konkurrenten geschluckt, der die Geschäfte weiterführte.

Heutzutage verzichten viele Anbieter komplett auf dieses Geschäft mit dem sogenannten Höchstrechnungszins, der zwischendurch bis zu vier Prozent pro Jahr betragen hatte und derzeit bei 0,9 Prozent liegt. Stattdessen setzen sie auf neuartige Policen, die weniger Verpflichtungen für sie mit sich bringen.

Hintergrund: Bislang mussten die Firmen die Kundengelder hauptsächlich in schlecht verzinste Anleihen stecken, um die jährlichen Garantien darzustellen. Durch die neuartigen Policen haben sie mehr Freiheiten.

Die alten Vertragsbestände werden oft intern stillgelegt (prominente Beispiele sind Ergo, HDI und Zurich Deutscher Herold). Oder die Pakete werden gleich komplett verkauft. Zuletzt machte Generali mit einem solchen Deal Schlagzeilen. Sämtliche Verträge gingen an den Abwickler Proxalto. Im Gegenzug übernahm Generali alle Policen der AachenMünchener, die weniger Garantiepolicen im Portfolio hatte.

Insbesondere solch ein sogenannter externer Run-off wie bei Generali weckt Befürchtungen bei den Kunden. Zu Recht? "Rein formal bleibt alles gleich", sagt Thomas Hartung, Professor für Versicherungswirtschaft an der Bundeswehr- Uni München. "Der Vertrag selbst kann sich nicht ändern, ebenso wenig der jährliche Garantiezins."

Was ein Komplettverkauf bedeutet.


Werden die Kunden möglicherweise dennoch finanziell schlechtergestellt? "Das ist vorab schwer zu beurteilen", sagt Hartung. Womöglich erwarte ein externer Abwickler höhere Gewinne als der angestammte Versicherer. "Auch werden im Zuge einer Abwicklung die Bestände immer kleiner und die Kosten pro Vertrag höher." Andererseits arbeite der neue Besitzer eventuell kostengünstiger, wenn er die Vertragsverwaltung stärker digitalisiere. "Auch fallen die Vertriebskosten weg, die ein Anbieter mit Neugeschäft zusätzlich erwirtschaften muss." Zudem gebe es strenge gesetzliche Regeln, wie viel von den Überschüssen beim Kunden ankommen muss.

In einem sind sich die Experten einig: Je besser es einem Lebensversicherer geht, desto geringer ist die Chance für Stilllegung. Wie es um die einzelnen Anbieter steht, hat die Analysegesellschaft für Anlage- & Versicherungsprodukte im Auftrag von €uro untersucht - mittlerweile zum zehnten Mal in Folge. Ergebnis: Die Lage der Branche hat sich im Vergleich zur letzten Studie gebessert. Statt ein Unternehmen wie im Vorjahr haben nun fünf die Note "sehr gut" bekommen. Am anderen Ende der Tabelle stehen zehn statt 27 Anbieter, deren Stabilität lediglich "befriedigend" ist. Die Zahl der "guten" Anbieter ist von 36 auf 45 gestiegen. "Ausreichend", "mangelhaft" und "ungenügend" bekam kein Unternehmen - das ist für Kunden sehr beruhigend.

Manche Gesellschaften nehmen - wie bereits beschrieben - überhaupt kein Neugeschäft mehr an und sind daher in der Tabelle separat ausgewiesen. Doch auch Kunden solcher Versicherer müssen sich kaum ernsthafte Sorgen machen. Die Untersuchung ergab bei ihnen sechsmal "gut", zweimal "befriedigend" und einmal "ausreichend". Das bedeutet: Es braucht vermutlich niemand Angst vor einer Pleite zu haben und seine Lebensversicherung deshalb zu kündigen (Alternativen zu einer Kündigung finden Sie unten). Konkret wurde bei unserem Test die Finanzkraft des jeweiligen Versicherers mit 30 Prozent gewichtet. In die Bewertung "Kundenzufriedenheit" gingen Frühstornoquoten und Beschwerden mit insgesamt zehn Prozent ein. Die Bestandssicherheit - hierzu zählt unter anderem das Wachstum der Versicherungsbestände - macht ebenfalls 30 Prozent des Gesamtergebnisses aus. Hinzu kam die Performance (Zahlen zu Verzinsung und Kosten), die gleichfalls mit 30 Prozent gewichtet wurde.

Wichtig zu wissen: Die Daten geben nur eingeschränkt die neuesten Entwicklungen wieder. Sie stammen aus den Geschäftsberichten der jeweiligen Lebensversicherungsgesellschaften, die wiederum auf den Bilanzen von 2019 beruhen; die kompletten 2020er-Bilanzen liegen erst im Herbst 2021 vor. Die sogenannten Bestandsgarantiewerte stammen aus demselben Grund aus 2019. Quelle ist hier Partner in Life, ein Unternehmen, das Policen von Privatleuten aufkauft. Hingegen sind die ebenfalls verwendeten Überschussbeteiligungen bereits jetzt für 2021 klar und wurden in die Bewertung einbezogen.

Wie ist 2020 gelaufen? "Die Lage hat sich verschlechtert", sagt Assekurata-Vertreter Heermann und verweist auf das "katastrophal niedrige" Zinsniveau. In der Tat ist die Rendite der 30 Jahre laufenden Bundesanleihe binnen Jahresfrist von plus 0,33 auf minus 0,15 Prozent gefallen. Die Unternehmen bräuchten gewisse Zeit, um durch neue Produkte die Festverzinslichen im Portfolio zu reduzieren. Heermann: "Die spannende Frage ist: Was ist schneller - der Zinsverfall oder die Änderungen des Produktmix?"

Man darf auf die Untersuchung des nächsten Jahres gespannt sein.

Klassische Policen: Optionen für Versicherte


Dabeibleiben: Für Versicherungsanlagen gelten weiterhin großzügige Steuervorteile, die vom Vertragsbeginn abhängen: Bei Policen, die bis Ende 2004 geschlossen wurden, sind die Erträge steuerfrei. Für alle seitdem abgeschlossenen Policen bleibt die Hälfte aller erzielten Erträge steuerfrei, wenn der Vertrag frühestens nach zwölf Jahren endet und der Policeninhaber mindestens 60 Jahre (bei ab 2012 geschlossenen Kontrakten 62 Jahre) alt ist. Die andere Hälfte unterliegt dem individuellen Steuersatz, der im Rentenalter meist niedriger als in der Zeit der Berufstätigkeit ausfällt. Wer statt der Einmalzahlung eine lebenslange Rente will, zahlt den persönlichen Steuersatz auf den Ertragsanteil.

Kündigen: Hier gilt die Daumenregel: Je kürzer der bisherige Vertrag bislang gelaufen ist, desto mehr kann es sich lohnen, den Kontrakt zu kündigen. Wer ganz sichergehen will, sollte einen unabhängigen Versicherungsberater auf die Police schauen lassen (Liste unter bvvb.de). Das kostet je Stunde rund 150 Euro Honorar plus Mehrwertsteuer.

Beitragsfrei stellen: Sie zahlen keine Beiträge mehr, der Vertrag bleibt jedoch bestehen. Was angespart wurde, wird weiter verzinst. Vorsicht: Eine an den Vertrag gekoppelte Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung entfällt in diesem Fall.

Teilweise kündigen: Sie reduzieren Ihren Beitrag und damit auch den Versicherungsschutz. Der Vertrag wird aber auf einem deutlich höheren Niveau als bei einer kompletten Freistellung weitergeführt.

Billiger machen: Zahlen Sie jährlich statt monatlich. Sie sparen so den sogenannten Ratenzuschlag. Kündigen Sie eine eventuelle Unfalltod-Zusatzpolice, das führt bei gleichem Beitrag zu höherer Auszahlung im Erlebensfall. Stoppen Sie die Dynamisierung, denn bei jedem Schritt nach oben sind zusätzliche Abschlusskosten fällig.

Beleihen: Bei sogenannten Policendarlehen dient die Lebensversicherung als Sicherheit für einen Kredit. Die maximal mögliche Kreditsumme errechnet sich aus dem sogenannten Rückkaufswert, also jenem Betrag, zu dem der Versicherer die Police zurücknehmen muss, wenn der Kunde die Lebensversicherung kündigt.

Am Zweitmarkt verkaufen: Einige unabhängige Finanzdienstleister (beispielsweise der im Artikel angesprochene Partner in Life) übernehmen Policen zu einem höheren Preis, als Versicherer dafür geben. Ein Aufschlag von drei bis acht Prozent auf den sogenannten Rückkaufswert ist realistisch. Im Internet finden Sie unter bvzl.de Kriterien, um seriöse Anbieter zu erkennen.

So lesen Sie die Tabellen


Die Untersuchung

Die Analysegesellschaft für Anlage- & Versicherungsprodukte hat im Auftrag von €uro 67 Anbieter betrachtet, die über 95 Prozent des Markts abdecken. Wichtigste Grundlage sind Kennzahlen für 2019, die die Versicherer der Finanzaufsicht Bafin übermittelten. Hinzu kommen die Überschussbeteiligungen für 2021. Die Bestandsgarantiewerte, die in die Tabelle "Bestandssicherheit" einfließen, stammen vom Unternehmen Partner in Life. Versicherer mit einem Deckungskapital von weniger als 500 Millionen Euro fielen aus der Untersuchung heraus. Grund: Sie sind so klein, dass ihnen externe Schocks stark zusetzen können und eine positive Bewertung dann in die Irre geführt hätte. Die Kennzahlen lassen sich den Unterkategorien "Finanzkraft", "Performance", "Kundenzufriedenheit" und "Bestandssicherheit" zuordnen. Es gilt: Maximal waren in jeder Unterkategorie 100 Punkte möglich. Bis 83,33 Punkte gab es "sehr gut"; bis 66,67 Punkte "gut"; bis 50,00 Punkte "befriedigend"; bis 33,33 Punkte "ausreichend"; bis 16,67 Punkte "mangelhaft".


Das Ergebnis

Die Gesamttabelle ist unterteilt in Gesellschaften mit und ohne Neugeschäft bei klassischen Policen mit Garantiezins. Die Unterteilung ist nötig, da Gesellschaften ohne Neugeschäft beispielsweise in der Kategorie "Performance" keine Abschlusskosten und bei "Kundenzufriedenheit" keine Frühstornoquote aufweisen und deshalb nur eingeschränkt mit den am Markt aktiven Anbietern klassischer Policen vergleichbar sind.


Erläuterungen

Ablaufleistung: Sie besteht aus einem garantierten und einem nicht garantierten Teil. Der garantierte Teil ist die vertraglich vereinbarte Versicherungssumme, an der nicht gerüttelt werden kann. Der nicht garantierte Teil ist die variable Gewinnbeteiligung. Ändern sich die Bedingungen am Kapitalmarkt, muss ein Versicherer unter Umständen seine Prognose für den variablen Teil ändern.

Abschlusskostenquote: Sie gibt an, wie viel ein Versicherer, gemessen an den Beiträgen, prozentual für neue Verträge ausgibt. Hier spielen Provisionen eine Rolle.

Bestandsgarantiewert: Er zeigt, welche Garantien eine Versicherung für ihre Verträge im Durchschnitt zahlen muss. Unternehmen mit vielen Policen aus den Jahren 1994 bis 2000, in denen der Garantiezins bei vier Prozent lag, haben einen sehr hohen Wert. Übersteigt dieser Wert die laufende Verzinsung (siehe Tabelle "Bestandssicherheit"), zahlt der Versicherer drauf. Die Werte stammen von Partner in Life - einem Unternehmen, das Policen von Privatleuten aufkauft. Es hat die Daten, soweit möglich, den Geschäftsberichten und anderen Publikationen der Versicherer entnommen. Wo die Anteile von Gruppen mit identischem Rechnungszins veröffentlicht wurden, konnte der Wert aus den übrigen Daten direkt errechnet werden. Andernfalls wurden Sekundärveröffentlichungen benutzt, beispielsweise Einstufungen durch die Ratingagentur Asse- kurata oder anderweitige Kennzahlen aus Geschäftsberichten sowie aus den Berichten zur gesetzlich vorgeschriebenen Mindestzuführungsverordnung. In diesen Fällen können die tatsächlichen Werte abweichen. Die Daten von Partner in Life sind auch im Vergleichsprogramm der Verbraucherzentrale Bremen enthalten (verbraucherzentrale-bremen.de/ versicherungsvergleich-hb).

Bewertungsreserven: Je größer diese Prozentzahl, desto größer die Differenz zwischen Markt- und Anschaffungswert aller Kapitalanlagen eines Versicherers. Grundsätzlich ist ein hoher Prozentsatz positiv für Versicherte, weil das Unternehmen dann einen großen Puffer hat.

Eigenkapital-(EK-)Quote: Sie gibt das Eigenkapital einer Versicherung im Verhältnis zu ihren jährlichen Beitragseinnahmen an. Hat die Gesellschaft unerwartet große Schäden zu decken oder ist das Kapitalanlageergebnis schwach, kann sie auf ihr Eigenkapital zurückgreifen. Die Kennzahl lässt sich jedoch auf zwei Arten interpretieren: Einerseits kann eine hohe Eigenkapitalquote ein Zeichen für Sicherheit und Ertragskraft sein, andererseits kann sie darauf hindeuten, dass Kunden nur wenig an den Überschüssen beteiligt werden. Versicherer mit geringerer Eigenkapitalquote sind nicht per se Wackelkandidaten: Sie können ihre Risiken auch an Rückversicherer ausgelagert haben.

Frühstornoquote: Hier schlagen Kündigungen von Verträgen zu Buche, bei denen noch kein Rückkaufswert entstanden ist. Die Quote kann darauf hinweisen, wie gut ein Unternehmen berät.

Garantiezins: Dieser Wert - auch Höchstrechnungszins genannt - ist der Zinssatz, den der Versicherer seinem Kunden über die gesamte Laufzeit pro Jahr zusichert. Seit 1. Januar 2017 beträgt er 0,9 Prozent.

Gewinnzerlegung: Die Gewinne einer Versicherung werden aus drei Quellen gespeist: Kapitalanlageergebnis, Risikogewinn und Kostenüberschüsse. Seit Beginn der Finanzkrise und der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank sind die Gewinne aus Kapitalanlagen dramatisch eingebrochen. Während die Risikoergebnisse in etwa gleich blieben, haben die Versicherer noch etwas Spielraum, um höhere Kostenüberschüsse durch Einsparungen zu erzielen.

Nettoverzinsung: Sie gibt an, welche Verzinsung ein Versicherer bei seinen Investments erzielt, ohne eventuelle Reserven aufzulösen. Je höher der Wert, desto mehr Überschussbeteiligung kann es für die Kunden geben.

Die Ergebnisse des Tests der Lebensversicherer


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