Dieser letzte theoretisch noch mögliche Schritt würde wohl nicht wenigen Politikern in Frankreich und Italien ins Konzept passen. Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte - so ihr Kalkül - die Krise einfach "weginflationieren" - ganz ohne schmerzhafte Reformen auf dem Arbeitsmarkt oder in der Verwaltung. Doch statt dem Drängen aus Paris und Rom nachzugeben, spielt Draghi den Ball ins Feld der Politik zurück. Sie müssten mehr tun.

Seine Not ist groß, der Druck enorm. Zeugnis davon legt das beeindruckende Waffenarsenal ab, das Draghi gegen die Krise bereits in Stellung gebracht hat: Seit Juni, also innerhalb von nur drei Monaten, hat die EZB den Leitzins auf das Rekordtief von 0,05 Prozent gekappt und damit für eine kräftige Abwertung des Euro gesorgt. Frankreich und Italien hatten genau das immer wieder gefordert. Auch die deutschen Exporteure werden Draghi dankbar sein, weil ihre Waren dadurch auf dem Weltmarkt billiger werden und sich besser verkaufen. Hinzu kommen milliardenschwere Unterstützungen der EZB für die Banken - sei es durch Kredit- und Liquiditätshilfen oder indem Draghi den Instituten Kredite bald bündelweise abkauft, damit sie neue Darlehen vergeben und so die Wirtschaft ankurbeln können. Mehr geht kaum noch.

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"ULTIMATIVES ANGEBOT"

Folker Hellmeyer, Chefökonom der Bremer Landesbank, sieht Draghis letzten Coup als "ultimatives Angebot", vor allem an die Sorgenkinder Frankreich und Italien - ganz nach dem Motto: die EZB hat geliefert, jetzt seid ihr an der Reihe. Doch wie groß ist Draghis Drohpotenzial gen Rom und Paris? Schließlich hat er nur noch ein letztes Ass im Ärmel, von dem - anders als beim echten Pokerspiel - alle am Tisch genau wissen, dass es da ist und dass er es eines Tages spielen kann; es vielleicht sogar spielen muss, um eine Deflation und den Absturz der zuletzt nur stagnierenden Wirtschaft in der Euro-Zone zu verhindern. Mit solchen Anleihekäufen haben in den Jahren nach der weltweiten Finanzkrise schon die Notenbanken in den USA und England ihre Systeme wieder Flott gemacht.

"Das war erst die Ouvertüre, die Oper beginnt erst noch", versucht Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer die verfahrene Lage mit einem griffigen Bild verständlich zu machen. Viele Experten teilen seine Ansicht. Zu gering ist bei vielen das Vertrauen, dass das politische "Fingerhakeln" zwischen der EZB und den Regierungen zugunsten der Währungshüter ausgeht. Zudem drohen in der nächsten Zeit konjunkturelle Rückschläge, auf die die EZB im Zweifel reagieren muss: "Wer weiß schon, ob sich wegen der Ukraine nicht doch eine Sanktionsspirale in Gang setzt?", fragt nicht nur Johannes Mayr von der BayernLB. Aber auch ohne kriegerische Auseinandersetzungen in Europa sind die ökonomischen Perspektiven für die 18 Euro-Länder 2015 eher mau.

Auf Seite 3: GELDPOLITISCHES MORPHIUM

GELDPOLITISCHES MORPHIUM

Dann also Quantitative Easing (QE), wie die Anleihekäufe im Fachjargon genannt werden, als letzter Ausweg aus der Misere? Doch was würde das schon ändern? Denn den Griff zum allergrößten Hebel an der Notenpresse sehen viele allenfalls als eine Art Morphium der Geldpolitik, das Schmerzen überdeckt, die Ursachen allerdings nicht beseitigt. Das weiß Draghi.

Er weiß sicher auch, dass der Widerstand der zuletzt nach Ansicht vieler Beobachter allzu ruhigen Bundesbank gegen diese Therapie wieder zunehmen dürfte. Und er weiß natürlich, dass das Heft des Handelns in Wahrheit schon lange nicht mehr in Frankfurt liegt, sondern in Paris und Rom, Brüssel und anderswo. Auch in Berlin. Norbert Bartle, Chefhaushälter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: "Die Maßnahmen der EZB müssen auf jeden Fall politisch begleitet werden. Für schwächere Euro-Länder heißt das: Strukturreformen!"

Reuters