Die Entscheidung für den Börsengang fiel im Januar. Noch vor Ausbruch der Corona-Pandemie beschloss das Management der Tübinger Biotechfirma Curevac, den Schritt an die Nasdaq zu wagen. In der Vorbereitung des Börsendebüts im August spielte Covid-19 dann eine entscheidende Rolle. Aus der hauseigenen mRNA-Technologie gegen Infektionskrankheiten und Krebs entwickelt Curevac einen Impfstoff gegen das Coronavirus. Der Hoffnungsträger soll zwar erst 2021 die zulassungsrelevanten klinischen Daten liefern, hat aber den Vorteil, dass er mit einer niedrigeren Dosierung auskommt als andere mRNA-Impfstoffe.

Für Curevac zahlte sich der Gang aufs Parkett aus. Der Aktienkurs schoss vom Ausgabepreis von 16 US-Dollar in der Spitze um das Vierfache nach oben. Zugleich übertraf der Emissionserlös von 245 Millionen US-Dollar deutlich die 150 Millionen US-Dollar, die das Mainzer Unternehmen Biontech im November 2019 bei seinem Nasdaq-Debüt eingesammelt hatte.

Wie Curevac auch arbeitet Biontech an einem Covid-19-Impfstoff auf Basis der neuen mRNA-Technologie. Die für die Zulassung entscheidenden Resultate will das Unternehmen noch 2020 vorlegen. Der Aktienkurs hat sich seit dem Börsengang vervierfacht.

Weites lnvestorenuniversum


"Beide Unternehmen stehen beispielhaft dafür, wie deutsche Biotechs mit der Mischung aus innovativen Technologieplattformen, spannenden Produkten und Partnerschaften mit Pharmakonzernen auf positive Resonanz bei US-Investoren stoßen", sagt Markus Manns, Portfolio­manager bei Union Investment. Für Franz-Werner Haas, den Vorstandschef von Curevac, liegen die Vorteile eines US-Listings klar auf der Hand: "Das Investitionsklima ist generell günstiger als in Europa und Biotechfirmen treffen auf ein hohes Niveau an Investitionskapital von sehr branchenaffinen Investoren."

Diese Branchenaffinität zeigt sich für Matthias Kromayer, Geschäftsführer der Münchner Private-Equity-Gesellschaft MIG Verwaltungs AG, am weiten Universum von Branchenexperten: "Vor allem bei den Banken arbeiten hervorragend ausgebildete Analysten, die häufig auch einzelne Segmente der Biotechnologie in jedem Detail verstehen." Mit Biontech und der auf Immuntherapien gegen Krebs spezialisierten Biotechfirma Immatics im Juli 2020 hat MIG zwei deutsche Biotechs an die Nasdaq begleitet.

Während in Europa zuletzt nur an der Euronext Biotech-IPOs gefeiert wurden, gingen sieben deutsche Biotechs in den vergangenen drei Jahren an die Nasdaq - mit Ausnahme von Biontech und Curevac weitgehend unbemerkt vom Gros der in Deutschland ansässigen Investoren. In der Summe aber durchaus erfolgreich: Außer der Jenaer Firma Inflarx kommen alle Titel auf einen höheren Börsenwert als die meisten in Deutschland gelisteten Biotechaktien. Biontech übertrifft den DAX-Aspiranten Qiagen, und Curevac kommt trotz der jüngsten Kursverluste auf eine deutlich höhere Marktkapitalisierung als die deutschen Veteranen Morphosys und Evotec. Alle sieben Nasdaq-Biotechs mit Hauptsitz in Deutschland eignen sich nur als spekulative Beimischung. Wegen der zulassungsrelevanten Resultate für den zusammen mit dem Pharmakonzern Pfizer entwickelten Covid-19-Impfstoff steht Biontech in den nächsten Monaten im öffentlichen Blickfeld. Schafft der Hoffnungsträger den Sprung auf den Markt, wird dieser Erfolg den Aktienkurs kräftig nach oben katapultieren. Letztendlich ist ein solcher Durchbruch der Katalysator, um die Anwendung der mRNA-Technologie auch in anderen Indikationen zu beschleunigen. Die Entwicklungspipeline von Biontech umfasst elf klinische Kandidaten in der Krebsmedizin.

Dagegen sollten Anleger bei Curevac noch eine Bodenbildung der Aktie abwarten. Die Firma hat mit GlaxoSmithKline eine Kooperation zur Entwicklung von mRNA-Impfstoffen und Antikörpern gegen Infektionskrankheiten abgeschlossen. Die Pipeline umfasst vier klinische Produkte im frühklinischen Stadium. Umso mehr hängt der Börsenwert am Erfolg des Covid-19-Impfstoffs.

Wie Curevac ist auch Immatics in Tübingen ansässig. Für das Nasdaq-Listing hat die Gesellschaft eine andere Variante gewählt. Beim sogenannten SPAC, dem Börsengang über eine Mantelgesellschaft, bringen Investoren schon vor dem eigentlichen IPO Kapital ein und tauschen dieses beim Listing in Aktien um. Den Cashbestand von rund 300 Millionen US-Dollar investiert die Firma, die auch eine Niederlassung in den USA hat, in den Ausbau der klinischen Pipeline. Schafft der neuartige Ansatz in der Krebstherapie den Durchbruch, wird die Aktie deutlich höhere Kursregionen sehen.

Immunic setzt dagegen auf bewährte Therapieansätze mit besserem Wirkprofil bei Autoimmunerkrankungen. Hier erfolgte der Börsengang über den Börsenmantel einer zugekauften US-Gesellschaft. Am weitesten fortgeschritten ist ein Wirkstoff gegen Multiple Sklerose, bei dem Immunic mit der zulassungsrelevanten Studie beginnen will. Die Aktie bleibt ein Kauf. Ein Kandidat für die Watchlist ist Inflarx. Die Firma entwickelt monoklonale Antikörper gegen ein spezifisches Proteinfragment, das eine Schlüsselrolle bei der Immunabwehr spielt. Die Aktie stürzte 2019 nach einem Fehlschlag des Hauptprodukts für eine chronische Hauterkrankung ab. Inflarx hat das Projekt neu aufgesetzt und führt außerdem aktuell eine zulassungsrelevante Studie bei Covid-19 durch. Ergebnisse für den Entzündungshemmer gegen vaskuläre Entzündungen und Störungen der Blutgerinnung - zwei Krankheitsbilder schwer erkrankter Covid-19-Patienten - will das Unternehmen Anfang 2021 präsentieren.

Hoffnungsträger Schnelltests


Affimed mit Sitz in Heidelberg hat drei Programme gegen Tumore in der klinischen Entwicklung. Das Neuartige daran sind bifunktionelle Antikörper, die mit Krebszellen wie auch Immunzellen inter­agieren können. Zwei Produkte sind mit Pharmakonzernen verpartnert. Weil der Durchbruch noch bevorsteht, drängt sich zurzeit kein Einstieg auf. Dagegen lockt die Centogene-Aktie zum antizyklischen Einstieg. Das Kerngeschäft sind Diagnostiksysteme für seltene genetische Erkrankungen. In diesem Jahr brachte Centogene Diagnostikschnelltests für Corona an Flughäfen, Schulen und Pflegeheimen auf den Markt. Unter Druck geriet der Aktienkurs nach einer Kapitalerhöhung im Sommer. Fundamental bleibt die Firma auf Kurs, die Einnahmen durch die Schnelltests sollten 2020 für ein Umsatzplus von 30 bis 40 Prozent sorgen.