Schmeichelhaft ist anders: Vor Kurzem wurde Finnland als der neue "kranke Mann Europas" bezeichnet. Ein Attribut, das man auch schon mal für Deutschland parat hatte - lang ist’s her. Später dann für Griechenland, Spanien, Portugal. Auch schon mal für Irland. Und jetzt also Finnland. Ironischerweise war es aber einer aus den eigenen Reihen, der dem Land diesen Stempel aufdrückte: Finanzminister Alexander Stubb.

Was ist da also los im hohen Norden? Man galt doch mal als Vorzeigeland. Wer erinnert sich nicht an die Glanzzeiten von Nokia, als der finnische Konzern mit 40 Prozent Marktanteil das globale Geschäft für Mobiltelefone dominierte. Zu besten Zeiten machte Nokia fünf Prozent von Finnlands Wirtschaftsleistung aus. Das ist ewig her. Dennoch reicht der langjährige Niedergang des Unternehmens wohl kaum aus, um die Malaise der gesamten finnischen Wirtschaft zu erklären.

Finnland hat 5,5 Millionen Einwohner, ein Bruttoinlandsprodukt von 205 Milliarden Euro und eine Exportquote von 40 Prozent. Und vermutlich ist Letzteres ein Problem. Die größten Außenhandelspartner sind Schweden, Deutschland und Russland. Da stören natürlich zum einen die von der EU verschärften Handelssanktionen gegen Russland. Zum anderen ist einer der Hauptexportartikel Papier. Und gerade diese Industrie hatte in den zurückliegenden Jahren mächtig mit den Folgen der Digitalisierung der Medien zu kämpfen. Papierhersteller wie UPM-Kymmene und Stora Enso können ein Lied davon singen - der Geschäftsverlauf war zuletzt genauso unstetig wie die Kursentwicklung der beiden Aktien. 20 Prozent weniger als zu Spitzenzeiten wird derzeit exportiert. Doch die Unternehmen haben sich inzwischen daran angepasst und Kapazitäten dichtgemacht. Wer die zahlreichen Rückschläge der Aktien zum Nachkaufen genutzt hat, konnte so mit den beiden Werten tatsächlich Gewinne machen. Aktuell bietet sich das wieder an. Bei aller Vorsicht.

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Unrühmliche Rekorde



Jedenfalls ist Finnland richtiggehend rezessionsgeplagt. Die Finanzkrise von 2008 bis 2009 wurde bis heute nicht bewältigt. Anders als zum Beispiel im Nachbarland Schweden, wo die Wirtschaftsleistung des Vorkrisenniveaus bereits 2011 wieder erreicht wurde. In Finnland dagegen ist das Bruttoinlandsprodukt seit 2012 jedes Jahr geschrumpft. Damit nicht genug: In den ersten drei Quartalen 2015 schnitt das Land so schlecht ab wie kein anderes sonst in der Eurozone, das Defizit ist höher als das von Italien, die Arbeitslosenrate mit 8,7 Prozent weit dramatischer als die der skandinavischen Nachbarländer. Und gleichzeitig steht man auf dem unrühmlichen vierten Rang in der Eurozone, was die Höhe der Steuern und Sozialabgaben angeht. Kranker Mann? Ganz offensichtlich ja.

Als Mitglied der Eurozone ist Finnland zudem an die Gemeinschaftswährung gebunden - im Unterschied zu den Nachbarländern Schweden und Norwegen. Die Möglichkeit, die Landeswährung abzuwerten, wie schon einmal in den 90er-Jahren geschehen, ist daher nicht gegeben. Und damit fehlt auch die Möglichkeit, komparative Vorteile gegenüber anderen Währungen zu erlangen, den Export zu stützen und die heimische Wirtschaft zu fördern.

Doch trotz aller Probleme kann Finnlands Unternehmenslandschaft interessante Protagonisten vorweisen. Vorneweg Amer Sports. Schon 1950 gegründet und seit 1977 börsennotiert, ist das Unternehmen eine echte Erfolgsstory, die mit Markensportausrüstung vor allem vom großen Outdoor-Trend profitiert. So gehören Labels wie Salomon, Atomic, Arc’teryx und Wilson zum Portfolio. Spannend auch Huhtamäki: Die Aktie des Herstellers von Verpackungen aller Art gehört zu den besten Werten an der finnischen Börse in den vergangenen Monaten und überzeugt mit soliden Wachstumszahlen. Top auch der Konzern Neste, der Biokraftstoffe herstellt und weltweit zu den Unternehmen gehört, die zu den "nachhaltigsten" gezählt werden. Allerdings gibt es auch echte Rohrkrepierer an der Börse Helsinki: Der Stahlerzeuger Outokumpu zum Beispiel hat in den vergangenen zwölf Monaten 43 Prozent an Börsenwert eingebüßt.



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Jetzt muss die Regierung ran



Klar ist: Ähnlich wie der einst "kranke Mann" Deutschland muss Finnland Reformen in Gang bringen. Das ist schmerzhaft, geht es doch nur über drastische Kürzungen, etwa Lohnsenkungen oder das Streichen von Sozialleistungen. Premierminister Juha Sipilä und seine Regierung sind vielleicht die Ersten, die wirklich bereit sind, diese Probleme anzugehen. Und dazu sind sie eigentlich in einer guten Position. Denn durch die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank kann sich Finnland wenigstens günstig finanzieren. Das sollte bei der Genesung helfen.



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