"Die Corona-Epidemie könnte zum Sargnagel des amerikanischen Exzeptionalismus werden", sagt Ulrich Leuchtmann, Devisenexperte bei der Commerzbank. Die Grundüberzeugung vieler, das Wirtschaftssystem der USA sei den meisten anderen und auch dem europäischen überlegen, sei angekratzt. Es seien "der Mangel an Gesundheits- und Sozialsystemen, für die die USA nun stehen".

Seit Ende März hat der Greenback zu einem Währungskorb etwa neun Prozent an Wert verloren. Der Euro legte im gleichen Zeitraum fast zehn Prozent zu und erreicht fast 1,18 Dollar - das ist das höchste Niveau seit Herbst 2018. Eine Rolle spielt dabei, dass der Zinsvorteil des Dollar inzwischen verschwunden ist - Ende 2019 lag der Leitzins in den USA noch bei 1,5 bis 1,75 Prozent, während die EZB seit Jahren eine Nullzinspolitik fährt. Mittlerweile hat aber auch die Fed ihren Zins auf Null gesenkt, um der Wirtschaft in der Krise unter die Arme zu greifen. Die Fed mache inzwischen eine expansivere Geldpolitik als die EZB, was den Dollar belaste, sagt Christian Apelt, Experte bei der Helaba.

DÜSTERE WACHSTUMSAUSSICHTEN FÜR DIE USA


Viel wichtiger ist aber, dass viele Experten die Wachstumsaussichten für die USA wegen der ungebremsten Ausbreitung des Virus inzwischen düsterer einschätzen als die für Europa. Die Analysten der Societe Generale erwarten zwar für das Jahr 2022 auf beiden Seiten des Atlantiks ein Plus. Doch während sie der Europäischen Union 5,2 Prozent zutrauen, halten sie in den USA nur 2,5 Prozent für möglich. "Die USA stehen bei der Überwindung der Coronavirus-Pandemie vor größeren Schwierigkeiten als Europa", schrieben die Fachleute des Fondshauses Robeco. "Die USA sind zum Epizentrum der Pandemie unter den Industrieländern geworden, während es in Europa weniger Arbeitslosigkeit und eine bessere Beschäftigungssicherung gibt."

Die Kurzarbeit hat in Europa einen allzu starken Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert. Im Mai waren in der Euro-Zone 12 Millionen Menschen arbeitslos, die Quote lag bei 7,4 Prozent. In den USA waren dagegen im Juni 17,8 Millionen Menschen ohne Arbeitsplatz, das entspricht einer Arbeitslosenquote von 11,1 Prozent - im Mai war hier die Lage noch düsterer. Jenseits des Atlantiks ist es deutlich leichter als in Europa, Mitarbeiter zu entlassen. Traditionell gelten flexible Arbeitsmärkte als Vorteil. Doch zugleich rutschen die Betroffenen in den USA schneller in die Armut ab als in Europa. Während hierzulande Menschen in Kurzarbeit zwar weniger Geld haben als zuvor, aber immerhin auf eine Rückkehr an ihren Arbeitsplatz bauen können, sind in den USA lange Schlangen von Essensausgaben an der Tagesordnung. Millionen haben mit dem Job inmitten der Pandemie auch ihre Krankenversicherung verloren.

Von einem schwächeren Dollar profitieren allerdings die US-Exporteure, weil sie für ihre Produkte im Ausland mehr Geld erhalten. Nach Berechnungen der US-Investmentbank Goldman Sachs steigen die Gewinne je Aktie um drei Prozent, wenn der Dollar um zehn Prozent abwertet.

EUROPAS EINIGKEIT TREIBT EURO IN DIE HÖHE


Doch es ist nicht nur eine Dollar-Schwäche, die den Währungsmarkt umtreibt: Der Euro gewinnt von sich aus an Kraft. Er profitiert von der Einigung der EU auf das milliardenschwere Corona-Wiederaufbauprogramm. Der Kompromiss sei zwar nicht ideal, sagte Commerzbank-Experte Leuchtmann. "Dennoch, Europa hat sich geeinigt, ohne dass der Druck des Marktes das erzwungen hat, und hat sich damit als fähig zu politischer Gestaltung erwiesen. Das macht es weniger krisenanfällig und macht damit seine Währung attraktiver." Auch die geplanten europäischen Anleihen kommen der Gemeinschaftswährung zugute, bieten sie doch Investoren mehr Möglichkeiten, Papiere mit Rating-Bestnoten in ihre Portfolios zu legen.

Umstritten ist, ob die Dollar-Schwäche einen Wechsel in den Machtverhältnissen am Devisenmarkt anzeigt oder nur vorübergehend ist. Bislang habe die Funktion als sicherer Hafen eine deutliche Schwächung des Dollar verhindert, sagte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Allein die schiere Größe des Dollar-Marktes bedeute, dass kaum ein Weg um den Greenback herumführe. Doch diese Funktion könne in den Hintergrund treten und hausgemachte Unsicherheiten nach vorne rücken, sagte Gitzel. "Die Zeichen für einen Richtungswechsel mehren sich."

rtr