Weltweit hat das Fusionsjahr 2015 mit Transaktionen von mehr als 4,5 Billionen Dollar die Rekordstände von 2007 - unmittelbar vor der Finanzkrise - übertroffen. Doch Deutschland spielt wieder nur eine Nebenrolle. Bis Mitte Dezember waren deutsche Firmen nach Daten von Thomson Reuters an Übernahmen (Mergers & Acquisitions, M&A) im Volumen von 131 Milliarden Dollar beteiligt - das sind 40 Prozent weniger als 2014.

"Dieses M&A-Jahr hat vielversprechend begonnen, aber die Erwartungen nicht erfüllt", konstatiert Nicolo Salsano, Chef-Investmentbanker von Credit Suisse in Deutschland enttäuscht. Vor allem in Nordamerika hielten sich deutsche Konzerne anders als 2014 merklich zurück, unter anderem wegen des schwächeren Euro. Gerade noch 21 Milliarden Dollar gaben sie für US-Zukäufe aus, ein Fünftel der Summe von 2014. Andere wie Siemens oder Merck mussten erst ihre Zukäufe zu verdauen. Ob sich das im neuen Jahr ändert? "Aufholpotenzial sehen wir für Deutschland durchaus, und auch eine Zunahme von Akquisitionen im Ausland", sagt Dorothee Blessing, die Deutschland-Chefin von JPMorgan, der Nummer eins unter den Fusionsberatern 2015. "Aber das sollte uns nicht zu der Annahme verleiten, dass im nächsten Jahr die große Aufholjagd beginnt."

2015 war allein der weltweite Rekord-Deal größer als alle deutschen Fusionen und Übernahmen zusammen: Viagra-Hersteller Pfizer kauft die Botox-Firma Allergan für 160 Milliarden Dollar. Auch der Zusammenschluss der Chemiegiganten Dow und DuPont übertrifft die 100-Milliarden-Dollar-Schwelle. Der Brauriese Anheuser-Busch schluckt den Rivalen SABMiller für 117 Milliarden. Für die größte Übernahme in Deutschland reicht es selbst in Europa nur für Platz neun: Der Wohnungskonzern Vonovia bietet 15,6 Milliarden Dollar für Deutsche Wohnen.

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"Das ist kein neues Phänomen", sagt Jens Maurer, M&A-Chef von Morgan Stanley für den deutschsprachigen Raum. Er hält die Zurückhaltung für eine Mentalitätsfrage: "Die Deutschen forschen und entwickeln lieber, die Amerikaner kaufen Technologie und Know-how eher dazu." Der sich anbahnende, rund 12,4 Milliarden Dollar schwere Tausch von Beteiligungen zwischen Boehringer Ingelheim und der französischen Sanofi kann an diesem Bild wenig ändern. Es komme nicht von ungefähr, dass bei fast jedem Mega-Deal zumindest ein US-Konzern mit von der Partie sei. "Die Amerikaner sehen M&A in viel stärkerem Maß als Teil ihrer Strategie", erläutert Barclays-Investmentbanker Alexander Doll. Was für US-Konzerne längst Routine ist, sei für deutsche ein einmaliges Abenteuer.

"Entweder graben sich deutsche Unternehmen weiter ein und bleiben so zurückhaltend - oder es bricht sich eine große Welle mit deutscher Beteiligung Bahn", sagt Eric Fellhauer, Co-Chef von Lazard in Deutschland. Die Fusion von Dow und DuPont setze Chemieunternehmen wie BASF und Bayer unter Druck. "In der Branche sind wir schon fast im Endspiel der Konsolidierung. Jede Fusion kostet die Konkurrenz Marktanteile", sagt Doll. Dessen seien sich die Unternehmen auch bewusst. "Die Deutschen sind schon konservativer in der Bewertung. Aber wenn sich die ganze Welt konsolidiert, kann man nicht dasitzen und warten", sagt Rainer Langel von Macquarie. Zumindest die Dax -Unternehmen hätten die Zurückhaltung bei Übernahmen aufgegeben, seit bei ihnen immer mehr Manager aus dem Ausland kommen. "Inzwischen fühlt man sich auf diesem Parkett wohler", sagt Morgan-Stanley-Mann Maurer.

Doch Citi-Banker Christian Kames glaubt nicht daran, dass Deutschland bei Übernahmen zu Amerika aufschließen wird. Das liege auch daran, dass es dort viel mehr Übernahmeobjekte gebe und deutlich mehr börsennotierte Unternehmen, die leichter zu kaufen seien. Mit Aktien statt in bar zu zahlen, sei für Käufer aus Deutschland schwer, weil US-Anleger deutsche Papiere ungern ins Depot nähmen. "Die Branchen mit den Mega-Deals sind bei uns eher unterrepräsentiert", sagt Kames. Zudem stünden deutsche Unternehmen viel weniger unter Druck ihrer Aktionäre. Anleger in den USA hätten dem K+S-Vorstand das Nein zur Übernahme durch Potash wohl kaum verziehen.

Erst wenn die Euphorie abebbe, seien die Deutschen wieder im Vorteil, glaubt Maurer. Denn längst nicht mehr jede Fusion stößt auf positives Echo. "Investoren sind wieder sensibler geworden. Das spielt deutschen Unternehmen in die Karten. Sie sind gut vorbereitet und können ihre Pläne meist gut erklären."

Reuters