Es war die Ruhe vor dem Sturm. Im Zuge der globalen Corona-Ausbreitung und des Börsenabsturzes Mitte März wurden im ersten Halbjahr 2020 weltweit etliche Börsengänge verschoben. Der Zeitpunkt für das "erste öffentliche Angebot" (Initial Public Offering, kurz IPO), bei dem Unternehmen ihre Aktien den Anlegern erstmalig öffentlich zum Kauf anbieten, erschien vielen Firmen in der Pandemie denkbar ungünstig.

Doch dann kam alles anders: Von Juli bis September explodierte der weltweite IPO-Markt regelrecht. Die Bilanz: 447 Börsengänge rund um den Globus mit einem Emissionsvolumen von insgesamt 95 Milliarden US-Dollar - das stärkste dritte Quartal seit 20 Jahren. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stieg die Zahl der Börsengänge um 78 Prozent und das Emissionsvolumen um 138 Prozent. Dies sind die Ergebnisse des aktuellen IPO-Barometers des Prüfungs- und Beratungsunternehmens EY (Ernst & Young). "In diesem Jahr ist alles anders", sagt Martin Steinbach. "Ausgerechnet das traditionell schwache dritte Quartal erweist sich nun als das stärkste des bisherigen Jahresverlaufs", so der Partner und Leiter des Bereichs IPO and Listing Services bei EY.

Stärkster Anstieg in den USA und China

Ein Grund für den unerwarteten Boom ist die Aufholjagd der Aktienmärkte nach dem Corona-Crash. Besonders in den USA und in China zog es im dritten Quartal etliche Unternehmen an die Börse. Im Reich der Mitte (einschließlich Hongkong) wuchs das Emissionsvolumen um 139 Prozent auf 46,4 Milliarden US-Dollar, die Zahl der Transaktionen kletterte von 86 auf 217. In den USA hat sich die Zahl der IPOs im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 38 auf 85 mehr als verdoppelt und das Volumen der Emissionen von 11,7 auf 33,1 Milliarden Dollar fast verdreifacht.

Aber auch in Europa ging es heiß her. Die Zahl der Börsengänge stieg um 56 Prozent auf 39. Das Emissionsvolumen wuchs um 51 Prozent auf 6,2 Milliarden Dollar. In Deutschland trauten sich im dritten Quartal sechs Unternehmen an die Börse. Vier davon wählten das Segment Prime Standard der Deutschen Börse: der Energiespezialist Siemens Energy, der Rüstungskonzern Hensoldt, der Wohnmobilhersteller Knaus Tabbert und die Beteiligungsgesellschaft Brockhaus Capital Management. Hinzu kommen zwei deutsche Firmen, die den Sprung an eine US-Börse wagten: Die Biotechfirma Curevac, die an die Technologiebörse Nasdaq ging, sowie der Display-Produzent VIA Optronics (New York Stock Exchange).

Im Fokus des IPO-Geschehens standen vor allem die Technologie- und die Gesundheitsbranche. Die weltweit größte Transaktion im dritten Quartal war der Börsengang des chinesischen Chipherstellers Semiconductor Manufacturing International Corporation (SMIC), der 7,5 Milliarden US-Dollar einbrachte, gefolgt vom US-Cloud-Konzern Snowflake (3,9 Milliarden US-Dollar), an dem sich Investorenlegende Warren Buffett beteiligte. "Die Corona-Krise verstärkt den Digitalisierungstrend. Firmen, deren Geschäftsmodelle einen Bezug zur digitalen Transformation der Wirtschaft haben, sind derzeit besonders gefragt und können eine überzeugende Equity Story vorweisen", sagt Steinbach. Für eine Jahresendrally auf dem weltweiten IPO-Markt sprechen nach seiner Einschätzung das positive Momentum aus dem dritten Quartal, die hohe Liquidität im Markt sowie das hohe Bewertungsniveau, verbunden mit der relativ geringen Volatilität. Außerdem gibt es auf der Investorenseite weiterhin einen erheblichen Anlagedruck.

Gleichwohl sieht der Experte durchaus Risiken: "Das vierte Quartal und der Beginn des kommenden Jahres werden auch geprägt sein von den Risiken potenziell steigender Corona-Infektionszahlen und von den anhaltenden Spannungen zwischen China und den USA. Hinzu kommen als Unsicherheitsfaktoren der Brexit und natürlich die bevorstehenden US-Wahlen."

Wenn die Volatilität an den Märkten wieder steige, müssten Börsenkandidaten sich darauf einstellen, dass sich das IPO-Fenster schnell öffne und wieder schließe, warnt der Experte. Die Planung eines Börsengangs ist in diesen Zeiten also eine echte Herausforderung. Umso wichtiger ist es, flexibel zu sein und auch einen Finanzierungsplan B oder einen alternativen Weg an die Börse in der Schublade zu haben. Für Steinbach führt die Diskrepanz auf globaler Ebene zwischen der schwachen konjunkturellen Entwicklung einerseits und den hohen Börsenbewertungen andererseits bei den Anlegern zu Befürchtungen, dass sich am Horizont eine Blase abzeichne. Dies könne zu weiteren Reaktionen in einem schon jetzt turbulenten Börsenjahr führen.

Bislang deutet aber noch nichts darauf hin, dass der IPO-Markt einbrechen könnte. Einige Unternehmen stehen kurz davor, den Sprung aufs Parkett zu wagen. Dazu gehören etwa das US-Onlineportal für Ferienwohnungen Airbnb, der US-Softwareentwickler McAfee, der chinesische Finanzdienstleister Ant Group, der Berliner Gebrauchtwagen-Onlinehändler Auto1 und der Wissenschaftsverlag Springer Nature, der jüngst seinen Börsengang in Frankfurt verschoben hat.

Auf den folgenden Seiten stellen wir zwölf Unternehmen vor, die in den vergangenen Wochen den Börsengang gemeistert haben.

Allegro: Dieser Preis ist doch etwas zu heiß


Mit einem Volumen von rund zwei Milliarden Euro schaffte Allegro Mitte Oktober das bis dato größte europäische IPO des Jahres. Am ersten Handelstag legte die Aktie um mehr als 60 Prozent zu. 1999 als Online-Auktionshaus gegründet, ist das Unternehmen heute ein echter E-Commerce-Allrounder. Allegro deckt den klassischen Internethandel genauso ab wie Preisvergleiche, Ticketing oder digitales Bezahlen. Im Corona-Lockdown boomte das Geschäft mehr denn je: Für das erste Halbjahr meldete der Konzern ein Umsatzplus von 51,7 Prozent. Zwar ging das beschleunigte Wachstum etwas zulasten der Profitabilität. Mit knapp einem Drittel kann sich die operative Marge des Börsenneulings aber durchaus sehen lassen. CEO François Nuyts buhlt mit ehrgeizigen Wachstumszielen um die Gunst der Anleger. Auch wenn der Corona-Effekt bis dahin abflauen dürfte, sollen sich die Erlöse nach den Vorstellungen des früheren Amazon-Managers 2021 um annähernd ein Viertel ausdehnen. Neben der Steigerung des noch relativ kleinen Anteils am gesamten polnischen Einzelhandel sieht Nuyts im Megatrend Fintech große Chancen für Allegro. Obwohl die Aktie ihre anfänglichen Spitzenwerte nicht halten konnte, bleibt das Unternehmen - auch und gerade im Vergleich zu Branchenprimus Amazon - üppig bewertet. In Polen ist Allegro zweifellos einzigartig aufgestellt. Dennoch sollten Anleger das Papier zunächst nur auf die Watchlist nehmen. Sofern die Märkte beim Thema E-Commerce auch nur einigermaßen vernünftig bleiben, könnten sich beim neuen Schwergewicht der Warschauer Börse noch günstigere Einstiegskurse bieten.

Bentley Systems: Profiteur des Infrastrukturbooms


Ist von Bentley die Rede, denken viele sofort an die britische Automarke. Doch tragen auch die beiden Brüder Keith und Barry aus den USA diesen Namen. Sie gründeten 1984 die gleichnamige Bentley Systems. Bei der Firma geht es nicht um Nobelkarossen, sondern um ausgefeilte Computerprogramme. Mit der Simulationssoftware lassen sich große Infrastrukturprojekte wie Straßen, Flughäfen oder Bürogebäude entwerfen. Dazu bietet Bentley unter anderem ein 3-D-Modell in der Cloud an, mit dem Ingenieure Änderungen in einer Mixed-Reality-Umgebung verfolgen können. Bentley ist kein Start-up aus dem Silicon Valley, sondern ein ausgereiftes Unternehmen mit Sitz außerhalb von Philadelphia, das viel Geld generiert und sogar eine regelmäßige Dividende ausschüttet. Und trotzdem zog es den Konzern nun an die Nasdaq. Mit Erfolg: Die Aktien schnellten beim Debüt um 45 Prozent hoch, obwohl der Ausgabepreis von 22 Dollar bereits über der angehobenen Spanne von 19 bis 21 Dollar lag. Bentley erhofft sich durch das IPO mehr Aufmerksamkeit der Bauingenieure. "Sie sind sehr wichtig für uns", sagt CEO Greg Bentley, der 1991 in das Unternehmen eintrat. Darüber hinaus erhofft sich der Chef, mehr Softwaretalente zu gewinnen, sowie ein verbessertes Marketing. Arbeit dürfte es in Zukunft genug geben, denn rund um dem Globus werden jedes Jahr Billionen in Infrastrukturprojekte gesteckt. Allein für die USA hat der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden eine Zwei-Billionen-Dollar schwere Infrastrukturreform vorgestellt. Wir stufen die Aktie als aussichtsreich ein.

Brockhaus Capital Management: Technologie "Made in Germany"


Marco Brockhaus hat mit seiner gleichnamigen Beteiligungsgesellschaft Brockhaus Capital Management (BCM) eine Vision: die profitabelste Technologiegruppe in Deutschland zu werden. Dazu investiert BCM in wachstums- und margenstarke Techfirmen aus dem deutschen Mittelstand. Derzeit befinden sich zwei Firmen im Portfolio: IHSE, die sich auf die sichere Übertragung von kritischen Daten spezialisiert hat, sowie Palas, ein Hersteller von hochpräzisen Geräten zur Messung von Partikeln in der Luft wie dem Feinstaub. Mit Kapital und Know-how will der Gründer die Unternehmen auf die nächste Stufe hieven und sie auf langfristig profitables Wachstum einstellen. Der Private-Equity-Spezialist hat in der Vergangenheit bereits ein gutes Näschen bewiesen. So war Brockhaus beispielsweise bei der Devisenhandelsplattform 360T früh mit dabei und verkaufte diese 2015 an die Deutsche Börse. Mit dem Börsengang können nun auch Anleger an weiteren Erfolgen des 51-Jährigen und seines Teams partizipieren. "Wir bieten den Investoren Zugang zu den Tech-Champions, in die sie sonst nicht investieren können", bringt es der Vorstandschef auf den Punkt. Das frische Geld - rund 115 Millionen Euro - soll für weitere Akquisitionen genutzt werden. Noch wachsen die Bäume zwar nicht in den Himmel, für 2020 wird ein Umsatzplus im mittleren einstelligen Prozentbereich in Aussicht gestellt. Doch hat BCM das Potenzial, in den Folgejahren an Wachstums- und Ertragskraft zu gewinnen. Der im Prime Standard notierte Nebenwert ist zuletzt unter den Emissionskurs von 32 Euro gerutscht. Risikobereite Anleger sammeln ein paar Stücke ein.

Curevac: Hoffnungsträger Corona-Impfstoff


Wenn eine Firma in Deutschland groß wird, geht sie deswegen noch lange nicht in der Heimat an die Börse. Das Tübinger Biotechunternehmen Curevac, an dem unter anderem Milliardär und SAP-Mitgründer Dietmar Hopp beteiligt ist, ist seit August an der US-Technologiebörse Nasdaq gelistet. Der Emissionskurs lag bei 16 US-Dollar pro Aktie. Den ersten Handelstag beendete der Titel bei rund 56 Dollar. Dem Unternehmen spielt insbesondere die Pandemie in die Karten. So entwickeln die Schwaben aus der hauseigenen Technologie der Messenger-RNA (mRNA) gegen Infektionskrankheiten und Krebs einen Impfstoff gegen das Virus Sars-CoV-2. Die zulassungsrelevanten klinischen Daten sollen zwar erst 2021 vorliegen. Der Impfstoff hat jedoch den Vorzug, dass er mit einer niedrigeren Dosierung auskommt als andere mRNA-Vakzine. Ein Vorteil der US-Börsennotierung ist, dass Investoren und Analysten in den USA tiefere Kenntnisse in Biochemie und Medizin haben als in Europa. Curevac hat mit seinem Börsengang 213 Millionen Dollar eingesammelt und will damit vor allem die Entwicklung seines Corona-Impfstoffs sowie die Produktionskapazitäten finanzieren. Bereits vor dem IPO waren die Aktien heiß begehrt: So hält Hopp rund 49 Prozent der Curevac-Anteile. Daneben sind der britische Pharmariese GlaxoSmithKline, das Emirat Katar und der Bund die größten Anteilseigner. Zwar ließ die Kursfantasie in den vergangenen Wochen nach. Doch falls der Impfstoff im kommenden Jahr tatsächlich anschlägt, dürfte es Luft nach oben geben. Wir stufen sie auf "Kaufen" hoch.

Hensoldt: Startturbulenzen als Einstiegschance


Es ist traurig, aber wahr: Das globale Wettrüsten sorgt dafür, dass die weltweiten Militärausgaben schon in diesem Jahr die Schallmauer von zwei Billionen US-Dollar durchbrechen könnten. Laut Zahlen des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) wurden 2019 gut 1,9 Billionen Dollar in die Verteidigung gesteckt. Seit der Jahrtausendwende ist der Markt damit um mehr als drei Viertel gewachsen. Unter Ausblendung der mit dieser Entwicklung verbundenen geopolitischen Spannungen und Risiken kann man Hensoldt ein geradezu optimales Umfeld attestieren. Mehr als vier Fünftel ihrer Umsätze erwirtschaftet die frühere Airbus-Tochter mit Rüstungstechnologie. Beispielsweise stecken die Sensoriklösungen von Hensoldt im Radarsystem des Eurofighters. Der Kampfjet hatte einen maßgeblichen Anteil daran, dass die Bayern im ersten Halbjahr den Auftragseingang mehr als vervierfachen konnten. Insgesamt verfügt Hensoldt nun über ein Ordervolumen von 3,4 Milliarden Euro. Gemessen an den für 2020 erwarteten Umsätzen wäre das Unternehmen damit für mehr als drei Jahre ausgelastet. An der Börse entpuppte sich Hensoldt zunächst trotz allem als "Rohrkrepierer". Die Aktie konnte nach ihrem IPO nicht einmal den am unteren Ende der Angebotsspanne von zwölf bis 16 Euro liegenden Emissionspreis halten. Auf lange Sicht liegt in dem holprigen Start dennoch eine Chance: Die Aktie ist zum einen relativ günstig bewertet. Zum anderen könnte Hensoldt über kurz oder lang einen prominenten Ankeraktionär erhalten: Der Bund prüft eine strategische Beteiligung an dem Rüstungsunternehmen.

Knaus Tabbert: Camping-Freude könnte anhalten


Das Timing für den Gang an die Börse am 22. September konnte kaum besser sein. Angesichts des Camping-Booms infolge der Pandemie sind besonders in diesem Jahr Wohnmobile, Wohnwagen und Kastenwagen angesagt. Für den Hersteller Knaus Tabbert schien das Umfeld daher optimal. Doch am Ende des Tages gab es am 22. September bei der Nummer 3 des europäischen Caravanmarkts lange Gesichter. Der Ausgabepreis der Aktie wurde mit 58 Euro am unteren Ende der Preisspanne festgesetzt. Knaus sammelte mit dem Börsengang 232 Millionen Euro ein. Der Löwenanteil ging an den niederländischen Finanzinvestor HTP, der Knaus Tabbert vor elf Jahren aus der Insolvenz gekauft hatte. Der Streubesitz liegt nach dem IPO bei 38,5 Prozent. Aus der Kapitalerhöhung fließen dem Anbieter aus dem Bayerischen Wald 20,3 Millionen Euro zu, die in den Ausbau der Produktion gesteckt werden sollen. Diejenigen, die an den anhaltenden Campingtrend glauben, können das schwache Niveau der Aktie als Einstieg nutzen. Knaus Tabbert wächst seit Jahren stark und verfügt über vier moderne und voll ausgelastete Fabriken für Wohnmobile in allen Preisklassen. Der Umsatz betrug 2019 knapp 800 Millionen Euro, der operative Gewinn 64 Millionen Euro. Die Hälfte des künftigen Nettogewinns soll an die Aktionäre fließen. Im ersten Halbjahr 2020 sank allerdings der Umsatz um 8,8 Prozent auf 359 Millionen Euro, der Gewinn fiel um 18 Prozent auf 23,4 Millionen Euro. Das Management plant für 2020 konservativ und rechnet mit einem Rückgang von Umsatz und Gewinn im Vergleich zum Vorjahr.

Palantir: Topsecret - Datenspezialist mit Potenzial


US-Spezialkräften gelang es 2011, den weltweit gefährlichsten Terroristen Osama Bin Laden zu töten. An der Ermittlung seines Aufenthaltsorts war angeblich auch der Datenanalysespezialist Palantir beteiligt. Das wundert nicht, zählt der Big-Data-Konzern doch den US-Auslandsgeheimdienst CIA und die US-Armee zu seinem Kundenkreis. Nun hat es Palantir per Direktlisting an den Kapitalmarkt geschafft. Lag der Referenzpreis bei 7,25 US-Dollar, schnellte die Aktie schnell auf über elf Dollar hoch. Das Niveau konnte der Börsenneuling allerdings nicht halten und tauchte wieder in den einstelligen Kursbereich ab. Auf dem aktuellen Niveau wird Palantir mit rund 16 Milliarden Dollar bewertet, das entspricht in etwa dem 13-Fachen der für 2021 erwarteten Umsätze. Damit ist der Titel nicht nur günstiger als manch anderer Techneuling, auch sind die Wachstumsaussichten für das Unternehmen enorm. Zum einen sind Daten das neue Gold der Dienstleistungsbranche, zum anderen verfügt Palantir Marktteilnehmern zufolge über einen überlegenen Algorithmus. Das Unternehmen wächst rund 50 Prozent pro Jahr und dürfte als Pure Play im Bereich Big Data die Investoren weiter elektrisieren. Allerdings ist die Palantir-Story nicht ganz ohne Makel. Kritiker werfen dem Konzern nämlich vor, dass dessen Programme für die Regierung moralisch nicht vertretbar seien. Bei Palantir heißt es dagegen: "Unsere Software wird eingesetzt, um Terroristen zu jagen und Soldaten zu schützen." Wie auch immer: In Bezug auf die guten Wachstumschancen ist die Aktie in jedem Fall ein Kauf.

PharmaSGP: Der richtige Tropfen für steigende Kurse


Es war mehr ein Stolpern als ein Sprung, was der Newcomer PharmaSGP im Juni dieses Jahres an der Frankfurter Börse veranstaltete. Die Aktie wurde am unteren Ende der Preisspanne zu 31,50 Euro ausgegeben und rutschte kurz darauf sogar unter diese Marke. Und das, obwohl der Arzneimittelhersteller sein Emissionsvolumen deutlich reduziert hatte. Für das Unternehmen selbst war dies allerdings kein Problem, den Bayern floss durch den Börsengang ohnehin kein Geld zu. Die Anteile kamen ausschließlich von den Altaktionären und Gründern.

Operativ ist das Unternehmen auf Wachstumskurs. Im ersten Halbjahr legte der Umsatz um 7,2 Prozent auf 33,8 Millionen Euro zu, das bereinigte Ebit kam gar um 17,7 Prozent auf 10,6 Millionen Euro voran. Folglich verbesserte sich die Marge um 2,8 Prozentpunkte auf stolze 31,5 Prozent. Darüber hinaus gelang es PharmaSGP, sieben neue Produkte zu launchen, das war mehr als erwartet. Insgesamt vermarktet die in Gräfelfing bei München ansässige Firma derzeit 30 chemiefreie Arzneimittel, die ohne Rezept erhältlich sind, sowie weitere Gesundheitsprodukte. Mit seinen Markenfamilien Restaxil und Rubaxx ist das Unternehmen hierzulande führend bei chemiefreien Schmerzmitteln. In der zweiten Hälfte will der Vorstand sogar noch etwas mehr Gas geben und die Wachstumsrate des ersten Halbjahres erhöhen. Aus operativer Sicht ist die Aktie ein klarer Kauf. Es ist aber möglich, dass der Kurs nur langsam vorankommt, denn Ende des Jahres läuft die Lock-up-Frist der Großaktionäre aus, und dann könnten wieder Stücke auf den Markt kommen.

Siemens Energy: Inspiziert und für gut befunden


Mit der Notierungsaufnahme von Siemens Energy am 28. September war das bisher größte Spin-off eines DAX-Konzerns perfekt. Sonderlich energiegeladen präsentiert sich der rund 16 Milliarden Euro schwere Neuling bis dato nicht - die Aktie notiert knapp unter dem ersten Kurs von 22,01 Euro. Insbesondere DAX-ETFs dürften die ihnen zugeteilten Papiere rasch wieder losgeschlagen haben. Grund: Siemens Energy spielt nicht in der ersten Börsenliga, sondern hat zunächst allenfalls Chancen auf einen Einzug in den MDAX. Den operativen Stärken des Konzerns kann der hohe Aktienumschlag keinen Abbruch tun. Rund ein Sechstel des weltweit erzeugten Stroms basiert auf der Technologie von Siemens Energy. Das Produktspektrum reicht von Turbinen für konventionelle Kraftwerke bis zur Mehrheitsbeteiligung an Siemens Gamesa, dem weltweit zweitgrößten Hersteller von Windrädern. "Siemens Energy ist bestens aufgestellt, um bei der globalen Energiewende nachhaltig und wirtschaftlich voranzuschreiten", schwärmt Siemens-Chef Joe Kaeser für die abgespaltene Tochter. Gleichwohl muss das Unternehmen zunächst eine Ergebnisdelle ausbügeln. CEO Christian Bruch peilt für das Geschäftsjahr 2022/23 (per 30. September) eine operative Marge von 6,5 Prozent bis 8,5 Prozent an. 2018/19 lag die Kennzahl bei 5,3 Prozent. Neben Kosteneinsparungen setzt der Topmanager auf ein Auftragspolster von annähernd 80 Milliarden Euro. Am 10. November präsentiert Bruch die Bilanz für das Geschäftsjahr 2019/20. Dieser Termin könnte beim Börsenneuling für einen Energieschub sorgen.

Snowflake: Fulminantes Börsendebüt


Der Börsengang von Snowflake im September begann mit einem Paukenschlag: Das kalifornische Cloud-Unternehmen sammelte 3,4 Milliarden Dollar ein. Das ist der größte IPO eines Softwareunternehmens aller Zeiten. So lag der Einstandskurs mit 245 Dollar pro Aktie um mehr als das Doppelte über dem Ausgabepreis von 120 Dollar. Auch Starinvestor Warren Buffett mischte mit seiner Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway kräftig mit und beteiligte sich mit 250 Millionen Dollar an Snowflake. Allein dies war eine Nachricht wert: Buffett war davor zuletzt 1956 an einem Börsengang beteiligt - beim Autohersteller Ford.

Snowflake gilt als Vorzeigefirma in der neuen Welt des Cloud-Computing. Das Unternehmen bietet seinen Kunden per Abo eine Plattform, um sehr große Mengen von Daten im Internet zu speichern, zu verwalten und zu analysieren. Das Geschäftsmodell ist zukunftsträchtig. Kaum eine Technologie gewinnt so schnell an Bedeutung wie die sogenannte Datenwolke. Die durch Covid-19 veränderte, digitalisierte Arbeitswelt hat diesen Trend verstärkt. Gemäß den Analystenschätzungen zum Umsatzwachstum gehört das Unternehmen zu den wachstumsstärksten. Allerdings ist die Aktie derzeit schon sehr hoch bewertet. Marktbeobachter sprechen vom "teuersten Techunternehmen weltweit". Zwar schließt eine hohe Bewertung steigende Kurse nicht aus. Das Papier eignet sich jedoch in erster Linie für risikobereite Anleger, die einen größeren Verlust verschmerzen können. Für sie könnte es sich durchaus lohnen, einen Kurseinbruch zum Einstieg zu nutzen.

Unity Software: (Zu)teure virtuelle Welt


In der jüngsten IPO-Lawine an der Nasdaq rollte auch Unity Software mit. Obwohl der Entwickler von Designsoftware für die Computerspiele-Industrie bereits im Vorfeld den Preis mehrmals anhob, schloss die Aktie am ersten Handelstag Mitte September um 31 Prozent über dem Emissionskurs von 52 Dollar. Damit nicht genug: Inzwischen kratzte der Titel sogar an der 100er-Marke, auf die auch das aktuelle durchschnittliche Kursziel der Analysten lautet. Die Begeisterung für Unity liegt zum einen an dem wachstumsstarken Spielemarkt. Laut Davidson-Analyst Franco Granda könnte das Unternehmen darüber hinaus ein potenzieller Nutznießer der Fehde zwischen Epic Games und Apple sein. Zum anderen gehen die Möglichkeiten der Echtzeit-3-D-Entwicklungsplattform des Konzerns weit über das Gaming hinaus. Egal, ob in der Autoindustrie, der Fertigung, beim Film oder im Ingenieurwesen, die Anwendungsfelder und damit die Erfolgschancen sind enorm. Aber wie immer an der Börse, am Ende ist alles eine Frage der Bewertung. Im ersten Halbjahr erzielte Unity einen Umsatzsprung von knapp 40 Prozent auf 351 Millionen Dollar, fuhr dabei aber einen Nettoverlust von 54 Millionen Dollar ein. Auch für das Gesamtjahr und 2021 erwarten die Analysten noch keine schwarzen Zahlen. Zieht man den Umsatz als Bewertungsgrundlage heran, entspricht die aktuelle Marktkapitalisierung in etwa dem 24-Fachen der für 2021 erwarteten Erlöse. Das erscheint uns zu teuer. Daher sollten Anleger vor einem Einstieg in den sonst aussichtsreichen Titel eine Konsolidierung abwarten. Hinweis: Noch wird die Aktie nur an der NYSE gehandelt.

Via Optronics: Klare Sicht bei hellem Licht


Das hatte sich der Displayhersteller Via Optronics anders vorgestellt. Das Börsendebüt Ende September hielt nicht das, was sich die Nürnberger vom IPO an der New York Stock Exchange (NYSE) versprochen hatten. Die zu 15 US-Dollar verkauften Aktien sackten zeitweise auf 9,36 Dollar ab und schlossen bei 10,18 Dollar. Dabei waren die 6,25 Millionen Hinterlegungsscheine (ADR) schon am unteren Ende der bis 17 Dollar reichenden Preisspanne zugeteilt worden. Via Optronics nahm bei seinem Börsengang rund 94 Millionen Dollar ein. Experten sagten über den enttäuschenden Börsengang, die Via-Optronics-Bewertung sei vor dem IPO mit mehr als 300 Millionen Dollar zu hoch gewesen. Drei Wochen nach dem Sprung aufs Parkett lag die Marktkapitalisierung bei lediglich 182 Millionen Dollar. Die Aktie notierte zu der Zeit (Mitte Oktober) bei rund acht Euro. Möglicherweise spielte bei der Fehleinschätzung der jüngste Boom der US-Techwerte eine Rolle. Kritische Stimmen verweisen zudem darauf, dass die Firma noch rote Zahlen schreibt. Im ersten Halbjahr setzte Via Optronics 64,8 Millionen Euro um, dabei gab es einen Verlust von 867 000 Euro. Das 2005 gegründete Unternehmen baut interaktive Displays, etwa für die Auto- und Konsumelektronik-Branche. Zu den Kunden zählen unter anderem BMW, General Motors, Lenovo und Dell. Via Optronics stellt zudem Materialien für Smartphone- und Tabletdisplays her, die auch bei hellem Sonnenlicht ihre Funktion erfüllen. Aufgrund des Potenzials des Techsektors und der Innovationskraft warten wir hier erst einmal ab.