Dieses Jahr ist alles anders: Erst um drei Uhr nachmittags beginnt die Hauptversammlung von Berkshire Hathaway. Die Parkplätze vor dem Veranstaltungszentrum sind leer, in der großen Eingangshalle ist kein einziger Verkaufsstand aufgebaut. Statt Zehntausender Aktionäre verliert sich eine Handvoll Mitarbeiter in der riesigen abgedunkelten Arena.

In den vergangenen Jahren war das undenkbar: Schon frühmorgens versuchten Polizisten, das Verkehrschaos in Downtown Omaha zu regeln, das bis zu 40000 Besucher der Hauptversammlung verursachten. Bereits mitten in der Nacht bildeten sich lange Schlangen von Menschen vor dem Veranstaltungsort. Tausende Aktionäre stürmten, gleich nachdem die Türen um sieben Uhr früh geöffnet wurden, das Gebäude. In einer Halle unterhalb der Arena machten Berkshire-Firmen gute Geschäfte. Turnschuhe, Süßigkeiten oder Bücher gingen weg wie warme Semmeln - besonders wenn sie mit Warren Buffetts Konterfei versehen waren.

Doch 2020 fehlt all das beim Berkshire Hathaway Annual Meeting in Zeiten von Corona: Das Podium ist dasselbe wie immer, und auch Warren Buffett sitzt auf der Bühne - an seiner Seite aber nicht Charlie Munger, sondern der neue Chef für die Konzernfirmen, Greg Abel. Und statt eines unterhaltsamen Films bekommen alle, die die Übertragung der HV verfolgen, erst einmal eine Geschichtsstunde verpasst. Warren Buffett hält einen von schlichten Folien unterstützten Vortrag über die Stärken der USA und des Kapitalismus. Es geht um die Große Depression und wie die USA sie überwunden haben.

Warren Buffett ist sehr besorgt. Schon früh hat er das Virus ernster genommen als viele andere. Am 13. März, als die Johns Hopkins University gerade einmal 596 Neu-Infektionen in den gesamten USA meldete, sagte er alle Veranstaltungen im Rahmen der Hauptversammlung in Omaha ab. Angesichts von Zehntausenden auch internationalen Besuchern schätzte er das Risiko als zu hoch ein, seine Heimatstadt Omaha in ein Corona-Epizentrum zu verwandeln.


1941 Buffett kauft seine erste Aktie +++ In Europa wütet der Zweite Weltkrieg: Am 22. Juni fallen deutsche Truppen in die Sowjetunion ein und rücken schnell bis kurz vor Moskau vor +++ Im Juli diskutieren hochrangige NS-Schergen über die Endlösung der Judenfrage +++ Am 7. Dezember bombardieren japanische Flieger den US-Marinestützpunkt Pearl Harbor. Kurz darauf erklären die USA Japan und Deutschland den Krieg +++

Ein Mann mit Weitsicht, der das ein Leben lang genutzt hat, sensationell niedrige Preise für Unternehmen zu erkennen, und damit eines der größten Vermögen der Gegenwart angehäuft hat. Viele hatten daher erwartet, dass er auf der Hauptversammlung seinen neuesten Milliarden-Deal verkündet - immerhin hatte die Covid-19-Pandemie die Weltbörsen in den Keller geschickt, und viele Aktien waren so günstig wie lange nicht. Und bislang hatte Warren Buffett noch jede schlechte Kursphase genutzt, um günstig einzukaufen - zuletzt in der Finanzkrise 2008.

Im Crash 2020 aber kauft Warren Buffett nichts. Stattdessen nutzt er Anfang März die erste zarte Erholung an der Börse, um sich von allen Beteiligungen an Fluglinien wie Delta Air Lines und Southwest Airlines zu trennen. Die Finanzwelt rätselt: Hat Warren Buffett seinen Instinkt verloren?

Am Geld kann es nicht liegen. Rund 130 Milliarden US-Dollar Barreserven hält Berkshire Hathaway aktuell. Das entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung von Zypern, Bolivien und Slowenien zusammen - vor der Corona-Rezession. Und das sind nur die sofort flüssigen Mittel der gigantischen Firma Berkshire Hathaway, die Buffett in seinem Leben aufgebaut hat: Fast 80 Unternehmen gehören der Holding ganz, fast 400000 Menschen arbeiten für eine der direkten Berkshire-Töchter. Dazu kommen Aktienpakete im Wert von rund 250 Milliarden US-Dollar: Etwa jede zehnte Coca-Cola, die auf der Welt getrunken wird, geht auf das Wohl von Warren Buffett, denn Berkshire hält einen Anteil von 9,3 Prozent an der Brausefirma, dazu 18,7 Prozent von American Express, knapp sechs Prozent von Apple und vieles, vieles mehr. Für die größten Aktienpakete allein kassierte Berkshire 2019 knapp 3,8 Milliarden Euro Dividenden. 245 Milliarden Dollar Umsatzerlöse und rund 81,5 Milliarden Gewinn nach Steuern bilanzierte Berkshire 2019 - Dimensionen, die schwer zu greifen sind.


1951 Buffett kauft erste Aktien des Autoversicherers Geico +++ Die USA befinden sich im Koreakrieg. Oberbefehlshaber Douglas MacArthur will Atombomben gegen China einsetzen, was glücklicherweise verhindert wird +++ Das Bundesverfassungsgericht nimmt im September seine Arbeit auf +++ Am 7. Juni werden in Landsberg die letzten NS-Verbrecher hingerichtet. Im Juli verkündet US-Präsident Harry S. Truman den Kriegszustand mit Deutschland für beendet +++

Ein Investor, sonst nichts. Dabei hat Warren Buffett kein einziges dieser Unternehmen selbst gegründet, kein geniales Produkt erfunden oder eine innovative Technik eingeführt. Er hat nichts anderes gemacht, als Geld zu investieren. Heerscharen von Investoren haben versucht, hinter das Geheimnis seines Erfolgs zu kommen und seine Methoden zu kopieren. Doch bislang konnte niemand Ähnliches erreichen. Kein Wunder, denn wie immer ist sein Erfolg die Summe von ganz besonderen Fähigkeiten und Leistungen, aber auch glücklichen Begegnungen und schwierigen Umständen, die sich nachgerade als förderlich herausgestellt haben.

Geboren wurde Warren Edward Buffett vor 90 Jahren in Omaha, Nebraska, einem verschlafenen Städtchen im Mittleren Westen der USA. Und er behauptet selbst, dass er damit ein "Gewinner der Eizellen-Lotterie" gewesen sei. Denn als weißer Mann im 20. Jahrhundert in den USA zu leben, öffnete ihm unbestritten viele Türen, die anderen verschlossen blieben. Zum Beispiel die, dass er überhaupt eine Karriere als Investor beginnen konnte.

Familie Buffett gehörte in den 1930er- Jahren zur Mittelschicht der Stadt. Vater Howard hatte einen Job im Wertpapierhandel einer Bank - bis sein Arbeitgeber wie Hunderte andere US-Banken während der Großen Depression schließen musste. Er verdanke seine Existenz also dem 1929er-Crash an der Wall Street, weil sein Vater neun Monate vor seiner Geburt arbeitslos und viel zu Hause gewesen sei, behauptet Buffett noch heute.

Von Anfang an ist Warren gleich mit mehreren Voraussetzungen für seinen späteren Lebensweg ausgestattet: Er verfügt über ein fotografisches Gedächtnis und wächst in einer Familie auf, in der Geldverdienen ein hehres Ziel ist. Er ist wettbewerbsorientiert und erbt zudem ein ganz besonderes mathematisches Talent seiner Mutter. Und über seinen Vater kommt er bereits als Kind mit der Welt der Aktien und Börse in Kontakt.


1959 Buffett begegnet zum ersten Mal Charlie Munger
+++ Im Januar übernimmt Fidel Castro die Macht auf Kuba +++ US-Präsident Richard Nixon und Sowjetführer Nikita Chruschtschow besuchen einander, um etwas Spannung aus dem Kalten Krieg zu nehmen +++ Am 15. Februar wird im Bezirk Düsseldorf die erste Radarfalle installiert +++ Der Dalai Lama muss Tibet verlassen +++

Seine Kindheit war nicht glücklich. Mutter Leila fand keinen Draht zu den Kindern und terrorisierte vor allem Warrens ältere Schwester Doris immer wieder mit verbalen Attacken. "Sie war nie zufrieden, bevor ich schluchzte", erinnert sich Doris später. Warren konnte Doris nicht beschützen, und beide Kinder erlitten dadurch nach Einschätzung von Warren ein Trauma, "das nicht mehr zu reparieren ist".

Warren Buffett wurde ein verschlossener schlaksiger Junge mit einem ausgeprägten Hang zu Zahlen, Fakten und Geld. Schon früh interessierte er sich für ertragreiche Geschäftsmodelle und hortete Münzen in einer Schublade, die er mit dem Tür-zu-Tür-Verkauf von Cola-Flaschen oder Kaugummis und später mit dem verschlagener Golfbälle verdiente. Oft flieht er vor seiner Mutter ins Büro seines Vaters, der sich als Wertpapierhändler selbstständig gemacht hatte. Bei Buffett & Co fand sein Zahlengehirn Nahrung. Noch ein halbes Kind, las er sich dort durch alle Bücher, Zeitschriften und Zeitungen über die Börse, die er in die Finger bekam. Wenig später, mit elf Jahren, kaufte er seine erste Aktie.

Aus dem Tritt geriet Warren, als sein Vater überraschend zum Kongressabgeordneten gewählt wurde und die Familie nach Washington zog. Vater Howard galt als Rechtsaußen selbst innerhalb der konservativen Republikanischen Partei. Häufig stimmte er im Parlament auch gegen seine eigene Partei. Denn eine eigene unabhängige Meinung zu haben und sie gegen den Rest der Welt zu verteidigen, war für Howard Buffett eines der wichtigsten Ziele im Leben. Das Prinzip übernahm sein Sohn Warren und wendete es später konsequent und äußerst rentabel an.

In Washington fand der Teenie Warren nur wenige Freunde, aber eine Beschäftigung, die seine Geldsammlung erweitern sollte: Er wurde Zeitungsjunge. Rund 500000 Zeitungen lieferte Warren als Teenager während seines "kurzen Flirts mit ehrlicher Arbeit" aus, wie er sagt. Und schuf so die finanzielle Grundlage für sein heutiges Milliardenvermögen: Mit 14 Jahren reichte Warren Buffett seine erste Steuererklärung ein und hatte bereits 2000 Dollar angehäuft - damals ein kleines Vermögen.


1964 Buffett steigt bei Berkshire ein
+++ Otto Beisheim gründet den ersten Metro-Cash-&-Carry-Markt +++ Am 26. April veröffentlichen die Rolling Stones ihr erstes Album +++ Am 11. Dezember bekommt Martin Luther King den Friedensnobelpreis +++ Der Babyboom erreicht in Deutschland mit über 1,3 Millionen Neugeborenen seinen Höhepunkt +++

Mit 20 Jahren hatte Warren Buffett sein Vermögen durch Aktiendeals, Zeitungsrouten und ein paar kleinere Geschäfte auf 20000 Dollar verzehnfacht. Was ihm fehlte, war eine systematische Methode, wie er sein Wissen gewinnbringend einsetzen konnte.

Eine Absage erwies sich nachgerade als Sprungbrett auf dem Weg zum weltbesten Investor: Nach Abschluss seiner Schulkarriere entschloss sich Warren, in Harvard zu studieren. Das würde ihm Renommee und gute Kontakte verschaffen, glaubte er. Doch trotz hervorragender Noten lehnte die Universität den unreifen Jungen ab.

Kurz zuvor hatte er ein Buch entdeckt, das er entgegen seiner Gewohnheit gleich mehrmals gelesen hatte: "Security Analysis" von Benjamin Graham und David Dodd. "Ich dachte damals, dass dies das bei Weitem beste Buch über Investieren ist, das je geschrieben wurde, und ich denke es immer noch", sagt er. Als er herausfand, dass die Autoren an der Columbia University in New York lehrten, bewarb er sich dort und wurde angenommen.

Benjamin Graham, der intellektuelle Teil des Autorenteams, wurde schnell weit mehr als Warren Buffets Lehrer. Nach seinem Vater war er das zweite Vorbild in seinem Leben. Graham hatte eine Methode entwickelt, wie man den Wert einer Aktie ausrechnen kann - für die damalige Zeit ein revolutionärer Ansatz.


1973 Buffett kauft Anteile an der "Washington Post"
+++ 4. Juni: Der Geldautomat wird patentiert +++ Am 20. September werden im gesamten Bundesgebiet die Notrufnummern 110 und 112 eingeführt +++ Am 25. November gibt es das erste Sonntagsfahrverbot in Deutschland im Zuge der Ölkrise +++

Dafür suchte Graham nach Firmen, deren beste Zeiten vorbei waren und die daher für Aktionäre uninteressant erschienen. Der Clou: Oft hatten sie in der Vergangenheit immense Vermögen angehäuft - zum Beispiel Lagerbestände, Wertpapiere, Barreserven oder Immobilien -, die in den Geschäftsbüchern häufig nicht korrekt dargestellt waren. Aus Bilanzen, Zeitungsartikeln, Marktstudien, juristischen Unterlagen und allen möglichen anderen verfügbaren Quellen machte sich Graham ein ganz genaues Bild und ermittelte so den "inneren Wert" des Unternehmens. Lag der Aktienkurs um eine "Sicherheitsmarge" unter dem anteiligen Vermögen, war das Unternehmen ein Kauf. Anschließend musste Graham nur noch dafür sorgen, dass das Vermögen aufgelöst und an die Aktionäre ausgezahlt wurde.

Warren Buffett war begeistert von der Kombination aus Detektivarbeit, gesundem Menschenverstand und einem mathematisch konkreten Ansatz und war hochbegabt darin, die Graham-Methode anzuwenden. Zudem waren Aktien in den 50er-Jahren derartig unbeliebt, dass es leicht war, "Graham-Investments" zu finden. "Das war so, wie Fische aus einem Fass zu fangen", erinnert er sich.

Warren investierte wie besessen: als Student, während er später eine Zeit lang für Grahams Investmentfirma arbeitete und dann vor allem, als er nach Omaha zurückkehrte. Dort gründete er mehrere Investmentpartnerschaften, mit denen er sein eigenes, aber auch das Geld seiner Familie, von Freunden und später auch von Fremden anlegte.

Warren kaufte Anteile an Einzelhändlern, Banken, der Rabattmarkenfirma Blue Chip Stamps, einer Textilfirma namens Berkshire Hathaway, später auch Aktienpakete von American Express und Disney. Die Anzahl seiner Partnerschaften und sein Vermögen wuchsen ständig. Zwischen 1957 und 1968 erzielte Warren Buffett regelmäßig gut 30 Prozent Rendite und machte so aus jeweils 10000 Dollar mehr als eine Viertelmillion. Die Partner bekamen in etwa die Hälfte des Zuwachses, Warren Buffett den Rest, weil er alle Erträge über bestimmten Marken nach den Partnerschaftsregeln behalten durfte. Ende der 60er-Jahre waren Aktien wieder im Aufschwung, und der reine Graham-Ansatz brachte so gut wie keine Treffer mehr. Daher löste Buffett alle Partnerschaften auf und wollte in den Ruhestand gehen.

Der Hund fängt das Auto. Die Textilfirma Berkshire Hathaway war ein klassisches Graham-Investment. Als eines der großen Unternehmen der einst wichtigen Industrie der USA hatte es in guten Jahren ein ansehnliches Finanzpolster aufgebaut. Die Geschäfte liefen zwar immer schlechter, doch Warren Buffett hatte ohnehin nicht vor, Berkshire lange zu behalten. Der Geschäftsführer und Mehrheitseigentümer hatte ihm angeboten, seine billig eingesammelten Aktien für einen anständigen Preis zu übernehmen. Als das offizielle Angebot in Buffetts Büro in Omaha eintraf, war der Angebotspreis aber ein paar Cent niedriger als ausgemacht, und Warren schaltete auf stur. Statt zu verkaufen, kaufte er Berkshire-Aktien nach und besaß so nach einiger Zeit ein Drittel des Unternehmens. "Ich war der Hund, der das Auto gefangen hatte", sagt er.


1988 Buffett steigt bei Coca-Cola ein
+++ Am 1. Februar wird verbleites Normalbenzin in Deutschland verboten +++ Der erste Computerwurm legt zehn Prozent der weltweiten Computernetzwerke lahm +++ Sowjetchef Michail Gorbatschow besucht die USA, der eiserne Vorhang bekommt erste Löcher +++

Buffett übernahm den Aufsichtsratsvorsitz und begann Berkshires freie Mittel für seine Investmentideen zu nutzen. Später funktionierte er die Firma als Holding für alle anderen Beteiligungen um. Dass er damit viele Milliarden, die er in Zukunft noch verdienen würde, auch mit allen anderen Berkshire-Aktionären teilen würde, hatte er damals wohl nicht bedacht: Hätte er ein Investmentvehikel gewählt, das ihm allein gehörte, besäße er heute weit mehr als die rund 73 Milliarden Dollar, mit denen er auf Platz 6 der "Forbes"-Liste der reichsten Menschen der Welt rangiert.

Unter dem Einfluss von Charlie Munger hatte Buffett Anfang der 70er-Jahre endlich eine neue Methode gefunden, den "inneren Wert" eines Unternehmens zu definieren. Munger kannte er seit 1959 und war seither mit ihm in ständigem Austausch über ihre Ideen beim Investieren. Vor allem Munger versuchte, die Schwachstellen des Graham-Ansatzes zu überwinden. Wer ein echtes Graham-Schnäppchen kauft, hat zudem nur einmal einen großen Gewinn, dann muss er eine neue Idee suchen.

Stattdessen wollten die beiden lieber Unternehmen finden, die ohne großen zusätzlichen Kapitaleinsatz ständige Gewinne abwarfen. Vor allem Munger beschäftigte sich mit der Suche nach solchen "hervorragenden" Unternehmen und überzeugte Buffett beim Kauf des kalifornischen Schokoladenherstellers See’s Candies davon, dass man für solche Schätze auch durchaus etwas mehr bezahlen kann. Mit Erfolg: See’s entwickelte sich zu einem der besten Investments, die Buffett je getätigt hat.

Kaufkandidaten für Berkshire mussten ein paar Voraussetzungen erfüllen: Sie brauchen ein stetiges, prognostizierbares Geschäftsmodell, wenig Schulden oder Altlasten, sodass sie eine Krise überstehen könnten, und eine kaum angreifbare Position im Markt. Dieser "Burggraben", wie Munger und Buffett das nennen, war in früheren Jahren vor allem ein Markenname wie Coca-Cola, später auch eine regulierte Branche wie das Versorgergeschäft oder ein Bereich mit immensem Kapitalbedarf, der Neueinsteiger abhält, wie eine Eisenbahnlinie. Beide gehen davon aus, dass alle Krisen des Kapitalismus vorübergehend sind. Sie prognostizieren nie die Börsenverläufe. Wie hoch oder niedrig der Kurs eines Unternehmens steht, ist für Buffett und Munger nur interessant, wenn sie etwas kaufen wollen. "Wir sehen Aktien als Geschäftsanteile und nicht als Indexanteile", erklärt Warren Buffett das dahinterstehende Prinzip.


2008 Buffett kauft Aktien von Goldman Sachs
+++ Mit Barack Obama wird der erste Afroamerikaner Präsident der USA +++ Im August finden in Peking unter Protesten von Menschenrechtsaktivisten die Olympischen Spiele statt +++ 15. September: Die Pleite der Bank Lehman Brothers mündet in die Weltfinanzkrise +++

Mit den Jahren fanden Warren und Charlie viele "hervorragende Unternehmen": Berkshire wuchs und wuchs, sie kauften ganze Firmen, große Einzelhändler, Industrieunternehmen, Teppichhersteller, Ziegeleien, eine Autohauskette und immer wieder große Aktienpakete von Coca-Cola, der Ratingagentur Moody’s, Banken und Chemiefirmen und vieles mehr. Sie beteiligten sich an der Fusion von Kraft und Heinz Ketchup, an dem sie vorher erhebliche Anteile erworben hatten. Und lange Zeit war so gut wie jedes Engagement ein Treffer und lieferte stetige Gewinne oder Dividendenzahlungen an Berkshire, die dann wieder investiert wurden.

Buffett hatte schon früh erlebt, was der Engpass für das Expansionsmodell sein kann: Geld. Um mehr davon zur Verfügung zu haben, investiert er in Branchen, in denen die Einnahmen weit vor den Ausgaben liegen. Zum Beispiel bei Versicherungen: Sie kassieren die Prämien Jahre, manchmal Jahrzehnte, bevor sie einen Schaden zahlen müssen. Mit Ajit Jain fand Buffett zudem in den 80er-Jahren einen Manager, der das Versicherungsgeschäft an sich zu einem hochprofitablen Geschäft machte - ein doppelter Gewinn für Berkshire. Zu der Holding gehören heute vor allem Rückversicherungen, aber auch andere Assekuranzen wie die Autoversicherung Geico, deren Aktien Buffett schon als Teenager gekauft hatte.

Zum Vorbild für viele wurde Buffett aber nicht nur durch seinen genialen Investmentstil, sondern vor allem durch seinen Charakter. Den verdankt er auch einer bewussten Entscheidung: Als Jugendlicher entdeckte er ein Buch von Dale Carnegie, in dem ewiges Glück durch einfache Verhaltensregeln versprochen wurde. Für Buffett hat das tatsächlich funktioniert. "How to Win Friends and Influence People" hat sein Leben nachhaltig verändert. Im Wesentlichen appelliert Carnegie an seine Leser, ihr Gegenüber mit Respekt und Aufmerksamkeit zu behandeln und direkte Konfrontationen zu vermeiden. Noch als Jugendlicher hat Buffett die Regeln ausprobiert und festgestellt, dass sich die Reaktionen seines Umfelds tatsächlich verbessern. Später besuchte er einen Carnegie-Kurs zur Kunst des Redens. Das Diplom hängt bis heute in seinem Büro.

Das Büro von Berkshire Hathaway ist damit das wohl ungewöhnlichste eines internationalen Konzerns. Es gibt keinen großen Überbau, keine Research- oder Personalabteilung oder gar aufwendige Kontrollapparate - all das überlässt Berkshire seinen Tochterfirmen. Die Manager von Berkshire-Firmen müssen nur zwei Dinge abliefern: regelmäßige Daten zur Geschäftslage und einen Brief, in dem ihr potenzieller Nachfolger steht. Gleichzeitig hat Buffett immer ein offenes Ohr für seine Manager, die er gern mit Lob überschüttet.

Keine Frage, Warren Buffett ist ein umgänglicher und vor allem humorvoller Mensch geworden. Gleichzeitig ist er bescheiden. Nach wie vor lebt er in einem Mittelklassehaus in Omaha, fährt seinen Durchschnittswagen selbst und kauft sein Frühstück gern bei McDonald’s. Ganz wie es Dick Holland, ein Berkshire-Aktionär der ersten Stunde, mit dem Buffett bis zu dessen Tod eng befreundet war, einmal sagte: "Ich könnte ein Château in Frankreich haben und Warren könnte zehn haben. Keiner von uns beiden hat aber eines. Wir denken da gleich: Dinge anzuhäufen trägt einfach kein bisschen zu deinem Glück bei."

Lebenslange Freundschaften. Was Buffett glücklich macht, sind seine Arbeit und enge Beziehungen. Seine Freundschaften halten lebenslang, und Buffett lässt sich von ihnen neue Welten zeigen. Zum Beispiel von Katharine Graham, der legendären Herausgeberin der "Washington Post", mit der er bis zu ihrem Tod eng verbunden war. Sie galt zu ihrer Zeit als mächtigste Frau der Welt und führte Warren in die Welt der Politik und Macht ein. Oder von Bill Gates, den er im Sommer 1991 kennenlernte und mit dem der heimatverbundene Buffett große Reisen zum Beispiel nach China unternahm. Dennoch vernachlässigte er auch seine alten Freunde nie - egal wie reich oder wichtig sie waren.

Sich beeinflussen zu lassen, ist ein wichtiger Baustein für den Erfolg von Warren Buffett. Den größten Einfluss hatte seine erste Frau Susan, die er mit 21 Jahren geheiratet hat und die 2004 verstorben ist. Sie stammt ebenfalls aus einem erzkonservativen Haus und sie war eine zutiefst empathische Frau, die sich ständig für Minderheiten und Menschenrechte engagierte. Sie brachte Warren Buffett dazu, die politischen Einstellungen seines geliebten Vaters zu hinterfragen und schließlich zu verwerfen. Warren Buffett wählt heute demokratisch, beriet Barack Obama in dessen Wahlkampf und setzte sich im letzten Präsidentschaftswahlkampf gegen frühere Gepflogenheiten offen für Hillary Clinton und gegen Donald Trump ein. Schon längere Zeit fordert er ein anderes Steuersystem: Reiche wie er sollten mehr zahlen müssen, findet er.


2015 Buffett hilft, Heinz Ketchup mit Kraft Foods zu fusionieren
+++ Bei islamistischen Anschlägen in Paris sterben im Januar und November insgesamt 150 Menschen +++ Im Sommer rollt eine Flüchtlingswelle über Europa. Angela Merkel prägt den Satz "Wir schaffen das" +++ Am 18. September kommt der Diesel-Gate genannte Abgasskandal ans Licht. VW-Chef Martin Winterkorn muss gehen +++

Denn obwohl er ein Fan des Kapitalismus ist, sieht er große Schwächen in dem System, wenn es um die gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen geht. Seine persönliche Antwort darauf ist wie vieles, was er tut, einfach und wirkungsvoll: Er verschenkt sein Vermögen. 99 Prozent seiner Berkshire-Aktien gehen nach und nach an verschiedene Stiftungen, der Löwenanteil davon an die Bill & Melinda Gates Foundation. Weil er der Meinung ist, dass das andere auch tun sollten, hat er gemeinsam mit Bill und Melinda Gates die Initiative "The Giving Pledge" gegründet. Hier animiert er Superreiche zu dem Versprechen, mindestens die Hälfte ihres Vermögens für wohltätige Initiativen zu spenden.

Das schwere Erbe. "Berkshire ist mein Vermächtnis", sagt Warren Buffett. Und er hat früh begonnen sicherzustellen, dass es ihn eine Weile überdauern wird. Schon vor einigen Jahren hat er angekündigt, dass seine und Charlies Aufgaben künftig von mehreren Managern wahrgenommen werden. Für den Bereich Investment werden voraussichtlich Ted Weschler und Todd Combs zuständig sein. Sie verantworten bei Berkshire jeweils einige Milliarden. Greg Abel wird sich um die Tochterunternehmen des Unternehmens kümmern, Ajit Jain um die Versicherungen. Und Buffetts ältester Sohn Howard soll als Aufsichtsratschef dafür sorgen, dass der ganz besondere Stil von Berkshire erhalten bleibt.

So erfolgreich wie Warren Buffett und Charlie Munger wird die künftige Riege der Berkshire-Führung aber vermutlich nicht agieren können. Denn erstens sind die Summen, die investiert werden wollen, so gigantisch groß geworden, dass das allmählich zum Problem wird. Und billiges Geld aus Versicherungsgeschäften ist in Zeiten von Nullzinsen kein Wettbewerbsvorteil mehr.

Doch noch will Warren Buffett nicht aufhören. Auch wenn er wieder einmal zu hören bekommt, dass er die Zeiten nicht mehr versteht - wie jedes Mal in seiner langen Karriere, wenn er einen Boom an der Börse aussaß, ohne eine einzige Aktie zu kaufen. Seine Linie, gegen eine Mehrheit zu halten, fällt ihm aber auch heute genauso leicht wie früher seinem Vater.

Es sind daher wohl kaum die Schlagzeilen, die ihn dazu bewegt haben, nun doch ein paar Milliarden zu investieren: vor einigen Wochen zehn Milliarden in das Erdgas-Transport- und -Speicherunternehmen Dominion Energy und eine gute Milliarde in weitere Aktien der Bank of America. Hat er seine Meinung geändert? Auf der Hauptversammlung im Mai hatte er angekündigt, sein Geld in der laufenden Corona-Krise vor allem dafür einzusetzen, bestehende Berkshire-Firmen abzusichern. Mit Dominion Energy baut er die Stellung seiner Tochtergesellschaft Berkshire Hathaway Energy im Geschäft mit dem Erdgastransport in den USA wesentlich aus. Mit dem Engagement bei der Bank of America festigt er deren Stellung im Markt.

Das wäre dann eine schlechte Nachricht für alle, die glauben, dass die Covid-19-Krise an den Börsen so gut wie überstanden ist und auch Warren Buffett das endlich einsieht. Er wird zwar 90 Jahre alt. Ob er aber seine Weitsicht verloren hat, ist noch lange nicht ausgemacht.